Montag, Oktober 31, 2005

Bundesstrafgericht - neue Entscheide

Eine Reihe neuer Entscheide des Bundsstrafgerichts ist online. Soweit ersichtlich waren keine besonders interessanten Fragen zu beurteilen. Auffällig ist höchstens, dass die Beschwerdeführer mit zwei Ausnahmen (darunter Dieter Behring, vgl. meinen früheren Beitrag) erfolglos blieben. Zwei weitere Entscheide sind leider fehlerhaft verlinkt und bleiben uns verborgen.

Wieviele Bundesrichter?

Einen interessanten Aspekt zur Anzahl der Bundesrichter wirft fel. in die gegenwärtige Diskussion (s. Jusletter vom 31. Oktober 2005 (Nr. 254), S. 9 und NZZ Offline vom 31.10.2005). Er schlägt vor, fest fünf Richter pro Kammer (total nur 35!) zu wählen, damit der jeweilige Abteilungspräsident Grundsatzentscheidungen nicht bereits durch die Besetzung der Richterbank beeinflussen kann.

Maximalfrist für die Durchsuchung sichergestellter Computer?

The Volokh Conspiracy setzt sich hier mit United States v. Syphers auseinander, dem eine in der Schweiz - soweit ersichtlich - noch nie diskutierte Frage zugrunde liegt: Innert welcher Frist müssen die Strafverfolgungsbehörden einen bei einer Durchsuchung beschlagnahmten Computer analysieren?

Der Entscheid enthält interessante Ansätze, welche mit etwas Fantasie auch ins schweizerische Recht übersetzt werden könnten, obwohl wir jedenfalls auf Verfassungsstufe nichts mit dem Fourth Amendment Vergleichbares kennen.

Konfrontationsrecht verletzt

Das Bundesgericht kassiert ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau wegen Verletzung des Konfrontationsrechts im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK (BGE 6P.22/2005 vom 12.10.2005, zur Publikation in der AS vorgesehen):

"Indem der Belastungszeuge mehr als vier Jahre nach seiner ersten Befragung sich weigerte, auf Ergänzungsfragen des Angeschuldigten zu antworten, konnte dieser seine Verteidigungsrechte nicht wirksam ausüben. Der Angeschuldigte vermochte unter diesen Umständen den Beweiswert der ersten - ohne seine Mitwirkung erfolgten - Aussage weder auf die Probe noch in Frage stellen (BGE 129 I 151 E. 4.2 mit Hinweisen). Die kantonalen Behörden haben diesen Umstand selbst zu vertreten, weil sie nicht alles unternommen haben, um eine Konfrontation möglichst frühzeitig durchzuführen" (E. 2.3).

Samstag, Oktober 29, 2005

Die Anklageschrift gegen I. Lewis Libby

Nach bald zweijährigen Ermittlungen um die Enttarnung der ehemaligen CIA-Agentin Valerie Plame hat Sonderstaatsanwalt Fitzgerald eine erste Anklage erhoben. Die Anklageschrift finden Sie hier. Darin wird Libby nicht etwa vorgeworfen, Valerie Plame widerrechtlich enttarnt zu haben, sondern die Justiz in ihren Ermittlungen durch Falschaussagen behindert zu haben (s. dazu kritisch White Collar Crime Prof Blog). Ein gutes Update gibt die NZZ.

Freitag, Oktober 28, 2005

Jugendanwaltschaft Solothurn online

Die Jugendanwaltschaft des Kantons Solothurn ist mit einer ganzen Reihe wertvoller Informationen online. Sogar ein ausführliches "faq" fehlt nicht. Eigentlich eine wunderbare Vorlage für die neue Staatsanwaltschaft, aber die scheint nicht nur im Web noch offline zu sein.

Busseninkasso

Das Regionaljournal Aargau-Solothurn berichtet über die massive Zunahme von Bussen und die immer schlechter werdende Zahlungsmoral der Gebüssten im Kanton Solothurn. Die solothurnische Lösung: Mehr Personal für die Gerichtskasse.

Zurück ans Bundesstrafgericht

Mit Entscheid vom 17.10.2005 (BGE 1S.26/2005) hebt das Bundesgericht ein Urteil des Bundestrafgerichts (BV.2005.21 vom 18.07.2005) gegen die Zollverwaltung auf. Das Bundesstrafgericht hatte den Beschwerdeführer mit der Begründung geschützt, dass der Zolldirektor keinen schriftlichen Durchsuchungsbefehl im Sinne von Art. 48 Abs. 3 VStrR ausgestellt hatte. Dies genügte dem Bundesgericht offenbar (die Entscheide ergingen in italienischer Sprache) nicht, so dass das Bundesstrafgericht nun erneut entscheiden muss.

Organisierte Kriminalität und Menschenhandel

Der Bundesrat beabsichtigt gemäss Pressemitteilung vom 26.20.2005, dem UNO-Übereinkommen gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität beizutreten und die beiden Zusatzprotokolle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel zu ratifizieren. Er hat am Mittwoch eine entsprechende Botschaft verabschiedet.

Donnerstag, Oktober 27, 2005

Oil for food

NZZ Online berichtet über den heute veröffentlichen Schlussbericht der Volcker-Kommission zum "Oil for food"-Skandal und die in diesem Zusammenhang in der Schweiz laufenden vier Untersuchungsverfahren.

Die Schweizer Richterzeitung

Die Ausgabe 2005/1 der Schweizer Richterzeitung (nein, sie heisst nicht "Die schweizerische Richterzeitung") mit einer Reihe sehr interessanter Beiträge ist (noch) online verfügbar, darunter einem Artikel von Andreas Haldemann über die Protokollierung von Aussagen im Strafprozess. Anlass zum Artikel gab ein Vorstoss im Kantonsrat, der darauf abzielt, dass im Kanton Solothurn neu auch bei Gerichtsverhandlungen die Aussageprotokolle unterzeichnet werden müssen. ENDLICH!

Dieter Behring, Fotograf

Das Bundesstrafgericht "schützt" eine Beschwerde von Dieter Behring (BB.2005.72 vom 19.10.2005). Dieser hatte bei der Bundesanwaltschaft vergeblich beantragt, die beschlagnahmte Fotoausrüstung schonend benützen zu dürfen. Den abweisenden Entscheid der Bundesanwaltschaft qualifiziert das Bundesstrafgericht mit überzeugender Begründung als unverhältnismässig:

"Vielmehr erscheint es sinnvoll, dem Beschwerdeführer, dessen Vermögenswerte soweit bekannt umfassend beschlagnahmt worden sind, für die zu erwartende, lange Dauer des Strafverfahrens die Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit im Bereich der Fotografie zu eröffnen und ihm die hierfür notwendigen Gegenstände zur schonenden Benutzung zu überlassen (E. 5.2)."

Telefonüberwachung - Randdaten

CDT berichtet über die Praxis des U.S. Justiz-Departements bei der Erhebung von Randdaten und stellt zwei Entscheide ins Netz. Darin wird die Auffassung vertreten, dass die Lokalisierung von Handybenützern einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt und an die selben Voraussetzungen wie etwa eine Hausdurchsuchung geknüpft sein muss (vgl. dazu im schweizerischen Recht Art. 5 Abs. 1 lit. b BÜBPF und Art. 16 VÜPF).

Kriminalstatistik - Ländervergleich

Auf der Website nationmaster.com finden sich interessante Länderinformationen, u.a. auch Kriminalstatistiken. Die Zahlen für die Schweiz finden sich hier. Ins Auge sticht, dass die Schweiz gemessen an der Einwohnerzahl nach Norwegen weltweit die meisten Drogenprozesse (Quelle: UNODC).

Mittwoch, Oktober 26, 2005

Schengen und die Freiheitsrechte

Statewatch Online News präsentiert einen kritischen Beitrag von Balthasar Glättli und Heiner Busch zum Beitritt der Schweiz zu Schengen:

Switzerland votes in favour of accession to Schengen: a defeat for civil liberties.

"Spätestens nach den ersten Messerstichen ...

... wollte er sein Opfer töten." Gemäss Tagesanzeiger Online hat das Zürcher Obergericht Witali Kalojew, der in Kloten einen Fluglotsen der Skyguide niederstach, wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt. Aus der öffentlichen Urteilsberatung ging hervor, dass Kalojew in heftiger Gemütserregung getötet habe, diese sei aber nicht entschuldbar, sondern Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung sei.

Die Verteidigung hatte auf Totschlag plädiert. Das Strafmass steht noch aus.

update: 8 Jahre Zuchthaus (s. NZZ Online).

Beschlagnahme von Hanf

In einem heute online gestellten Entscheid hat das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die Beschlagnahme von Hanfprodukten abgewiesen (BGE 1P.442/2005 vom 12.10.2005). Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, die beschlagnahmten Gegenstände nicht in der Absicht der Gewinnung von Betäubungsmitteln hergestellt oder gelagert zu haben. Dagegen wandte das Bundesgericht u.a. folgendes ein:

"Es ist unbestritten, dass das beschlagnahmte Gut einen bedeutenden THC-Wert aufweist und insoweit geeignet ist, missbräuchlich im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zur Gewinnung von Betäubungsmitteln verwendet zu werden, sei dies durch den Beschwerdeführer selber oder bei Weitergabe durch Dritte. Insoweit erscheint es nicht willkürlich, das THC-haltige Gut vorderhand als grundsätzlich der Einziehung unterliegend zu betrachten und demnach gestützt auf § 96 Abs. 1 StPO zu beschlagnahmen bzw. nach § 98 Abs. 1 Ziff. 2 StPO nicht herauszugeben" (E. 3.2).

Mit dieser Begründung ist allerdings kaum ein Gegenstand vorstellbar, der nicht beschlagnahmt werden könnte. Entscheidend dürfte vielmehr sein, dass erst im "materiellen Verfahren" zu entscheiden sei, was der Beschwerdeführer mit den beschlagnahmten Gütern "beabsichtigte, welchen Gebrauch er davon machte und ob er mit Vorsatz handelte und demnach allenfalls gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat. Darüber ist im Beschlagnahme-Verfahren nicht zu befinden" (E. 3.2).

Dienstag, Oktober 25, 2005

Vogelgrippe und Strafrecht

Auf die heute in Kraft getretene Vogelgrippe-Verordnung sind die Strafbestimmungen des Tierseuchengesetzes (TSG) anwendbar. Tatsächlich haben gemäss Tagesanzeiger einige Kantone bereits die Polizei angewiesen, "nach freilaufenden Nutzvögeln Ausschau zu halten." Gemäss Art. 47 TSG beträgt die Strafe in schweren Fällen Gefängnis bis zu acht Monaten.

Urteil gegen Musikpiraten

Recht und Alltag berichtet über ein drakonisches Urteil des Amtsgerichts Leipzig gegen einen Musikpiraten.

Montag, Oktober 24, 2005

Unterschrift auf Vorladungen

Das Obergericht des Kantons Solothurn hat am 11. Juli 2005 ein spektakuläres Kreisschreiben betreffend die Unterschrift auf Vorladungen erlassen und ins Internet gestellt. Der Beschluss lautet wie folgt: "Anstelle der durch Stempel angebrachten Faksimileunterschrift können Unterschriften auf Vorladungsformulare aus dem Geschäftsverwaltungs- und Textverarbeitungssystem der Gerichte aufgedruckt werden." - Hey, dürfen wir das auch?

Die Begründung des Beschlusses könnte übrigens aus dem Werk eines grossen Autors stammen, der ja auch Jurist war: "Aus Gerichtskreisen ist die Frage an das Obergericht herangetragen worden, ob Vorladungen auch mit gedruckten Unterschriften versehen werden können."

Ruhe für mehrere Jahre

Der Bundesrat hat die Interpellation 05.3402 von Nationalrat Alexander J. Baumann (Dr. iur, SVP Thurgau) beantwortet. Die Antwort ist wenig erhellend und sagt im Wesentlichen nur, dass "die bestehenden Mängel in der Bundesanwaltschaft" erkannt seien. Unterhaltsamer ist hingegen der Text der Interpellation selbst, v.a. folgende Empfehlung, die unter Verteidigern zirkulieren soll:

"[...] ein Angeschuldigter könne ja mit seinen Mittätern ein Geständnis betreffend kriminelle Organisation ablegen, damit die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft provozieren und sich auf diese Weise Ruhe für mehrere Jahre verschaffen."

Bisher habe ich weder einen Anwalt noch einen Beschuldigten getroffen, der kühn genug für eine solche Strategie wäre. Doch wer weiss, vielleicht wird mir die Ehre ja noch zuteil, einmal einen Nationalrat zu vertreten. Für mehrere Jahre Ruhe könnte ich allemal garantieren und um die Oase der Ruhe wird sich der Bundesanwalt schon kümmern.

Guido A. Zäch - 16 Monate bedingt

Gemäss Newsticker der baz ist Guido A. Zäch auch in zweiter Instanz verurteilt worden: Mehrfache Veruntreuung, 16 Monate bedingt.

update: Gemäss NZZ Online wird Zäch den Entscheid beim Bundegericht anfechten. Der Beitrag enthält auch erste Einzelheiten aus der mündlichen Urteilsbegründung. Daraus kann bereits erahnt werden, dass Zäch sowohl Nichtigkeitsbeschwerde als auch staatsrechtliche Beschwerde führen wird, zumal die Verteidigung weder materiell noch formell (Anklageprinzip) durchgedrungen ist.

Freitag, Oktober 21, 2005

Selbstbelastungsfreiheit im Strassenverkehr

HRRS berichtet über EGMR No. 63207/00 vom 24.03.2005, Rieg c. Austria. Der Entscheid bestätigt im Wesentlichen EGMR No. 38544/97 vom 08.04.2004, Weh c. Austria.

Nach dieser Rechtsprechung "soll vor der Frage an einen Halter, dessen Fahrzeug bei der Begehung eines Verkehrsvergehens aufgezeichnet worden ist, ob er das Fahrzeug gefahren habe, nach den Umständen des Falles kein Schutz durch die Selbstbelastungsfreiheit bestehen, wenn keine formale Aufnahme eines Strafverfahrens gegen den Fahrer vorliegt" (Leitsatz HRRS).

S. dazu auch den Beitrag Kausalhaftung für Ordnungsbussen?.

Polizeischutz nach St. Galler Art

Die Strafbehörden des Kantons St. Gallen müssen laut einem heute online gestellten und zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid des Bundesgerichts (BGE 1P.440/2005 vom 06.10.2005) eine Strafuntersuchung gegen zwei Polizeibeamte eröffnen. Diese waren vom Beschwerdeführer angezeigt worden, nachdem sie ihn im Anschluss an eine Ausweiskontrolle festgenommen und nicht unerheblich verletzt hatten. Die Anklagekammer lehnte die Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Polizisten mit der Begründung ab, ihr Einsatz sei rechtmässig und durch die Amtspflicht nach Art. 32 StGB gedeckt gewesen. Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass die Beamten unzulässige und unverhältnismässige Mittel oder Gewalt angewendet hätten. Die für diese Feststellungen erforderlichen Abklärungen wurden aber gar nicht getroffen.

Der Beschwerdeführer berief sich vor Bundesgericht erfolgreich auf Art. 3 und Art. 13 EMRK. Das Bundesgericht zählt ausführlich auf, was die St. Galler Behörden alles unterlassen haben, um den Sachverhalt abzuklären: "Da dies alles unterblieben ist, haben die kantonalen Behörden den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine wirksame und vertiefte Untersuchung nach Art. 3 und 13 EMRK verletzt."

Zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist der Entscheid wohl aber bezüglich der Frage der Legitimation des Beschwerdeführers, die das Bundesgericht aus dem Anspruch auf eine vertiefte und wirksame Untersuchung bei vertretbarer Behauptung einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung (prozessualer Teilgehalt von Art. 3 EMRK) sowie aus Art. 13 EMRK ab.

Donnerstag, Oktober 20, 2005

Guido A. Zäch - Nichts Neues von der Verteidigung

Gerade 40 Minuten beanspruchte die Staatsanwältin für Ihre Replik auf das anderthalbtägige Plädoyer der Verteidigung, das sich hauptsächlich um die Mängel der Anklageschrift drehte. Dieser könne man nicht entnehmen, wer genau geschädigt worden sei und welchen Straftatbestand (ungetreue Geschäftsführung oder Veruntreuung) Zäch mit seinen Handlungen erfüllt haben soll. Überdies seien Ort, Zeit und nähere Umstände der Zäch vorgeworfenen Taten in der Anklageschrift nicht präzise festgehalten worden.

Das Anklageprinzip soll unter anderem sicherstellen, dass der Beschuldigte im Einzelnen erfährt, was ihm vorgeworfen wird - unabdingbare Voraussetzung jeder Verteidigung. Anderthalb Tage über nicht hinreichend bekannte Vorwürfe zu plädieren, könnte den Schluss nahelegen, dass die Anklage so unbestimmt nicht gewesen sein kann und dass die Verteidigung ihr eigenes Hauptargument gleich selbst widerlegt hat. Ungewohnt kritisch fällt denn auch die Berichterstattung in der NZZ aus, die von "endlosen Wiederholungen" oder "forschen Tönen" spricht. Das Urteil wird am Montag eröffnet.

Kausalhaftung für Ordnungsbussen?

Zahlreiche SVG-Delikte bleiben ungeahndet, weil die Fahrzeughalter ihre Täterschaft bestreiten und sich im Übrigen auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Gemäss Tagesanzeiger fordert nun der Chef des Zürcher Stadtrichteramtes, die Einführung einer Kausalhaftung des Fahrzeughalters für Ordnungsbussen, analog der bereits bestehenden Unfallhaftpflicht des Halters.

Nicht dass ich hier neue Anregungen zu schiefen Themen liefern möchte, aber man könnte ja gleich den Anwendungsbereich des neuen Unternehmensstrafrechts (Art. 100quater f. StGB), das ja (völlig überraschend?) vorwiegend im SVG-Bereich zur Anwendung kommt, auf Familien ausdehnen.

Haftprüfungssperre von unbestimmter Dauer verfassungswidrig

In einem "Stalker"-Strafverfahren hat ein Zürcher Haftrichter eine Sperrfrist für neue Haftentlassungsgesuche verfügt, die ausschliesslich vom Eintreffen einer weiteren (bzw. einer "abschliessenden klärenden") psychiatrischen Begutachtung abhängig war.

In einem ausführlich begründeten Entscheid (BGE 1P.547/2005 vom 10.10.2005) hebt das Bundesgericht die Sperre als verfassungswidrig auf. Der Entscheid ist wertvoll, weil er sich einlässlich mit der Zulässigkeit von Haftprüfungssperren auseinandersetzt.

Mittwoch, Oktober 19, 2005

Guido A. Zäch - Zweiter Verhandlungstag

Gemäss Tagesanzeiger konzentrierte sich die Verteidigung am zweiten Verhandlungstag darauf, die Anklage zu zerzausen und Gutachten einzureichen. Guido A. Zäch kann sich eine solche Verteidigung rein finanziell zweifellos leisten. Die Argumente der Verteidigung tönen ja auch ganz plausibel, aber ob da in Basel eine Atmosphäre aufgebaut wird (vgl. dazu auch meinen letzten Beitrag), die dem beantragten Freispruch förderlich ist, wage ich zu bezweifeln.

Haftentscheid aufgehoben - Haftbelassung gebilligt

Mit der Begründung, die Kollusionsgefahr sei "vorderhand ohne weiteres zu bejahen", wies eine Haftrichterin im Kanton Zürich ein Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Untersuchungshaft. Eine gegen den Entscheid gerichtete staatsrechtliche Beschwerde wurde nun vom Bundesgericht gutgeheissen (BGE 1P.633/2005 vom 11.10.2005), weil die Feststellung der Haftrichterin den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Haftentscheid nicht genügte. Dem angefochtenen Entscheid sei nicht zu entnehmen, weshalb weiterhin Kollusionsgefahr bestehen soll.

Wie so oft hat das Bundesgericht die ebenfalls anbegehrte Haftentlassung abgewiesen, obwohl es den die Rechtmässigkeit der Haft begründenden Haftentscheid aufgehoben hat:

"Daraus folgt indes nicht automatisch ein Anspruch auf Haftentlassung. Zum einen haben die kantonalen Behörden zu prüfen, ob der Haftgrund der Kollusionsgefahr ausreichend begründet werden könnte. Zum andern sieht die Strafprozessordnung des Kantons Zürich noch weitere (alternative) besondere Haftgründe (insbesondere Ausführungsgefahr) vor, die allenfalls in Frage kommen könnten (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1-4 StPO/ZH)" (E. 4.2).

Im Ergebnis wird jeder Haftrichter motiviert, auf aufwändige Begründung seiner Entscheide zu verzichten. Die meisten werden ohnehin nicht weitergezogen; werden sie es ausnahmsweise doch, liefert das Bundesgericht freundlicherweise ja dann gleich noch die möglichen Begründungsansätze mit.

Dienstag, Oktober 18, 2005

Guido A. Zäch - Persönliche Erklärung statt Antworten

Am ersten Verhandlungstag hat Guido A. Zäch (s. meinen früheren Beitrag) von seinem Recht Gebrauch gemacht, Fragen nicht zu beantworten. Statt dessen hat er eine persönliche Erklärung verlesen und sich einmal mehr als "Opfer menschenunwürdiger Anfeindungen und öffentlicher Diffamierungen" dargestellt (s. dazu die Online-Berichte in NZZ, Tagesanzeiger und BaZ).

Montag, Oktober 17, 2005

Serono - Vergleich

Das US Justiz-Departement orientiert über den Abschluss des Verfahrens gegen Serono, welcher vorgeworfen worden war, den Verkauf des Aids-Medikament Serostim in betrügerischer Art und Weise gefördert zu haben. Dazu gehörten der Einsatz eines nicht bewilligten Diagnose-Computerprogramms und verbotene Zuwendungen an Ärzte als Gegenleistung für die Verschreibung von Serostim. Die Vergleichssumme beträgt USD 704 Mio.

Der Vergleich wurde heute von Attorney General Alberto R. Gonzales anlässlich einer Pressekonferenz vorgestellt (s. auch die Medienmitteilung).

Telefonüberwachung in der Schweiz

Markus Steudler von der NZZ am Sonntag (kostenpflichtig) berichtet über Pannen (und erstaunliche Lücken) bei der inzwischen zentralisierten Telekommunikationsüberwachung. Angesichts der in der Schweiz nicht publizierten Statistiken sind auch die im Artikel genannten Zahlen interessant. So sollen im Jahr 2004 "2,437 Geräte oder Nummern" überwacht worden sein. Pro Tag sollen 6 bis 7 Überwachungen neu angeordnet und täglich mehrere Dutzend Verdächtige abgehört werden (s. dazu auch die Antwort des Bundesrats auf eine einfache Anfrage im Parlament aus dem Jahr 2002).

"Gezielter Terror" im Strassenverkehr

Das Bundesgericht weist die Beschwerden eines verurteilten Automobilisten ab (6P.86/2005 vom 01.10.2005), der auf der Autobahn einem anderen in zu geringem Abstand gefolgt war und ihn anschliessend auf einer Überlandstrasse zum Anhalten genötigt und bedroht hat. Dazu das Bundesgericht:

"Dieser 'gezielte Terror' des Beschwerdeführers wurde zu Recht als Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB qualifiziert."

Absichtsprovokation / Notwehrexzess

In einem am Freitag online gestellten Urteil (6S.268/2995 vom 09.08.2005) hat der Kassationshof des Bundesgerichts einen Entscheid des Kriminalgerichts Solothurn geschützt. Dieses habe die Absichtsprovokation zu Recht verneint, sei aber zutreffend davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die Notwehrsituation in einem Ausmass verschuldet, dass sein Abwehrrecht eingeschränkt war.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

'Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz kam es am 5. Dezember 1998 vor dem Dancing "B.________" zunächst zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und A.________, an welcher auf Seiten des Beschwerdeführers weitere Personen teilnahmen. Danach entfernte sich A.________, der verletzt wurde, vom Ort des Geschehens. Der Beschwerdeführer, der aufgrund früherer Begegnungen das Aggressionspotential des A.________ kannte, war sich darüber im Klarem, dass dieser den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen würde. Als A.________ etwas später in Begleitung einiger Personen wieder vor dem Dancing auftauchte, liess sich der Beschwerdeführer von einem Bekannten eine Schusswaffe geben. In der Folge standen sich der Beschwerdeführer und A.________ vor dem Dancing mit gezückten Schusswaffen gegenüber. Es kam zum Schusswechsel. Da nicht geklärt werden konnte, wer als Erster geschossen hatte, ging die Vorinstanz im vorliegenden Verfahren zu Gunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass A.________ zuerst das Feuer eröffnet habe, worauf der Beschwerdeführer aus seiner Deckung heraus in Richtung von A.________ zurückgeschossen und diesen mit einer Kugel im Brustbereich getroffen habe.'

Sonntag, Oktober 16, 2005

Fehltritt der Verteidigung?

Nächste Woche soll vor dem Appellationsgericht Basel-Stadt die Appellationsverhandlung im Strafverfahren gegen den Beschuldigten Guido A. Zäch stattfinden.

Unmittelbar vor Verhandlungsbeginn schaltet sich die SonntagsZeitung mit zwei fragwürdigen Berichten und einem amüsanten Leserbrief des Beschuldigten ein.

Die SonntagsZeigung "enthüllt", dass die Verteidigerin ein Gespräch mit (mindestens) einer Entlastungszeugin geführt habe, was in "Fachkreisen" und bei einem Vorstandsmitglied des Schweizerischen Anwaltsverbands SAV Verwunderung auslöse. Es sei Anwälten grundsätzlich nicht erlaubt, im Vorfeld und während eines Prozesses Kontakte zu Zeugen pflegen. Dies könne zu Disziplinarverfahren und schlimmstenfalls zum Entzug des Anwaltspatents führen. Die Bestimmungen im neuen Anwaltsgesetz (BGFA) seien klar.

Wer die angeblich klare Bestimmung findet, möge mich aufklären. Klar sind höchstens die Absichten der SonntagsZeitung, die auf Kosten der Verteidigerin zwei Entlastungszeuginnen demontiert. Fehltritt der SonntagsZeitung?

Donnerstag, Oktober 13, 2005

Die Schweiz im Geldwäscherei-Examen

Gemäss Pressemitteilung eines US-Bundesanwalts wird in Kansas City gegen einen eingebürgerten Somalier ermittelt, der in der Stadt ein kleines somalisches Lebensmittelgeschäft betrieben hatte und dann als Taxifahrer tätig war.

Ihm wird in 19 Anklagepunkten vorgeworfen, ohne Bewilligung entgeltliche Bankgeschäfte betrieben zu haben, indem er u.a. bei einer Genfer Bank unter falschem Namen Konti eröffnet und ca. USD 350,000.00 in Tranchen von jeweils unter USD 10,000.00 (vgl. dazu 31 U.S.C. 5324) überwiesen habe.

In 6 weiteren Anklagepunkten wird ihm vorgeworfen, beim Bezug von Lebensmittelmarken falsche Angaben zu seinem Einkommen und Vermögen gemacht zu haben.

Der Fall wird wohl nicht so gravierend sein, dass Die Schweiz im Geldwäscherei-Examen (NZZ) durchfallen wird.

Ungenügende Verteidigung

Gemäss Tagesanzeiger hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich das Urteil des Obergerichts gegen Erwin Kessler aufgehoben und angeordnet, die erstinstanliche Verhandlung zu wiederholen. Die Verteidiger hatten sich geweigert zu plädieren mit der Begründung, sie hätten sich bei wirkungsvoller Verteidigung selbst der Rassendiskriminierung strafbar gemacht (s. dazu meinen damaligen Beitrag). Dem widerspricht das Kassationsgericht zwar, was aber nichts daran ändere, dass eine notwendige Verteidigung auch gehörig sein muss. Dies habe das Gericht sicherzustellen.

Mittwoch, Oktober 12, 2005

Der Einziehung unterliegende "Steuerersparnisse"

In einem weiteren Steuerstrafverfahren gegen die Eheleute X. hatte das Bundesgericht gleich vier Entscheide des Bundesstrafgerichts vom 08.11.2004 (BK_B 086/04, BK_B 088/04, BK_B 084/04 und BK_B 085/04) zu überprüfen. Das Bundesgericht hat die Beschwerden in einem einzigen Entscheid (1S.5-8/2005 vom 26. September 2005) abgewiesen, soweit es darauf überhaupt eintrat.

Die Beschwerdeführer hatten sich gegen die zur Sicherung einer allfälligen strafrechtlichen Sanktion erfolgten Beschlagnahmungen bzw. Grundbuch und Kontensperren der Abteilung BSU hauptsächlich mit der Begründung gewehrt, die streitigen Zwangsmassnahmen entbehrten einer gesetzlichen Grundlage.

Das Bundesgericht erinnert an seine frühere Rechtsprechung: „Der möglichen strafrechtlichen Einziehung unterliegen nach dieser Praxis ‚alle wirtschaftlichen Vorteile, die sich rechnerisch ermitteln lassen und die direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sind’ (BGE 120 IV 365 E. 1d S. 367 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 IV 4 E. 2a/bb S. 7). ‚Bei der Steuerhinterziehung’ bestehe ‚der sich aus dem Delikt ergebende Vermögensvorteil im Gegenwert der hinterzogenen Steuern’ (BGE 120 IV 365 E. 1d S. 367 mit Hinweisen)“. Daraus ergebe sich, dass widerrechtliche fiskalische Steuerersparnisse jedenfalls im Rahmen einer vorläufigen Massnahme grundsätzlich einzugsfähig i.S.v. Art. 59 Ziff. 1 StGB seien. Art. 46 Abs. 1 lit. B VStrR i.V.m. Art. 191 Abs. 1 DBG biete eine ausreichende gesetzliche Grundlage.

Im Übrigen äusserte sich das Bundesgericht zum als unrechtmässig behaupteten Vorgehen beim Vollzug der Zwangsmassnahmen, was es eigentlich wohl gar nicht musste:

„Bei der Beschlagnahme von Akten sind (schon zur Wahrung der Verhältnismässigkeit) jene Dokumente auszuscheiden, die für die Untersuchung offensichtlich irrelevant sind. Zu diesem Zweck darf grundsätzlich eine grobe thematische Sichtung vorgenommen werden. Anders zu entscheiden hiesse, dass zwangsläufig alle vorgefundenen Akten beschlagnahmt werden müssten. Diese grobe Triage darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, Privat-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnisse zu verletzen bzw. ein allfälliges Entsiegelungsverfahren zu umgehen. Falls der Betroffene die Versiegelung beantragt bzw. schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen geltend macht, dürfen die Dokumente bei der Beschlagnahme noch nicht im Detail durchsucht und ausgewertet werden. Der Betroffene hat allerdings die Obliegenheit, die Untersuchungsbehörde bei der thematischen Triage von Dokumenten zu unterstützen; auch hat er jene Aktenstücke zu benennen, die seiner Ansicht nach der Geheimhaltung und Versiegelung unterliegen. Die vorliegenden Akten lassen das Vorgehen der EStV nicht als bundesrechtswidrig erscheinen.“ (E. 7.6, Hervorhebung durch mich).

Entsiegelung beschlagnahmter Akten

In einem Steuerstrafverfahren hat die Abteilung BSU in den Räumlichkeiten der B. GmbH diverse Schriftstücke beschlagnahmt. Der Geschäftsführer der GmbH erhob Einsprache, was zur Siegelung der Unterlagen führte. Mit Urteil vom 13. Juli 2005 (BE.2005.2) hiess das Bundesstrafgericht ein Entsiegelungsgesuch der EStV gut. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde von X. und von Y. AG trat das Bundesgericht in einem heute online gestellten Entscheid (BGE 1S.28/2005 vom 27.09.2005) nicht ein.

Auch im Verwaltungsstrafverfahren ist nach E. 2.4.3 des zitierten Entscheids nur der Inhaber der Papiere berechtigt, deren Versiegelung zu verlangen. Dritte wie etwa der Beschuldigte sind in diesem Verfahren nicht Parteien (anders noch in BGE 104 IV 125 E. 1 S. 129). Solchen Dritten kann ein Beschwerderecht nach Art. 214 Abs. 2 BStP nur zustehen, wenn sie durch die Entsiegelung einen ungerechtfertigten Nachteil erleiden. Darauf ging das Bundesgericht dann aber nicht näher ein und stellte stattdessen fest:

„Es wäre widersprüchlich und würde dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen, wenn Dritten, die keine Möglichkeit haben, sich der Durchsuchung der Papiere zu widersetzen und deren Versiegelung zu beantragen, im Rechtsmittelverfahren die Möglichkeit eingeräumt würde, Beschwerde gegen den Entsiegelungsentscheid zu führen, obwohl dieser vom unmittelbar betroffenen Inhaber der Papiere akzeptiert wird“ (E. 2.5.2).

Dienstag, Oktober 11, 2005

Informationsaustausch in der EU

Die Kommission legt einen neuen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden [KOM(2005) 475 endg.] .

Art. 1 Ziff. 2 lautet wie folgt:

"Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber den zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten nicht aus Gründen, die mit dem Schutz personenbezogener Daten gemäß diesem Rahmenbeschluss zusammenhängen, eingeschränkt oder untersagt wird."

Montag, Oktober 10, 2005

Akkreditierung am Bundesstrafgericht

Drei hauptberuflich als Berichterstatter am Bundesgericht tätige Journalisten sehen in den Akkreditierungsrichtlinien des Bundesstrafgerichts eine Verletzung der Pressefreiheit. Aus diesem Grund haben sie nur mit ausdrücklichen Vorbehalten um eine Akkreditierung am Bundesstrafgericht ersucht. Das Gericht soll in der Folge den Akkreditierungsgesuchen entsprochen, aber gleichzeitig die Vorbehalte zurückgewiesen haben. Damit sei gemäss "fel." (vgl. seinen Artikel in der NZZ, Gewitterwolken über Bellinzona) eine heikle Rechtslage entstanden. Im zitierten Artikel legt "fel." dann auch gleich ein Rezept vor, die heikle Rechtslage zu Umschiffen:

"Als kluger und verfassungsmässiger Ausweg verbliebe die Möglichkeit, die Bestimmung einfach nicht anzuwenden, so dass sie, sanft entschlafend, toter Buchstabe würde. Genauso tot übrigens, wie jener Artikel in den Akkreditierungsrichtlinien es bereits sein dürfte, der von den Journalisten verlangt, die ihnen abgegebene Anklageschrift spätestens 14 Tage nach Abschluss des Verfahrens zu vernichten . . ."

Noch um einiges klüger wäre es doch, die Akkreditierungsrichtlinien anzupassen, aber das ist wohl zu viel verlangt.

Verwahrung - formelle Voraussetzungen

Das Bundesgericht heisst eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau nach Art. 277 BStP mangels hinreichender Sachverhaltsabklärung gut (BGE 6S.258/2005 vom 24.09.2005). Das Obergericht hatte einen Mann verwahrt, obwohl zur Frage der Notwendigkeit der Verwahrung aus dem Gutachten nichts abzuleiten war.

Aus der Begründung des Bundesgerichts: "Angesichts der Tragweite der Entscheidung für den Betroffenen ist der Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Verwahrung strikte Nachachtung zu verschaffen. Dazu gehört die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, das sich zu den entscheidrelevanten Fragen aus fachärztlicher Sicht klar und schlüssig äussert" (E. 2.3).

Freitag, Oktober 07, 2005

Cicero-Affäre und Pressefreiheit

In meinem gestrigen Beitrag habe ich verpasst, auf den Zusammenhang hinzuweisen, in dem der Artikel von Baumann stand: die Cicero-Affäre, die in Deutschland die Themen um die Spiegel-Affäre aus dem Jahr 1962 neu lanciert hat.

In einem wenig überzeugenden Artikel in der NZZ bezeichnet Sabine Pamperrien die Debatte um die Medienfreiheit als überhitzt; wenig überzeugend deshalb, weil sie sich weitgehend darauf beschränkt, den Artikel von Bruno Schirra zu kritisieren, der die Debatte ausgelöst hat. Diesen finden Sie hier. Ein aktuelles Interview mit Bruno Schirra ist im Berliner Tagesspiegel nachzulesen.

Ich bleibe dabei, dass sich die politische Presse wieder auf ihre Rolle als vierte Gewalt im Staat besinnen sollte. Als Sprachrohr der Exekutive, als das sie sich vor allem in der konkordanten Schweiz offenbar versteht, braucht sie keine Pressefreiheit.

Herbstsession 2005

Die Texte der Schlussabstimmungen der Herbstsession der eidgenössischen Räte sind online. Aus straf- und strafprozessrechtlicher Sicht ist auf folgende zu verweisen:


Journalisten im Visier der CH - Justiz?

In der Mittelland Zeitung vom 06.10.2005 stellt Oliver Baumann zumindest subjektiv (man will ja nicht gleich anecken) eine Häufung von Fällen fest, in denen die Strafverfolgungsbehörden auch in der Schweiz gegen investigative Journalisten vorgehen.

Schlechter Lohn für zumindest subjektiv zu wohlwollend erscheinende Berichterstattung?

Donnerstag, Oktober 06, 2005

Tod nach Polizeigewahrsam

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt teilt mit, dass gestern ein Mann trotz Kopfverletzungen mehrere Stunden in eine Ausnüchterungszelle gesperrt wurde, bevor er ins Universitätsspital verlegt wurde, wo er verstorben ist:

"Am gestrigen Mittwoch, 5.10.05, ist der Eingelieferte im Universitätsspital verstorben. Gemäss Feststellungen des Institutes für Rechtsmedizin weist der Verstorbene, ein 59-jähriger Schweizer, Verletzungen an Kopf und Händen auf, die auf einen Sturz zurückzuführen sein dürften. Aufgrund des Umstandes, dass der Verstorbene vor seiner Spitaleinlieferung während Stunden in der Ausnüchterungszelle belassen wurde, ohne dass in dieser Zeit sein ernster Gesundheitszustand erkannt bzw. zur Kenntnis genommen wurde, hat die Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalles eine Strafuntersuchung eingeleitet."

Strafzumessung in Hanfprozessen

In zwei heute auf dem Internet publizierten Entscheiden vom 21.09.2005 (6S.186/2005 und 6S.231/2005) weist das Bundesgericht die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ab. Diese hatte die Strafzumessungen der Vorinstanz (18 bzw. 7 Monate bedingt) als zu mild qualifiziert.

Barnevik und Lindahl

Die Strafuntersuchung gegen die beiden ABB Pensionäre ist eingestellt worden. Anlass gab das Bekanntwerden der Altersbezüge der beiden ehemaligen Topmanager, die sich CHF 148 bzw. 85 Mio. zusichern liessen. Laut NZZ begründete die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ihren Entscheid damit, dass eine strafrechtliche Handhabe fehle, sofern nicht formelle Vergehen wie «bilanzkosmetische Eingriffe» oder gar Veruntreuungen festzustellen sind.

Damit werden sicher wieder Forderungen nach neuen Straftatbeständen laut werden. Ich tippe auf eine Nationalrätin, die in hier kürzlich auch schon erwähnt wurde.

Mittwoch, Oktober 05, 2005

SUVA-Immobilienaffäre

Laut einer Medienmitteilung vom 4. Oktober 2005 wird das Strafverfahren von der Bundesanwaltschaft übernommen. Diese hat ein Delegationsbegehren der Tessiner Staatsanwaltschaft abgewiesen und damit das Verfahren an sich gezogen. Die Begründung mutet zumindest teilweise etwas befremdlich an:

„Aufgrund des bisherigen Verlaufs des Ermittlungsverfahren und im Hinblick auf allfällige weitere Abklärungen über die internen Entscheidungsprozesse im Immobilienbereich der SUVA sowie unter Berücksichtigung des nationalen Interessens drängt sich die Übergabe des Strafverfahrens an die Strafverfolgungsbehörde des Bundes trotz der grundsätzlichen Bereitschaft der Tessiner Ermittlungsbehörden zur weiteren Untersuchung des Sachverhalts auf.“

Dienstag, Oktober 04, 2005

Folter im Rechtsstaat?

Die NZZ weist auf den neuen Titel "Folter im Rechtsstaat?" des Literaturwissenschafters Jan Philipp Reemtsma hin, der das heute wieder aktuelle Thema (s. hier und hier) aus der Perspektive eines Bürgers beleuchtet, der über die Entwicklung des deutschen Rechtsgeschmacks besorgt ist.

Unabhängiger Haftrichter

Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde gegen ein abgewiesenes Haftentlassungsgesuch gut, ohne allerdings den Gesuchsteller aus der Haft zu entlassen. Das Urteil vom 14.09.2005 (1S.25/2005) ist zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen und korrigiert den Entscheid des Bundesstrafgerichts vom 22.06.2005 (BH.2005.14).

In BGE 131 I 66 hatte das Bundesgericht entschieden, dass der Eidg. Untersuchungsrichter strafprozessuale Haft anordnen kann und damit als Richter im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art. 31 Abs. 3 BV gelten kann. Für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen soll nun auch der Eidg. UR, jedenfalls nicht der Bundesanwalt, zuständig sein:

"Une deuxième solution dès lors s'impose, consistant à ce que le Procureur fédéral, lorsqu'il envisage de rejeter la demande de libération provisoire selon l'art. 52 al. 1 PPF, transmette la cause pour décision, avec son préavis, au Juge d'instruction fédéral. Ce magistrat présente en effet toutes les garanties l'indépendance requises par les art. 31 al. 3 Cst. et 5 par. 3 CEDH pour statuer sur ce point. Sa compétence dans la matière, déjà acquise pour ce qui est de l'instruction préparatoire (art. 47 ch. 2 PPF), doit ainsi être étendue à la phase de l'enquête préliminaire" (E. 1.4).

Montag, Oktober 03, 2005

Literaturhinweis: EuGRZ

Das aktuelle Heft der Europäischen Grundrechte Zeitschrift EuGRZ enthält folgende besonders lesenswerte Beiträge:

Aufsatz:
- Christian Tomuschat kritisiert das Urteil des BVerfG über den Europäischen Haftbefehl (s. meinen früheren Beitrag).

Entscheidungen (wie immer übersetzt):
- Lors of Appeal, 16.12.2004 (s. dazu meinen früheren
Beitrag).
- EGMR, 24.03.2005, Epple c. Deutschland.
- BVerfG, 18.08.2005, wonach ein nach (zunächst) rechtskräftiger Verurteilung erloschener Haftbefehl durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für Revisionsverfahren vor BGH nicht wieder auflebt (2 BvR 1357/05).

Sonntag, Oktober 02, 2005

Fingerabdrücke - mehr Kunst denn Wissenschaft

Die NZZ am Sonntag berichtet über eine Studie von Simon A. Cole, welche 22 Fehlverurteilungen in den USA wegen falscher Zuordnung von Fingerabdrücken nachweist. Die Gründe liegen in der mangelnden Wissenschaftlichkeit, der mangelnden Ausbildung und der fehlenden Fehlerdebatte.

In der Schweiz sind keine solchen Fehler bekannt, was nicht weiter erstaunlich ist. Hier läuft ein Verteidiger ja fast schon Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben, wenn er eine polizeiliche Zuordnung von Fingerabdrücken oder gar ein forensisches Gutachten auch nur anzweifelft (vgl. dazu auch Hinweise zum Beweiswert von DNA-Analysen in einem früheren Beitrag).

Samstag, Oktober 01, 2005

SUVA-Immobilienaffäre

Gemäss Tages-Anzeiger Online hat ein Zeuge ausgesagt, dass bei den Immobilienverkäufen der SUVA Schmiergeldzahlungen in der Höhe von CHF 1 Mio erfolgt seien. Der Makler, der Liegenschaften unter Marktwert erwerben konnte, soll das Geld in einem Koffer via einer Luzerner Anwaltskanzlei überbracht haben.

Redimensionierung Bundesstrafgericht

Laut NZZ hat der Bundesrat das Bundesstrafgericht redimensioniert. Anstatt zweier Gebäude soll eines reichen und die Zahl der Mitarbeiter soll nur auf 60 erhöht werden. Damit werden allein die vorgesehenen Umbaukosten um CHF 20 Mio. reduziert.