Mittwoch, November 29, 2006

Arbeitsüberlastung

Ob das Bundesgericht überlastet ist, weiss ich nicht. Ich wäre es jedenfalls, wenn ich zu jedem neuen Entscheid im Straf-/Strafprozess-/Strafrechtshilferecht etwas sagen wollte. Gestern wurden folgende neue Urteile online gestellt:
  • 23.10.2006, 6S.262/2006, Straftaten , Fahrlässige schwere Körperverletzung
  • 02.11.2006, 1A.199/2006, Rechtshilfe und Auslieferung, Auslieferung an Österreich
  • 02.11.2006, 6P.91/2006, Strafprozess, Strafverfahren (Willkür, Unschuldsvermutung)
  • 02.11.2006, 6P.92/2006, Strafprozess, Strafverfahren (Willkür, Unschuldsvermutung)
  • 02.11.2006, 6S.147/2006, Strafrecht (allgemein), Strafzumessung
  • *03.11.2006, 6S.362/2006, Strafrecht (allgemein), Revision des Urteils des Bundesgerichts vom 1. Mai 2001 (6S.49/2000)
  • 06.11.2006, 6S.324/2006, Verfahren, Strafverfahren; Menschenwürde (Art. 7 BV), Willkürverbot (Art. 9 BV), rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), Grundsatz "in dubio pro reo" (Art. 32Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK)
  • 07.11.2006, 1A.206/2006, Entraide et extradition, Extradition à la Géorgie, zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen
  • 10.11.2006, 1P.464/2006, Verfahren
  • **10.11.2006, 6S.237/2006, Strafrecht (allgemein), Strafzumessung (Art. 63 StGB), bedingter Strafvollzug (Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1)
* Hier handelt es um den Revisionsentscheid i.S. Dammann (s. dazu meinen früheren Beitrag)

** Hier ist der Beschwerdeführer durchgedrungen, weil das Obergericht des Kantons Zürich (einmal mehr) bei der Strafzumessung patzte:
Die Zusatzstrafe darf jedoch nicht für sich festgesetzt und zur schwersten Strafe dazu addiert werden, vielmehr erfolgt auch hier eine Erhöhung nach dem Asperationsprinzip bei Tatmehrheit gemäss Art. 68 Ziff. 1 StGB (BGE 69 IV 54 E. 4; s.a. Entscheid 6S.22/2006 vom 7. April 2006, E. 4.2.1.; E. 2.2.3).

Dienstag, November 28, 2006

Gewonnen oder verloren?

In einem Strafverfahren kann man bekanntlich auch dann als Verlierer dastehen, wenn der Richter den Hauptanträgen der Verteidigung vollumfänglich entspricht.

Einen solchen Fall hatte das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin wegen Verweigerung einer Entschädigung zu beurteilen (Urteil 1P.429/2006 vom 13.11.2006). Der Beschwerdeführer hat einen Strafbefehl insofern erfolgreich angefochten, als der Polizeirichter den Sachverhalt rechtlich anders würdigte und die Strafe reduzierte. Das Kantonsgericht des Kantons Freiburg verweigerte dem Beschwerdeführer eine Entschädigung, weil ihn der Polizeirichter wegen desselben Sachverhalts verurteilt hatte wie der Aussteller des Strafbefehls. Nur weil der Polizeirichter den Sachverhalt rechtlich anders würdigte und einen Tatbestand fallen liess, liege kein Freispruch vor. Im Übrigen sei der Schaden des Beschwerdeführers - er hatte Anwaltskosten von knapp CHF 3,000.00 geltend gemacht - nicht erheblich.

Freitag, November 24, 2006

Besonders gefährlicher Logistiker

Wer für eine ausländische Einbrecherbande Wohnungen und andere Infrastruktur organisiert, offenbart dadurch seine besondere Gefährlichkeit und wird wegen qualifizierten bandenmässigen Diebstahls verurteilt werden (Art. 140 Ziff. 3). Dies hat das Obergericht des Kantons Bern in einem Strafverfahren festgestellt. Das Bundesgericht hat diese Beurteilung auf Nichtigkeitsbeschwerde hin geschützt (6S.193/2006 vom 03.11.2006). Aus dem Sachverhalt:
Um die Infrastruktur kümmerte sich der Beschwerdeführer, indem er das Studio eines Kollegen als Unterschlupf organisierte (Einbruch von Montreux), eine Wohnung in Clarens als Untermieter übernahm, den Aufenthalt in einem Chalet in Crans ermöglichte (Einbrüche von Crans), die eigene Wohnung in Montreux als Zentrale sowie den eigenen zweiten Estrich als Beuteversteck zur Verfügung stellte, einen Audi zum Gebrauch für die Bandenmitglieder ankaufte und schliesslich Verpflegung und eine Waschgelegenheit organisierte. Diese logistischen Tatbeiträge stuft die Vorinstanz als besonders bedeutungsvoll ein, weil der Beschwerdeführer als einziges Bandenmitglied Wohnsitz in der Schweiz hatte, sich hier näher auskannte und sein Beziehungsnetz einsetzen konnte. Bei den übrigen Beteiligten handelte es sich um Kriminaltouristen, die auf die Bereitstellung der Infrastruktur durch den Beschwerdeführer angewiesen waren. Die Vorinstanz stellt weiter fest, dass er an der Planung der Delikte beteiligt war und sich die Einbrecher vor und nach der Tat regelmässig bei ihm versammelten. Er war deshalb über die fünf fraglichen Einbrüche vorgängig im Bild und hat sich spätestens im Verlauf der Vorbereitungen den Vorsatz der Bandenmitglieder zu eigen gemacht, soweit er bei der eigentlichen Entschlussfassung und Deliktsverübung nicht mitwirkte. Eine weitergehende Tatbeteiligung stellt die Vorinstanz bei den Einbrüchen in Crans fest, wo der Beschwerdeführer auch an Vorbereitungshandlungen mitwirkte und als Auskundschafter tätig war, ferner bei jenem in Luzern, bei dem er einen Beteiligten an den Tatort fuhr und an der Entwendung von zwei Audi beteiligt war, und schliesslich bei jenem von Thun, für den er Strümpfe als Gesichtsmasken beschaffte und nach der Durchführung beim Zählen und Verstecken der Beute - unter anderem durch Erstellen der Beuteliste - mitwirkte (E. 2).
Die rechtliche Begründung des Entscheids fällt äusserst kurz aus. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf folgende Feststellung:
Letztere setzt nicht die Teilnahme an der eigentlichen Ausführung der Tat voraus (BGE 120 IV 17 E. 2d S. 23). Entscheidend ist vielmehr, dass die übrigen Tatbeteiligten nach den vorinstanzlichen Feststellungen auf die Infrastruktur, die der Beschwerdeführer bereit stellte, angewiesen waren, weil sie in der Schweiz keinen Wohnsitz hatten und sich hier nicht auskannten (E. 3).

Verhaftungen nach Drohneneinsätzen

Die NZZ berichtet hier darüber, dass im Kanton Tessin vier Personen, die illegal in die Schweiz einreisen wollten, nach Einsätzen von Drohnen verhaftet wurden. Der Einsatz war vom Bundesrat am 5. Juli 2006 bewilligt worden.

Richter als Drückeberger?

Bei den im Internet publizierten Entscheiden des Bundesgerichts fällt auf, dass regelmässig Verletzungen der Garantie des verfassungsmässigen Richters (Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) gerügt werden, auffällig oft in Laienbeschwerden (Anwälte lassen sich für sowas halt nicht so leicht finden). Gutgeheissen werden solche Beschwerde kaum je. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Tatsache, dass die Sensibilität der Rechtsunterworfenen in diesem Punkt sehr hoch ist. Meines Erachtens stellt die Justiz in diesem Bereich allzu leichtfertig Vertrauen aufs Spiel. Das kann vielleicht anhand eines neu ins Netz gestellten Urteil des Bundesgerichts gezeigt werden, obwohl es sicher bessere Beispiele gibt.

In 1P.583/2006 vom 13.11.2006 hatte sich das Bundesgericht mit einem Fall zu befassen, in dem ein Beschwerdeführer ein umfassendes Ablehnungsbegehren gegen die Richter des Kantonsgerichts Wallis gestellt hatte. Zwei Richter kamen in ihren Stellungnahmen zum Schluss, sie seien vorbefasst und das gegen sie gestellte Ablehnungsbegehren sei berechtigt. Selbst das reichte hingegen nicht, die beiden Richter abzulehnen:
Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss vorbringt, die beiden ordentlichen Mitglieder des Kantonsgerichts hätten selber den Ausschlussgrund gemäss Art. 33 Ziff. 1 lit. b StPO/VS als gegeben erachtet, ist festzuhalten, dass nicht jede Erklärung, mit welcher eine Gerichtsperson den Ausstand erklärt oder eingegen sie gerichtetes Ablehnungsbegehren unterstützt, unbesehen hingenommen werden darf (BGE 116 Ia 28 E. 2c S. 31; 105 Ia 157 E. 6c S. 165 f.). Denn der Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter kann auch dadurch verletzt sein, dass sich einzelne Richterinnen und Richter oder gar ein ganzes Gericht vorschnell als befangen erklären und sich damit ihrer richterlichen Aufgabe entziehen (BGE 105 Ia 157 E. 6a S. 163; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 576). Der Ausstand muss die Ausnahme bleiben, denn sonst besteht die Gefahr, dass die regelhafte Zuständigkeitsordnung für die Gerichte bis zu einem gewissen Grade illusorisch und die Garantie des verfassungsmässigen Richters von dieser Seite ausgehöhlt wird (BGE 105 Ia 157 E. 6a S. 163; vgl. auch BGE 108 Ia 48E. 3 S. 53; E. 2.5).
Die beiden vorbefassten Richter wollten sich also bloss vor ihren Pflichten drücken?

Dienstag, November 21, 2006

Ausgetrickst und reingefallen

Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn hat im Jahr 2002 ein umfangreiches Wirtschaftsstrafverfahren eröffnet, das nach Abtretung an die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt eingestellt wurde. Diese hat dem zu Unrecht Beschuldigten eine Partientschädigung von CHF 550.00 zugesprochen und erwogen, für die Kosten bis zur Übernahme des Verfahrens habe der Kanton Solothurn aufzukommen. Die kantonalen Rechtsmittel dagegen blieben weitgehend erfolglos.

Parallel dazu beantragte der Beschuldigte beim Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn eine Parteientschädigung von CHF 28,376.80. Auch dieses Begehren wurde abgewiesen und erfolglos weitergezogen, zuletzt mit Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht, das auf die Beschwerde allerdings nicht eintreten konnte (Urteil 6S.435/2006 vom 09.11.2006).
Das Bundesgericht verweist auf seine Rechtsprechung, wonach die örtliche Zuständigkeit nach Art. 346 ff. StGB auch die Kompetenz umfasse, im Endurteil über die Tragung der Kosten des Verfahrens und der Untersuchungshaft durch den Angeschuldigten zu entscheiden, die in einem anderen Kanton erwachsen sind (BGE 121 IV 34). Danach stellte das Bundesgericht zur Natur der Entschädigungsforderung folgendes fest:
Entschädigungsforderungen eines Angeschuldigten nach Einstellung eines gegen ihn geführten Strafverfahrens folgen indessen nicht aus Bundesstrafrecht, sondern aus kantonalem öffentlichen Recht (BGE 108 Ia 13 E. 3). Dieses allein bestimmt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein entsprechender Anspruch besteht. Anders verhielte es sich nur, wenn Entschädigungsansprüche gegenüber Bundesbehörden zu beurteilen wären (Art.122 BStP; vgl. hierzu BGE 126 IV 203).
Damit stand fest, dass der Beschwerdeführer das falsche Rechtsmittel ergriffen hatte. Die Nichtigkeitsbeschwerde konnte das Bundesgericht auch nicht in eine staatsrechtliche Beschwerde uminterpretieren, weil der Beschwerdeführer weder eine Verfassungsverletzung noch einen Verstoss gegen kantonales Recht geltend machte.

Damit bleibt der Beschwerdeführer wohl auf seinen Kosten der Verteidigung und derjenigen der diversen Rechtsmittel sitzen, die wohl nicht wesentlich tiefer zu beziffern sind. Er wurde von den beiden Kantonen schlicht und einfach ausgetrickst. Er hätte nicht den Solothurner Entscheid anfechten sollen, sondern den Basler. Dabei hätte er nicht Nichtigkeitsbeschwerde, sondern staatsrechtliche Beschwerde führen sollen. Ob er damit letztlich zum Ziel gelangt wäre, bleibt allerdings offen.

Versuchte Veräusserungshilfe

In 6S.249/2005 vom 12.10.2006 musste sich das Bundesgericht mit dem Tatbestand der Hehelerei (Art. 160 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und mit dem Versuch (Art. 21 f. StGB) auseinander setzen. Es hob dabei ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich auf.

Der Beschwerdeführer hatte gestohlene Wertpapiere offenbar zwecks Abklärungen für die Täterschaft entgegen genommen, was gemäss Bundesgericht unter dem Aspekt der Veräusserungshilfe zu prüfen war. In der Lehre umstritten ist, ob für die Vollendung der Tat ein Veräusserungserfolg erforderlich ist. Dazu nimmt das Bundesgericht wie folgt Stellung:
Die Tat ist vollendet, wenn die Hilfe tatsächlich zur Veräusserung der Sache geführt hat. Bleibt es hingegen bei der geleisteten Hilfe und kommt in der Folge "der Handel nicht zustande", ist wegen Versuchs der Hehlerei schuldig zu sprechen (BGE 112 IV 78). In diesem Fall bleibt nämlich die Verfügungsgewalt beim Vortäter. Es kommt zu keinem Anschlussdelikt, mit welchem die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands vereitelt oder erschwert würde. Die rechtswidrige Vermögenslage wird durch den Vortäter selber aufrecht erhalten. Diese Auslegung steht somit auch im Einklang mit der Perpetuierungstheorie und ihrem Grundgedanken, der Restitutionsvereitelung E. 1.2).
Das Obergericht muss nun bei der Neubeurteilung von einer Veräusserhungshilfe ausgehen und die Frage des Versuchs prüfen, die es im angefochtenen Entscheid nicht in Erwägung gezogen hatte.

Selbstverschuldete Zurechnungsunfähigkeit

Das Bundesgericht hatte in einem heute online gestellten Entscheid einen Fall von Art. 263 StGB zu beurteilen (6S.49/2006 vom 03.11.2006). Der Beschwerdeführer hatte versucht, eine 78-jährige Besucherin seines Lokals zu vergewaltigen, nachdem er fünf Stangen Bier und eine Flasche Raki (türkischer Schnaps mit 45 vol%) getrunken hatte und eine Blutalkoholkonzentration von min. 1,6 und max. 3,14 Promillen aufwies. Dafür wurde er vom Obergeicht des Kantons Zürich wegen Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit verurteilt. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid bestätigt:
Die Feststellung der verminderten Zurechnungsfähigkeit bezieht sich ausschliesslich auf den Tatbestand von Art. 263 StGB und damit auf das Trinkverhalten vor der Rauschtat. Erst mit zunehmendem Alkoholkonsum verfiel der Beschwerdeführer in jenen alkoholinduzierten Dämmerzustand, der ihn seiner Einsichtsfähigkeit beraubte und in welchem er das Opfer zu vergewaltigen versuchte. [...] Ist demnach aber davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zu Beginn seines Alkoholkonsums noch schuldfähig war - wenn auch in stark vermindertem Masse - verletzt seine Verurteilung gemäss Art. 263 StGB Bundesrecht nicht.

Montag, November 20, 2006

Rechtswidrig unterlassene Information

In einem Staatshaftungsfall hat ein türkisch-schweizerischer Dopplebürger erfolgreich Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen abweisenden Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für die Staatshaftung geführt (Urteil 2A.212/2006 vom 09.10.2006).

Der Beschwerdeführer war in Deutschland augrund eines türkischen Auslieferungsersuchens in Ausschaffungshaft genommen worden und nach Aufhebung des Haftbefehls nach 112 Tagen wieder entlassen worden. Das Bundesamt für Justiz, das von der Ausschreibung Kenntnis hatte, teilte dem Beschwerdeführer die Ausschreibung nicht mit, obwohl das Bundesamt für Flüchtlinge der Auffassung war, er müsse über die internationale Fahndung orientiert werden. Wäre er orientiert worden, so machte der Beschwerdeführer geltend, hätte er sich nicht nach Deutschland begeben und wäre in der Folge nicht verhaftet worden.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:
Als anerkannter Flüchtling musste er nicht davon ausgehen, dass ihn sein Heimatstaat weiterhin - allenfalls in einem Drittstaat - strafrechtlich verfolgt; es bestand daher für ihn kein Anlass, auch nach so langer Zeit noch vorsichtigerweise - unabhängig von einem konkreten Ereignis - auf Auslandreisen zu verzichten. Das Auslieferungsersuchen stellte aber in jedem Fall eine Aktualisierung der an sich nur noch latent bestehenden Gefahr einer Strafverfolgung dar und indizierte ein erhöhtes Risiko für den Beschwerdeführer. Wäre der Beschwerdeführer nicht ins Ausland gereist, so wäre er dort nicht verhaftet worden, und der geltend gemachte Schaden wäre nicht eingetreten (E. 3.2).
Unter Berufung auf BGE 117 IV 209 stellte das Bundesgericht fest:
Somit besteht nach dem Gesagten eine sich aus dem sinngemäss anwendbaren Art. 62 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht VStrR (SR 313.0) ergebende Rechtspflicht der Rechtshilfebehörden, dem Verfolgten auch die (nur) mit diplomatischer Note erfolgte Ablehnung eines Auslieferungsersuchens mitzuteilen (E. 4.2).
Im weiteren erwog das Bundesgericht, dass sich eine Informationspflicht auch aus Art. 52 Abs. 1 IRSG ergeben könne, der offensichtlich eine Rechtsschutzregelung zu Gunsten des vom Auslieferungsbegehren Betroffenen darstelle (E. 4.3). Dies führte das Bundesgericht zu folgenden Schluss:
Indem das Bundesamt für Justiz dem Beschwerdeführer die Ablehnung der Auslieferung bzw. den Abschluss des Auslieferungsverfahrens nicht mitteilte, hat es somit eine zu Gunsten des Betroffenen geschaffene Schutznorm verletzt. Dass diese Unterlassung für die Verhaftung des Beschwerdeführers in Deutschland adäquat kausal war, wurde bereits ausgeführt. Damit braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob mit der unterbliebenen Orientierung über das später erlassene internationale Fahndungsersuchen von Interpol Ankara bzw. die internationale Ausschreibung durch das Interpol-Generalsekretariat ebenfalls eine Rechtspflicht verletzt worden ist (E. 4.4).
Damit muss die Vorinstanz bzw. wohl das neue Bundesverwaltungsgericht über die Schadenersatzbegehren entscheiden. Der Kläger macht CHF 47,137.00 als Haftentschädigung sowie CHF 22,400.00 als Genugtuung geltend.

Freitag, November 17, 2006

Klarstellung: Motassadeq verurteilt

Mein früherer Beitrag muss klar gestellt werden. Zu diesem Zweck zitiere ich aus der Pressemitteilung des BGH, der den Schuldspruch des OLG Hamburg gleich selbst geändert hat und die Sache nur zur Festsetzung der Strafe zurückgewiesen hat:
Auf die Revisionen des Generalbundesanwalts und zweier Nebenkläger hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte nicht nur der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern auch der Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren und Besatzungsmitgliedern der zum Absturz gebrachten Flugzeuge schuldig ist. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen besteht kein Zweifel, dass der Angeklagte vorsätzlich Hilfe zur Ermordung dieser Opfer geleistet hat. Seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit hierfür kann er entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht deswegen entgehen, weil die Attentäter wesentlich mehr Menschen ums Leben brachten, als er sich vorgestellt hatte.

Mit Blick auf den bisherigen Verlauf des Verfahrens und die in ihm gewonnenen Beweisergebnisse ist ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung dem Angeklagten ein darüber hinausgehender, die Tötung von Opfern in den Anschlagszielen einschließender Gehilfenvorsatz nachgewiesen werden könnte. Der Senat hat daher den Schuldspruch selbst geändert und die Sache lediglich zur Festsetzung einer neuen Strafe an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dabei wird dieses unter dem Gesichtspunkt der vom Angeklagten verschuldeten Folgen seiner Tat gegebenenfalls auch die von ihm nicht vorausgesehene gesamte Dimension des Unrechts der Anschläge vom 11. September 2001 zu berücksichtigen haben.
In der Zwischenzeit hat der BGH nun den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt (s. dazu auch NZZ).

Falsch aber nicht bundesrechtswidrig

Das Bundesgericht kritisiert in einem heute online gestellten Urteil (6S.243/2006 vom 04.10.2006), dass das Obergericht des Kantons Zürich angenommen habe, der schlechte Gesundheitszustand und eine ungünstige konstitutionelle Prädisposition des Opfers unterbreche den Kausalzusammenhang bei der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB, vgl. dazu BGE 131 IV 145 E. 5.3 S. 148 f.). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Opfers, das sich gegen die Einstellungsverfügung beschwert hatte, wies es dennoch ab:
Da jedoch laut Gutachten Heilungschancen bestehen, ist nicht voneiner dauernden Beeinträchtigung auszugehen. Allerdings erscheint nach dem Gutachten eine Chronifizierung nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass zurzeit mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mit einer dauernden Persönlichkeitsveränderung zu rechnen ist und daher nicht von einer schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 2 oder 3 in Verbindung mit Art. 125 Abs. 2 StGB gesprochen werden kann. Bei unsicherer Prognose ist in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo von einer Heilungschance auszugehen (Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage 1997, Art. 122 N 7). Schliesslich wäre nach dem Gutachten auch eine allfällige somatoforme Störung behandelbar, so dass auch insofern keine dauernde Beeinträchtigung zu erwarten wäre (E. 2.3).

Neuroimaging als Beweismittel?

Das Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) macht hier auf eine Veranstaltung von TA-Swiss vom 22. November 2006 aufmerksam. Hier ein paar Ausschnitte aus der Mitteilung:

Neuroimaging erlaubt, den Aufbau und das Funktionieren des Gehirns an lebenden Personen zu untersuchen. Weil das menschliche Gehirn mehr ist als ein gewöhnliches Organ, interessieren sich nicht nur Ärzte dafür. Auch Psychologinnen, Ökonomen und Juristinnen versuchen das Geheimnis des Gehirns zu bergründen.

Hirnbilder künftig in der Gerichtspraxis? Neuroimaging wird heute in der Grundlagenforschung, der biomedizinischen Forschung und Diagnose sowie bei der Therapie von Erkrankungen des Gehirns genutzt. Zudem untersuchen Forscher die kognitiven Leistungen. Sie setzen Neuroimaging auch in der forensischen psychologischen Forschung ein. Dabei geht es um folgende Fragen: Welche Modelle erklären kriminelles Verhalten am besten? Lassen sich auf die Hirnaktivität abgestützte Lügendetektoren entwickeln? Inwieweit lassen sich bei Straftätern abweichende Hirnfunktionen vorfinden? Die Möglichkeiten der neuen Technik könnten künftig auch Eingang finden in die Gerichtspraxis und die Therapie.

Dass das Geständnis als Königin der Beweismittel endlich abgelöst werden könnte, lässt ja durchaus hoffen. Aber was sich die Forschung vom Neuroimaging verspricht, ist zumindest beängstigend. Aber was sage ich da: Wer nicht über die Hirnfunktionen eines Straftäters verfügt, hat ja nichts zu befürchten.

Verordnungsdschungel

Der Bundesrat hat eine Sammelverordnung verabschiedet und teilt mit:
Im Bundesgerichtsgesetz (BGG) und Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG), die am
1. Januar 2007 in Kraft treten werden, werden die Rechtswege auf Bundesebene neu geregelt. Im Anhang zu diesen Gesetzen sind bereits die Rechtsschutzbestimmungen in anderen Bundesgesetzen angepasst worden. In einem zweiten Schritt werden nun noch 112 Verordnungen den neuen Rechtsschutzbestimmungen angepasst und sechs Verordnungen aufgehoben.
Die über 30-seitige Sammelverordnung findet sich hier.

Donnerstag, November 16, 2006

Motassadeq verurteilt

Gemäss espace.ch ist Mounir el Motassadeq (s. meinen früheren Beitrag) wegen Beihilfe zu Mords (Unterstützung der Piloten von 9/11) verurteilt worden. Aus dem Artikel:
In seiner Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende Richter, Motassadeq habe den Attentätern organisatorisch den Rücken freigehalten und damit Hilfe zu den Mordtaten der Todespiloten geleistet. Ihm sei zwar nicht zu beweisen gewesen, dass er die Dimension der geplanten Attentate gekannt habe. Darauf komme es
aber nicht an, da Motassadeq auf jeden Fall gewusst habe, dass Anschläge mit Flugzeugen geplant gewesen seien und die Opfer in Kauf genommen habe. Damit habe er sich der Beihilfe zum Mord mindestens im Falle der 246 Fluggäste und Besatzungsmitglieder schuldig gemacht.

Wenn der Richter den Anwalt verzeigt

Einem online offenbar nicht verfügbaren Artikel der gestrigen Ausgabe des Tages-Anzeigers ist zu entnehmen, dass gegen den Verteidiger von "Eldar S." während der Hauptverhandlung ein Verfahren wegen Verletzung der Berufspflichten eingeleitet worden war. Verzeigt wurde der Verteidiger vom zuständigen Einzelrichter, nachdem sich ein Verteidiger der angeklagten Polizisten beim Einzelrichter
über einen Artikel im «Tages-Anzeiger» vom 14. Januar 2006 beschwert [hatte]; darin werde aus geheimen Untersuchungsakten zitiert. Der TA veröffentlichte damals Aussagen eines Notfallpsychiaters, der Eldar S. nach seiner Verhaftung auf der Polizeiwache Urania zu betreuen hatte. Gemäss dessen ausführlichem Protokoll - es ist Bestandteil der Untersuchungsakten - soll der Arzt auf der Wache mit Belanglosigkeiten aufgehalten worden sein, was die Überführung des verletzten Eldar S. in ein Spital um Stunden verzögert habe.
Der verzeigte Anwalt ist nun kurz vor der obergerichtlichen Hauptverhandlung durch die Aufsichtskommission über die Anwälte entlastet worden:
Erstens sei gar nicht erwiesen, dass der Anwalt Kopien von Akten an die Presse oder andere Dritte weitergegeben habe. Zweitens bestehe für Rechtsanwälte auch in Strafverfahren kein absolutes Verbot, Kopien an Dritte weiterzugeben. Und drittens sei es grundsätzlich nicht verboten, Kopien an den eigenen Klienten zu überreichen, denn als Angeklagter habe dieser sowieso ein Akteneinsichtsrecht.
All dies ist ja nun nicht neu. Man fragt sich daher umso mehr, was den Richter veranlasst hat, während einer Hauptverhandlung die Anzeige gegen einen Anwalt einer Partei zu erstatten. Ich finde keine befriedigende Antwort.

Mittwoch, November 15, 2006

Neue Bundesgerichtsentscheide

Aus zeitlichen Gründen kann ich heute keinen der neu ins Netz gestellten Entscheide des Bundesgerichts kommentieren. Ich beschränke mich auf die Nennung der Urteile und die Ergebnisse:
  • 6S.272/2006 vom 20.10.2006, Verfahren, Art. 9 und 32 BV sowie Art. 6 Abs. 2 EMRK (Strafverfahren; Willkür, Unschuldsvermutung): StaBe Nichteintreten, NiBe abgewiesen, UP abgewiesen, NiBe der Staastanwaltschaft abgewiesen.
  • 6S.140/2006 vom 20.10.2006, Straftaten, Fahrlässige schwere Körperverletzung, einfache Verletzung der Verkehrsregeln): NiBe abgewiesen, UP abgewiesen.
  • 2A.345/2006 vom 24.10.2006, Wirtschaft, Unterstellungsverfahen betr. Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor): VerwGerBe abgewiesen.
  • 6S.414/2006 vom 02.11.2006, Verfahren, Strafverfahren; Willkürverbot, rechtliches Gehör, Unschuldsvermutung: StaBe abgewiesen, soweit eingetreten, NiBe abgewiesen.
  • 6S.327/2006 vom 02.11.2005, Straftaten, Einfache Körperverletzung, Notwehr (Art. 33 StGB); Diebstahl (Art. 139 StGB): NiBe abgewiesen, UP abgewiesen.
  • 1A.192/2006 vom 03.11.2006: Rechtshilfe und Auslieferung, Nachtragsersuchen i. S. Auslieferung an Deutschland: Antrag BJ gutgeheissen, Einrede abgewiesen, VerwGerBe abgewiesen.
  • 1P.664/2006 vom 03.11.2006: Strafprozess: StaBe abgewiesen, soweit eingetreten, UP gutgeheissen.
  • 6S.349/2006 vom 03.11.2006: Straftaten, Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung (Art. 164 StGB): NiBe abgewiesen, soweit eingetreten.
Nur die Beschwerde des Bundesamts für Justiz war teilweise erfolgreich. Sämtliche (privaten) Beschwerdeführer sind abgeblitzt. Dies bestätigt einmal mehr die hohe Qualität der Rechtsprechung der Vorinstanzen.

Dienstag, November 14, 2006

Fluchtgefahr auch nach über drei Jahren Haft

In einem heute online gestellten Entscheid schützt das Bundesgericht einen Haftentscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (1S.25/2006 06.11.2006). Gegen den Beschwerdeführer, der am 2. August 2003 in Mazedonien aufgrund eines internationalen Haftbefehls wegen des Verdachts auf Drogenhandel verhaftet worden war, liegt noch immer Fluchtgefahr vor. Ersatzmassnahmen, insbesondere Kaution, wurden als ungeeignet qualifiziert:
Dans ces conditions, il est extrêmement difficile, voire impossible d'évaluer le montant qui serait raisonnablement exigible et apte à écarter le risque de fuite, ou à atténuer ce risque dans une mesure suffisante, tout en garantissant que ce montant ne provienne pas des fonds à l'origine de l'activité délictueuse reprochée au recourant. Dans une telle situation, l'alternative ne consiste pas nécessairement dans la libération immédiate du prévenu, en cas de danger de fuite avéré, mais dans le maintien de la détention, pour autant que la durée de celle-ci ne soit pas excessive au regard de la peine encourue, ce qui est le cas comme on le verra plus loin (cf. arrêt 1P.764/2004 du 26 janvier 2005 consid. 5.2). Cela étant, la Cour des plaintes pouvait, sans violer la garantie de la liberté personnelle, confirmer le rejet de la demande de libération provisoire présentée par le recourant en raison d'un risque de fuite et s'abstenir de fixer un montant susceptible d'être déposé à titre de sûretés (E. 3.2).
Bezüglich Verfahrensdauer liess es das Bundesgericht bei den üblichen Ermahnungen bewenden, die dann doch nicht beachtet werden, selbstverständlich aus nachvollziehbaren Gründen:
Il convient d'en prendre acte en invitant le Juge d'instruction fédéral à prendre un soin tout particulier au bon déroulement de cette procédure et à clore l'instruction dans les plus brefs délais, de manière à ce que l'audience de jugement puisse intervenir au plus vite dans le courant de l'année 2007, comme le souligne le Ministère public de la Confédération (E. 4.2).

Montag, November 13, 2006

Drogenhandel oder Geldwäscherei?

Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Strafe im kantonalen Verfahren bereits von zehn auf zwei Jahre reduzieren konnte, blieb sie vor Bundesgericht (6S.38/2005 vom 02.20.2006) erfolglos. Aus dem heute online gestellten Urteil, welches der Kassationshof in Fünferbesetzung und nach einer Verfahrensdauer von fast zwei Jahren gefällt hat, kann folgendes zusammengefasst werden:

Das Bundesgericht stellte zunächst fest, dass Art. 277 BStP keinen selbständigen Beschwerdegrund vermittle (E. 1).

Die Beschwerdeführerin rügte, zu Unrecht als Mittäterin der Beteiligung am ganzen Drogenhandel verurteilt worden zu sein. Dazu der Kassationshof:
Denn, wie die Vorinstanz zu Recht annimmt, folgt aus der bandenmässigen Begehung des Drogenhandels, dass die konkreten Tathandlungen auch denjenigen Mitgliedern der Bande als Mittäter zugerechnet werden, welche einzelne von ihnen nicht unmittelbar selber begangen haben (vgl. BGE 118 IV 397 E. 2b und 3a). Das gilt auch für die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann, die nach den Feststellungen der Vorinstanz mit den Drogen konkret nichts zu tun hatten, sondern zur Hauptsache mit der Verwaltung und Weiterleitung des Erlöses aus dem Vertrieb der Betäubungsmittel befasst waren (E. 3.3).
Dass die Beschwerdeführerin durch die Vorinstanz vom Vorwurf der Geldwäscherei (teilweise) freigesprochen worden war, stellte das Bundesgericht nebenbei als Verletzung von Bundesrecht fest.

Eventualiter machte die Beschwerdeführerin geltend, sie sei allenfalls als Gehilfin zu verurteilen, nicht aber als Mittäterin. Dem hielt der Kassationshof entgegen:
Dass die Tatbeiträge der Beschwerdeführerin als Mittäterschaft zu qualifizieren sind, ergibt sich aus der Vertrauensstellung, die ihr in der Gruppe als Schwester der beiden Hauptakteure zukam. Die Vorinstanz nimmt denn auch an, sie habe ihren Ehemann, der in erster Linie mit der Verwaltung der aus dem Drogenhandel erzielten Gelder betraut war, im Sinne ihrer Familie zumindest mittelbar geführt, motiviert und ihn letztlich auch überwacht. Dass ihr eine wichtige Rolle zukam, ergibt sich, entgegen ihrer Auffassung, auch daraus, dass sie nach Auffinden des vorübergehend verschwundenen Geldes aus eigener Initiative einen Teil desselben nach Montenegro bringen wollte (E. 4.4).
Schliesslich ging es um die Frage der Konkurrenz zwischen Drogenhandel und Geldwäscherei. Hier wird die Begründung kritisch:
Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin in Bezug auf die Verwaltung des Drogenerlöses nicht der Geldwäscherei schuldig erklärt, sondern diese Handlungen als Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verstanden und unter Art. 19 Ziff. 2 BetmG gefasst. Insofern ist es folgerichtig, dass sie die Beschwerdeführerin von der Anklage der Geldwäscherei nicht formell freisprach, da nach ihrer Auffassung die Geldwäscherei durch die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz konsumiert wurde. Dies ist im Grunde nicht zu beanstanden. Dass diese rechtliche Würdigung der Vorinstanz Bundesrecht verletzt (E. 3.3; vgl. Parallelfall 6S.59/2005 E. 6.4), führt im vorliegenden Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis. Im Ergebnis ist die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht beschwert. Ihre strafrechtliche Verantwortung für die Verwaltung des Drogenerlöses ergibt sich hier aus denselben Überlegungen wie bei der Mittäterschaft in Bezug auf die eigentlichen Drogendelikte (E. 5.4).
Fazit: Eigentlich hat die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, was aber nicht an der strafrechtlichen Verantwortung ändert. Geldwäscherei - Drogenhandel - who cares?

Sonntag, November 12, 2006

Strafverfolger fordern den grossen Lauschangriff

In der heutigen SonntagsZeitung ist nachzulesen, dass Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz die Legalisierung des grossen Lauschangriffs fordern. Mittels Computerprogrammen, die heimlich auf den Rechnern von Benützern installiert werden, sollen etwa Telefongespräche und Tatstatureingaben aufgezeichnet und Festplatten durchsucht werden (vgl. dazu meinen früheren Beitrag). Selbst den Strafverfolgern gehen aber offenbar die Regelungen in der BWIS II (s. dazu meinen letzten Beitrag) zu weit, wonach der grosse Lauschangriff auch ohne strafrechtlich relevanten Verdacht möglich sein soll. Dafür fordern die Strafverfolger etwas anderes:
Hohe Bussen und Sanktionen gegen Telecomfirmen, die ihre Unterstützung der Strafverfolger bei der gesetzlich vorgesehenen Überwachung verweigern. Gleichzeitig sollen sie verpflichtet werden, die Verbindungsdaten nicht nur sechs Monate, sondern zehn Jahre aufzubewahren.
Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass die Kriminalitätsraten im langfristigen Trend nach wie vor sinken, obwohl alle paar Wochen neue Straftatbestände in Kraft treten und obwohl je länger je mehr Private – natürlich unter Strafandrohung und auf eigene Kosten – gezwungen werden, Vorgänge aufzuzeichnen, zu melden und den Strafverfolgern herauszugeben. Bestes Beispiel dafür ist die Geldwäschereibekämpfung, je länger je mehr aber auch die Kommunikationsüberwachung. Möglich ist das übrigens durch die Regulierung von immer mehr Lebensbereichen. Der Regulator erteilt Bewilligungen oder Konzessionen, die er zu entziehen droht, wenn die Auflagen nicht erfüllt würden. Eine Hand wäscht die andere.

Apropos Überwachung: Hier wieder einmal ein Hinweis auf einen Beitrag bei Akte Surveillance und eine der Folgen der Überwachung, nämlich die Ausschaltung der Unschuldsvermutung.

Mittwoch, November 08, 2006

Tötungsversuch durch Strafanzeige?

Gemäss einem heute online gestellten Urteil (1P.380/2006 vom 25.10.2006) hatte sich das Bundesgericht mit der staatsrechtlichen Beschwerde eines Mannes auseinanderzusetzen, auf dessen Strafanzeige die Staatsanwaltschaft nicht eingetreten war. In der Strafanzeige machte der Beschwerdeführer geltend, zwei der Beanzeigten hätten
gegen ihn eine haltlose Strafanzeige eingereicht und sich dabei ausgerechnet, er würde seine Verhaftung wegen seines bekannt schlechten Gesundheitszustandes nicht überleben (eventualvorsätzlicher Tötungsversuch). Dem damaligen Bezirks-und heutigen Staatsanwalt Hans Bébie warf er vor, er habe ihn nach der Verhaftung vom 3.Oktober 2000 trotz lebensbedrohender Atemnot-Attacken nicht angemessen medizinisch versorgen lassen.
Den Rest kann der geneigte Leser im oben verlinkten Entscheid selbst nachlesen. Wer darauf verzichtet, verpasst aber zumindest in rechtlicher Hinsicht wenig.

Samstag, November 04, 2006

Wucher gegenüber Geschäftsleuten

Das Obergericht des Kantons Zug hat den Geschäftsführer einer Gesellschaft, welche für ihre Kunden Anlagen in derivative Finanzinstrumente auf dem amerikanischen Markt tätigte, wegen gewerbsmässigen Wuchers (Art. 157 Ziff. 2 StGB) zu 18 Monaten Zuchthaus bedingt verurteilt. Seine Beschwerden ans Bundesgericht blieben nicht nur erfolglos, das Bundesgericht qualifizierte seine Rügen sogar als aussichtslos und verweigerte dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege (6S.29/2006 vom 18.10.2006).

Das Urteil ist insofern erwähnenswert, als an das Tatbestandselement der Unerfahrenheit der Geschädigten eher geringe Anforderungen gestellt wurden, zumal die Geschädigten Geschäftsleute waren:
Der Beschwerdeführer kritisiert diese Auffassung als unzutreffend und verweist darauf, dass die vier Geschädigten alle erfahrene Geschäftsleute seien, die sich in finanziellen Belangen auskennten. Dieser Umstand vermöchte die Unerfahrenheit gemäss Art. 157 StGB auszuschliessen, wenn die Geschädigten beim Vertragsabschluss über die Besonderheiten der Geschäfte mit Derivaten so weit aufgeklärt worden wären, dass sie die damit verbundenen spezifischen Risiken und das angewandte Geschäftsmodell in den Grundzügen hätten verstehen können. Der Beschwerdeführer behauptet zu Unrecht, dass eine solche Aufklärung erfolgte. In den Vereinbarungen mit der Y. AG bestätigten die Geschädigten wohl, über die Risiken des Handels mit derivativen Finanzinstrumenten und insbesondere auch über die Möglichkeit des Totalverlusts orientiert worden zu sein. Nach den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen der Vorinstanz (vgl. E. 4) wurden jedoch die vier Geschädigten über die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Derivatgeschäfts nicht informiert, und es wurden ihnen auch nicht die Grundlagen geliefert, die es ihnen durch eigenes Studium ermöglicht hätte, die Berechnungsart der Kommissionen und die praktisch inexistenten Gewinnchancen zu erkennen. Vielmehr fehlten ihnen bereits die Grundkenntnisse zum genauen Verständnis der abgeschlossenen Geschäfte (E. 6).

Freitag, November 03, 2006

Parlamentarischer Aktivismus

Auf der Website des Bundesparlaments finden sich die Vorstösse der Parlamentarier (Herbstsession 2006). Allein zu den in diesem Blog interessierenden Themen sind es die folgenden:

06.068 BRG : Bundesgerichtsgesetz und Verwaltungsgerichtsgesetz. Verordnung
06.459 Pa.Iv. Wicki: Aufhebung von Einschränkungen im Insiderstrafrecht
06.470 Pa.Iv. Leutenegger Oberholzer: Börsendelikte (Insidergeschäfte und Kursmanipulationen). Verschärfung des Strafrechts
06.472 Pa.Iv. Hess: Aufhebung der Rassismusstrafnorm
06.2025 Pet. Annabelle: Keine Schusswaffen zu Hause
06.3426 Mo. Wicki: Totalrevision des Insiderstrafrechts
06.3427 Ip. Sozialdemokratische Fraktion (Fraktion S): Swissfirst-Bellevue Bank-Connection. Schädigung von BVG-Versicherten
06.3428 Ip. Gysin: Strafrechtliche Verfahren gegen Schweizer Firmen aufgrund der Untersuchungen zum Oil for Food Programm der Vereinten Nationen
06.3430 D.Ip. Gentil: Swissfirst-Bellevue-Bank-Connection. Schädigung von BVG-Versicherten
06.3441 Ip. Freisinnig-demokratische Fraktion (Fraktion RL): Aufsicht über die Pensionskassen
06.3449 Ip. Forster-Vannini: Aufsicht über die Pensionskassen
06.3475 Ip. Gross: Strassburger Verurteilungen der Schweiz
06.3486 Mo. Teuscher: Rechtsgleichheit beim Telefonieren während dem Autofahren
06.3489 Ip. Gysin: Schutz vor Auslieferung in einen Staat, in dem Folter droht
06.3510 Mo. Hess: Klare Richtlinien für Drohneneinsätze
06.3532 Mo. Rennwald: Grundrecht: Recht auf Freizeit
06.3554 Mo. Hochreutener: Ausdehnung der Motion Schweiger auf Gewaltdarstellungen
06.3587 Ip. Leuenberger: Unannehmbare Äusserungen von Bundesrat Blocher in der Türkei
06.3589 Ip. Studer: Bundesrat Blochers Äusserung zur Rassismus-Strafnorm
06.3606 Ip. Aeschbacher: Kein Handlungsbedarf des Bundes beim Sterbehilfetourismus
06.3616 Mo. Freysinger: Einbürgerungsverfahren. Zugriff auf Vostra (automatisiertes Strafregister)
06.3621 Po. Baumann: Rechtshilfe in Strafsachen. Effektive Überwachung der Bundesanwaltschaft durch das Bundesamt für Justiz?
06.3622 Ip. Baumann: Moskau-Reise einer Viererdelegation der Bundesanwaltschaft
06.3623 Ip. Baumann: Rechtshilfe an Russland versus Menschenrechtsaussenpolitik
06.3625 Ip. Berset: Mangelnde Loyalität eines Bundesrats gegenüber der Schweiz und ihren Institutionen
06.3630 Po. Brunner: Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Fälschungen und Produktpiraterie
06.5167 Fra. Leutenegger Oberholzer: Verschärfung des Insiderstrafrechtes. Verschleppung 06.5179 Fra. Hess: Uno-Schelte wegen angeblichem Rassismus
06.5197 Fra. Wobmann: Überstellung ausländischer Straftäter ins Ausland

Die Einführung eines Vorstoss-Kontigents pro Parlamentarier wurde leider nicht beantragt.