Freitag, September 30, 2005

Korrespondenz von Untersuchungsgefangenen

In einer swisslawlist-Diskussion über die Aktennahme von Korrespondenz zwischen Häftling und Anwalt hat sich ein Untersuchungsrichter wie folgt geäussert:

"Korrespondenz von U-Haeftlingen habe ich als UR in ..... frueher in gewissen Faellen bei Kollusionsgefahr kopiert und zu den Akten gelegt (zu den persoenlichen), aber ich glaube, das ging dann nicht ans Gericht (bin mir da aber nicht sicher). Das war so ein Routinevorgang."

Gut zu wissen!

Judith Miller - Beugehaft beendet

Gemäss New York Times ist die Reporterin Judith Miller gestern nach 12 Wochen aus der Beugehaft entlassen worden (s. dazu meine früheren Beitrag). Offenbar hat die Quelle, die Miller geschützt hatte, ihr Einverständnis zu den nun erwarteten Aussagen erteilt.

Donnerstag, September 29, 2005

Strafverteidiger als Kreditgeber?

Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat mit Entscheid vom 22. August 2005 (BB.2005.73 + 74) eine Beschwerde zweier der Geldwäscherei Beschuldigter abgewiesen, die erfolglos beantragt hatten, von den beschlagnahmten Vermögenswerten CHF 50,000.00 (0.5%) für ihre Verteidigungskosten freizugeben. Zur Begründung spekuliert das Bundesstrafgericht, dass die Beschuldigten bisher entweder über die erforderlichen Mittel zur Bezahlung ihres Anwalts verfügten oder dass dieser auf Kredit arbeitete und den Kostenvorschuss (CHF 500.00) für das Beschwerdeverfahren aus eigener Kasse geleistet habe.

Der Anwalt wird nun wohl oder übel die amtliche Verteidigung beantragen müssen (was ihn nebenbei von einem allfälligen Verdacht schützt, sich selbst der Geldwäscherei schuldig machen zu können). Wird die amtliche Verteidigung bewilligt, zahlt der Staat die Kosten, die dann halt doch den beschlagnahmten Vermögenswerten zu entnehmen sein werden. Der Unterschied liegt darin, dass die Kosten der amtlichen Verteidigung deutlich tiefer liegen werden, was die zu Gunsten des Staates einzuziehenden Vermögenswerte schont.

Fristwahrung

Mit Urteil vom 08.09.2005 (1P.380/2005) weist das Bundesgericht eine Willkürbeschwerde in Sachen Fristwahrung ab. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass der Beschwerdeführer das Beweisrisiko für die rechtzeitige Postaufgabe trägt und gibt gleichzeitig Hinweise, wie dieses Risko reduziert werden kann.

Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, die Tochter seines Anwalts, die Jura studiere, habe den Brief beim "Treffpunkt" östlich des Hauptbahnhofs St. Gallen eingeworfen. Ihr Zug sei um 24.02 Uhr nach Herisau abgefahren, weshalb der Brief vor 24.00 Uhr der Post übergeben worden sei. Dagegen stand eine Auskunft des Briefzentrums St. Gallen, wonach ein Brief, der am Freitag, 26. November 2004, kurz vor Mitternacht eingeworfen werde, am Samstag gestempelt worden wäre.

Mittwoch, September 28, 2005

Neue Entscheide des Bundesstrafgerichts

Das Bundesstrafgericht hat eine Reihe neuer Entscheide online gestellt.

Die Publikationspraxis ist äusserst erfreulich. Weniger erfreulich ist, dass die interessierte Öffentlichkeit jeweils nicht über die Aktualisierungen orientiert wird (man denke an einen News-Feed oder an einen abonnierbaren Newsletter). Die auf der Website angekündigten Aktualisierungsdaten stimmen übrigens nie.

Strafbares Heliskiing

Mountain Wilderness ist mit den verhängten Bussen gegen den VR-Präsidenten und gegen zehn Piloten der Air Zermatt (total CHF 20,000.00) nicht zufrieden (s. dazu die heutige Medienmitteilung der Umweltorganisation). Weiteres ist auf der Website der NZZ zu erfahren.

Dienstag, September 27, 2005

Spanien reagiert auf das BVerfG

Statewatch berichtet hier über Medienmitteilungen, wonach ein spanisches Gericht den Vollzug von in Deutschland ausgestellten Europäischen Haftbefehlen aussetzen und sie als internationale Haftbefehle behandeln will. Damit reagiert Spanien auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2005 (2 BvR 2236/04), über das bereits berichtet wurde.

Montag, September 26, 2005

SUVA-Immobilienaffäre

Die SUVA-Immoblilienaffäre (s. zuletzt hier) war heute auch Thema im Nationalrat. Die sehr wache Wirtschafts- und Rechtsexpertin Susanne Leutenegger-Oberholzer hat Bundesrat Pascal Couchepin in der heutigen Fragestunde tiefgründige Fragen gestellt und einleitend wie folgt auf fast noch wichtigere Probleme aufmerksam gemacht:

"Herr Bundesrat, hinten im Saal ist es so laut, dass ich Sie fast nicht verstehen konnte; es hallt so. Hinzu kommt noch, dass ich mit einem Ohr ein Problem habe."

Ob Frau Nationalrätin die Antworten des Bundesrats gehört hat, ist nicht protokolliert.

Sonntag, September 25, 2005

Ein Hanfgesetz für den Kanton Baselland

Der Kanton BL hat sich heute ein Hanfgesetz gegeben (s. Abstimmungsvorlage). Das Gesetz stellt den Anbau und die Abgabe von Hanf und Hanfprodukten unter Bewilligungspflicht. Der Regierungsrat erwartet "einge gewisse präventive Wirkung" und verspricht: "Die Bewilligungspflicht ist für alle, die ausschliesslich mit legalen Hanfprodukten handeln, lediglich eine Formalität und nicht mit besonderem Aufwand oder hohen Kosten verbunden."

Das Gesetz selbst erscheint mir aus mehreren Gründen als gesetzgeberische Fehlleistung und ist wohl teilweise bundesrechtswidrig. Eine gewisse Originalität ist ihm und seiner Autorin - es soll sich um die Justizdirektorin höchst persönlich handeln - aber nicht abzusprechen. Ein Beispiel sind die persönlichen Voraussetzungen, die man für eine Bewilligung zur Abgabe von Hanf erfüllen muss (u.a. keine Verlustscheine). Unter "Verwaltungsmassnahmen" (§ 16) finden sich die Grundlagen für die Beschlagnahme und die Vernichtung von Hanfprodukten.

Samstag, September 24, 2005

Anlagebetrug

Der Tagesanzeiger berichtet über einen neuen Fall von Anlagebetrug in der Schweiz. Kundengelder (CHF 20 Mio. hauptsächlich von deutschen Kunden) sollen nicht wie vereinbart angelegt, sondern teilweise als angeblicher Gewinn ausbezahlt worden sein. Mit einem Teil der Kundengelder sei Sport-Sponsering betrieben worden.

Auch in diesem Fall ist davon auszugehen, dass viele der Geschädigten rasch zu Tätern werden. Den Fiskus wird's freuen.

Bundesgesetz zur Verhütung von Folter

Der Bundesrat legt Vorentwurf und Bericht zu eine "Bundesgesetz über die Kommission zur Verhütung von Folter" vor. Damit will der Bundesrat die internationalen Bestrebungen im Kampf gegen die Folter unterstützen. Um das Fakultativprotokoll in der Schweiz umzusetzen, soll eine nationale Kommission eingesetzt werden.

Donnerstag, September 22, 2005

Darf die EU Vermögen von Privaten einfrieren?

Ja, sie darf. Zu diesem Schluss kam jedenfalls das EU-Gericht erster Instanz mit Urteil vom 21.09.2005 (T-306/01). Damit wird der EU das Recht zuerkannt, direkt Sanktionen gegen Einzelpersonen zu verfügen. "Diese Auslegung, die nicht im Widerspruch zum Wortlaut der Artikel 60 EG und 301 EG steht, ist sowohl durch Wirksamkeitserwägungen als auch aus humanitären Gründen gerechtfertigt" (Rz. 116).

Das Einfrieren von Geldern sei nicht grundrechtswidrig bzw. stelle keinen willkürlichen und unangemessenen Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Die eher fragwürdige Begründung lautet wie fogt: "Zweitens ist das Einfrieren von Geldern eine Sicherungsmaßnahme, die im Unterschied zu einer Beschlagnahme nicht in die Substanz des Rechts der Betroffenen am Eigentum ihrer Finanzmittel eingreift, sondern nur in deren Nutzung" (Rz. 299).

(Un)sicherheitsgefühl

Die Studie UNIVOX II C Recht / Kriminalität 2002/2003 kommt laut einer Schlagzeile des Tagesanzeigers zum Schluss, dass die Schweizer wieder mehr Angst haben. Aus dem Vertiefungsbericht lässt sich dagegen folgender Satz zitieren: "In Bezug auf die Entwicklung des (Un)sicherheitsgefühls zeigt Graphik 1, dass sich die Menschen im Jahr 2003 sicherer fühlen als 1997."

Der Vertiefungsbericht selbst zeigt etliche Mängel der Studie auf. Unter dem Thema "Strafbedürfnis" werden Befragungsergebnisse zur gemeinnützige Arbeit als Strafsanktion erhoben, dann aber eingeräumt, dass nicht geklärt sei, was die Bevölkerung unter diesem Begriff versteht.

Die Studie macht auch Aussagen zu einer Verschärfung des Waffengesetzes, die fast einstimmmig begrüsst werde (das hat Prof. Dr. Martin Killias, verantwortlicher Autor der Studie und vehementer Befürworter schärferer Waffengesetze, aber sicher immer schon gewusst). Ob die Befragten auch wussten, dass nach geltendem Recht ein Schlüsselanhänger als Waffe gelten kann (BGE 129 IV 348), sagt die Studie nicht.

SUVA-Immobilienaffäre

Die Parlamentsdienste teilen mit einer Medienmitteilung vom 22.09.2005 mit, dass die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) beschlossen hat, den Handlungsbedarf der parlamentarischen Oberaufsicht im Zusammenhang mit den umstrittenen Immobilienverkäufen der SUVA zu prüfen.

Nebst der Staatsanwaltschaft und der SUVA selbst (s. hier) untersucht nun also auch noch die GPK-N.

Mittwoch, September 21, 2005

Stimmrechtslose Rentner

Die Basler Zeitung berichtet über eine Weisung des Polizeidirektors des Kantons Basel-Stadt Jörg Schild (s. auch meine früheren Beiträge hier oder hier). Darin rät Schild den Leitern von Altersheimen, das Stimmmaterial von Personen, die «aus Ihrer Sicht eindeutig nicht mehr zur Stimmabgabe fähig sind», zurückzubehalten und an die zuständigen Instanzen zurückzuschicken. Ca. 500 Couverts gelangen so an den Kanton zurück.

Hintergrund ist ein Missbrauchsfall aus dem Jahr 1995. Die "Methode Schild": Rechte können missbraucht werden: schaffen wir sie ab!

Behring - Festnahme in Nizza

Tages-Anzeiger Online berichtet über eine weitere Verhaftung im Verfahren gegen Dieter Behring. Der Festgenommene soll Gesellschafter der Moore-Park-Gruppe sein, will diese aber nicht kontrolliert haben. Er soll so rasch wie möglich an die Schweiz ausgeliefert werden.

Dienstag, September 20, 2005

Pistenpolizei

Die NZZ berichtet nach dem Kampf gegen den Terrorsimus, den Kampf gegen die Drogen und die organisierte Kriminalität auch über den Kampf gegen Pistenraser. Diese neue Front hat Nationalrat Paul Günter mit seiner zweiten Motion zu diesem Thema eröffnet.

Der Bundesrat beantragt nun aber glücklicherweise die Ablehnung der Motion: "Die Einführung einer Pistenpolizei mit unmittelbarer Straf- und Bussenbefugnis ist nicht notwendig. Die zivil- und strafrechtlichen Grundlagen sind ausreichend."

Es ist allerdings zu befürchten, dass dieser Kampf noch nicht entschieden ist. Bei der Tragweite womöglich ein Thema für die Sicherheitspolitische Kommission? Immerhin gehört ihr Paul Günter an.

Kosten an die Strafanzeigerin

Das Bundesgericht weist eine sehr umfangreiche staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Kostenentscheid ab (BGE 1P.236/2005 vom 21.07.2005). Der Entscheid mag in der Sache ja richtig sein, hinterlässt aber trotzdem einen schalen Beigeschmack. Jedenfalls vermitteln die Ausführungen nicht den Eindruck, die Strafverfolgungsbehörden hätten den Sachverhalt mit Nachdruck aufgeklärt (was allerdings höchstens indirekt Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens war).

Der Fall, um den es hier wohl geht, steht im Zusammenhang mit einem früheren Beitrag.

Montag, September 19, 2005

Wichtige Gesetzesreformen in der Schweiz

Die Rede von Bundesrat Blocher zum 100-jährigen Bestehen Aargauischen Anwaltsverbands gibt einen guten Überblick über die derzeit wichtigsten Reformvorhaben seines Departements inkl. der Zeitpläne.

SUVA-Immobilienaffäre

Inzwischen sind bereits sieben Personen wegen des Verdachts auf Bestechung, Betrug und Urkundenfälschung verhaftet worden. Im Tagesanzeiger ist die Rede von Bestechungsgeldern über CHF 1 Mio (s. dazu meinen früheren Beitrag).

Freitag, September 16, 2005

Haftrichter im Kanton Thurgau

Das Urteil vom 07.09.2005 (1P.500/2005) bedeutet wohl auch im Kanton Thurgau das Ende der (rechtmässigen) Haftanordnungen durch Untersuchungsrichter.

Der Kanton hatte das Problem natürlich auch erkannt (EGMR, H.B. v. Schweiz ist über vier Jahre alt) und es mit einer Weisung des leitenden Staatsanwalts vom 19. November 2004 an die Bezirksämter und das kant. Untersuchungsrichteramt zu lösen versucht. Mit dieser Weisung (ausgerechnet!) an das Untersuchungsrichteramt sollte die Weisungsgebundenheit der Untersuchungsrichter aufgehoben werden. Bereits dies erscheint als eher unbeholfen. Dass die Weisung des leitenden Staatsanwalts aber auch noch geltendes Gesetzesrecht (§ 4 Abs. 1 StPO TG) ausser Kraft setzen sollte, kann nur noch als blanke Missachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und des Verfassungsrechts qualifiziert werden.

Europäisches Umweltstrafrecht

Der EuGH hat am 13. September einen Rahmenbeschluss des Rates der EU für nichtig erklärt, weil er ausserhalb des gemeinschaftsrechtlichen Rahmens erlassen wurde. Die Europäische Gemeinschaft darf die Mitgliedstaaten verpflichten, strafrechtliche Sanktionen zum Schutz der Umwelt vorzusehen.

Revision Allgemeiner Teil StGB

Günter Stratenwerth äussert sich zur neuesten bundesrächtlichen Botschaft wie folgt:

"[...] in ihrem ersten Teil ein Dokument ärgerlicher Rechthaberei und blanken Unverstands."

Mittwoch, September 14, 2005

Einsprache per eMail

Das Bundesgericht hat in einen erstaunlichen Entscheid vom 30.08.2005 (1P.254/2005) eine staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen. Der Beschwerdeführer hatte die Einsprache gegen einen Strafbefehl per eMail verschickt, was die kantonalen Behörden nicht gelten liessen.

Dazu führt das Bundesgericht folgendes aus:

"Nach dem Gesagten hatte der Hinweis auf die Ungültigkeit einer Einsprache per E-Mail in der Rechtsmittelbelehrung des Strafbefehls nicht zur Folge, dass das Verhöramt davon absehen durfte, den Beschwerdeführer auf den Formmangel seiner Eingabe aufmerksam zu machen. Dies gilt umso mehr, als dieser im Zeitpunkt der elektronischen Eingabe am 17. August 2004 noch nicht anwaltlich vertreten war und seine Einsprache daher eine Laieneingabe war" (E. 2.6.)"

Noch erstaunlicher ist allerdings, dass das Verhöramt den Eingang der Einsprache per eMail erfolglos bestritten hat. Dazu das Bundesgericht:

"Bei den Akten befindet sich lediglich ein vom Beschwerdeführer eingereichter Computerausdruck der besagten E-Mail. Das Bundesgericht kann aufgrund der Aktenlage nicht abschliessend verifizieren, ob das Verhöramt die elektronische Eingabe tatsächlich erhalten hat oder nicht. So ist nicht auszuschliessen, dass die E-Mail in einem (allenfalls bereits gelöschten) Spam-Filter des Empfängers hängen blieb oder aber im Internet verloren ging. Die Anordnung einer Beweisaufnahme (Art. 95 Abs. 1 OG) macht aufgrund dieser technischen Situation keinen Sinn. Es deutet indessen nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer bezüglich des elektronischen Versands der Einsprache am 17. August 2004 nicht die Wahrheit sagt. Das Bundesgericht geht daher von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers aus. Das Interesse des Beschwerdeführers an einem fairen Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV) überwiegt unter den vorliegenden Umständen das öffentliche Interesse an der strikten Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften. Dies rechtfertigt es, die Rechtslage so zu beurteilen, wie wenn erwiesen wäre, dass das Verhöramt die elektronische Eingabe erhielt (E. 2.7., Hervorhebungen durch den Verfasser)."

Dienstag, September 13, 2005

SUVA-Immobilienaffäre

Die SUVA reagiert auf Pressemeldungen, wonach mehrere Immobilien im Tessin unter der Hand und unter Einsatz von Schmiergeldern verkauft worden seien (vgl. dazu NZZ Online).

Die Pressemitteilung vom 12.09.2005 wirft allerdings mehr Fragen als Antworten auf. Danach ist eigentlich alles normal gelaufen und mit den üblichen Schwankungen am Immobilienmarkt zu erklären.

Trotzdem verfolgt und unterstützt die SUVA die Untersuchung der Tessiner Staatsanwaltschaft. "Dabei geht es auch darum, allenfalls notwendige Korrekturen der geltenden Kontrollmechanismen aufgrund der Untersuchungsergebnisse umgehend vorzunehmen." Wenn das mal nicht zu einer Ausweitung der Ermittlungen führt ...

Strafsanktionen (Nachtrag)

Zu meinem letzten Beitrag sind folgende Ergänzungen zu machen:

- Die Daten basieren auf den Strafregistereinträgen (alle eingetragenen Verurteilungen des Erwachsenenstrafrechts).

- Seit 1992 werden Übertretungsbussen grundsätzlich nicht mehr im Strafregister eingetragen. Einzige Ausnahme, die ins Gewicht fällt, sind die Verurteilungen nach ANAG (Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern).

- Die über 86,000 Verurteilungen des Jahres 2003 enthalten somit ausser den Verurteilungen nach ANAG im Wesentlichen keine Übertretungen.

- Die über 86,000 Verurteilungen des Jahres 2003 enthalten insbesondere nicht die Übertretungen des Strassenverkehrsrechts (einfache Verkehrsregelverletzunge) und die Verurteilungen zu Ordnungsbussen.

- Die über 86,000 Verurteilungen des Jahres 2003 enthalten auch nicht die Übertretungen des Betäubungsmittelstrafrechts.

- obwohl seit 1992 weniger Deliktsarten im Strafregister erfasst werden, hat die Zahl der im Register eingetragenen Verurteilungen seit 1984 um über 52% zugenommen.

- die Härte der Sanktionen ist gestiegen, was anhand von vier Delikten untersucht wurde.

Quizfrage:

Bund und Kantone fordern massive Aufstockungen der Polizeikorps. Wie würde sich der Ausbau der Korps auf die Statistik auswirken? Die Antwort dürfte unbestritten sein und führt zur nächsten Frage: stecken da halt doch fiskalische Motive hinter dem Schrei nach immer mehr Polizei?

Strafsanktionen


Das Bundesamt für Statistik hat die Zahlen über die Entwicklung der Strafsanktionen in der Schweiz von 1984 bis 2003 publiziert.

Der Medienmitteilung können die interessantesten Entwicklungen entnommen werden.

Die Anzahl der Bussen hat sich in nur 20 Jahren praktisch verdoppelt. Der Anteil der Verurteilungen nach StGB liegt nur noch bei ca. 25%.

Montag, September 12, 2005

Kein Verzicht auf das Anwaltsgeheimnis

Wer versichert, er habe die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen ("claims actual innocence", was nicht dasselbe ist wie "plea of not guilty"), verzichtet implizit auf das Anwaltsgeheimnis. Der Verteidiger hat somit alles zu offenbaren, was ihm sein Klient anvertraut hat.

Diese Verfügung einer US-Bezirksrichterin in Cleveland, Ohio, hat das zuständige Appellationsgericht in einem äusserst interessanten Entscheid vom 9. September 2005 mit 2:1 Stimmen (!) aufgehoben. Es ist der erste und bisher einzige Entscheid eines amerikanischen Gerichts zu dieser Frage.

Dass die aufgehobene Verfügung gar nicht so abwegig ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, ist aus der "dissenting opinion" von Appellationsrichter Boggs (seines Zeichens Chief Judge) ersichtlich, dessen Argumente aber im Entscheid selbst auf eher unzimperliche, aber dann doch überzeugende Weise zerpflückt wird.

Eidgenössischer Strafbefehl?

Gemäss NZZ am Sonntag versucht Frau NR Christa Markwalder mit einer parlamentarischen Initivative zwei Anpassungen im geltenden Bundesstrafprozess durchzubringen:

1. Einführung eines Strafbefehlsverfahrens
2. Direkte Anklageerhebung ohne Voruntersuchung

Beides soll zur Effizienzsteigerung beitragen (s. dazu meinen letzten Beitrag) und ist im Übrigen auch im Vorentwurf zu einer eidg. StPO vorgesehen.

Frau Markwalder reagiert mit der Initiative auf Ihren (leider) gescheiterten Versuch, das Inkrafftreten der eidg. StPO zeitlich zu forcieren. Dazu hat sich BR Blocher im Nationalrat geäussert.

Aus dem "Grossprojekt eidg. StPO" Kräfte für eine Teilrevision des alten Rechts herauszubrechen, erscheint als wenig durchdacht. Damit würde genau das Gegenteil dessen erreicht, was Frau Markwalder mit ihrem ersten Vorstoss angestrebt hatte.

Samstag, September 10, 2005

Effizienz statt Qualität

Die NZZ berichtet über Vorwürfe an die niederländische Justiz. Rechtsexperten orten den Grund für die mangelnde Qualität von Strafurteilen u.a. in der Machtfülle der Staatsanwaltschaft und fordern eine Reform des Justizsystems. Effizienz dürfe nicht zulasten der Qualität gehen.

Die Entwicklungen in der Schweiz (s. Vorentwurf eidg. StPO und Begleitbericht) gehen unter dem Stichwort Effizienzsteigerung in die Richtung, der Staatsanwalt genau die Machtfülle zuzuschanzen, welche in den Niederlanden als problematisch kritisiert wird.

Nun, die Schweiz ist nicht Holland. Hier gelten die Strafverfolgungsbehörden nicht nur als neutral, objektiv, unabhängig, ja eigentlich unfehlbar, sie sind es. Fehlturteile gibt es nicht. Auf Revisionsgesuche wird in der Regel gar nicht erst eingetreten. Das ist nicht mehr als konsequent, wenn es Fehlurteile doch gar nicht geben kann. Zudem ist Rechtssicherheit wichtiger und eben effizienter als die mühsame Suche nach der sonst immer wieder so hoch gehaltenen "materiellen Wahrheit".

GermanBlawgs

Herr Kollege Langenhan hat mich eingeladen, mit meinem stpo-blawg an GermanBlawgs mitwirken zu dürfen, was mich als Ausländer natürlich besonders freut. Besten Dank!

Freitag, September 09, 2005

Selbstmord nach Urteil

Kurz nach der Urteilseröffnung hat sich eine 42-jährige Frau das Leben genommen. Gemäss Tagesanzeiger wurde sie vom Kantonsgericht Obwalden wegen mehrfacher vorsätzlicher Tötung zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie gemäss Urteil ihre beiden Kinder von einer Brücke gestürzt hatte.

Tückische Rechtshilfe

Ein Urteil des Bundesgerichts vom 25.08.2005 (1P.365/2005) erinnert an ein paar Tücken des Rechtshilfeverfahren:

a) keine StaBe;
b) keine Umdeutung in VGB;
c) keine VGB gegen Zwischenentscheide (hier: Entsiegelung);
d) und überhaupt: Frist verpasst.

Donnerstag, September 08, 2005

Weiss c. Blau

Die NZZ berichtete kürzlich über eine Tagung zur Wirtschaftskriminalität und die geradezu erschütternde Erkenntnis, dass sich Weisskragen-Träger von den Strassenkriminellen (Blue-Collar-Criminals) unterscheiden:

Die White-Collars
- sind älter
- haben einen hohen Sozialstatus
- waren gut in der Schule
- sind eher verheiratet oder geschieden
- haben ein hohes Einkommen
- sind gut vernetzt und
- nehmen keine Drogen.

Zwangsmassnahmen bei Übertretungen?

Anlässlich eines Kammer-Seminars vom 07.09.2005 in Bern wurde die Ansicht vertreten, Zwangsmassnahmen nach Art. 45 - 60 VStrR seien nur bei Vergehen und Verbrechen zulässig. Da es sich bei den Strafbestmmungen nach Art. 85 ff. MwstG um Übertretungen handle, seien Zwangsmassnahmen nicht zulässig.

Art 45 Abs. 2 VStrR schliesst Zwangsmassnhamen ausdrücklich nur für Ordnungswidrigkeiten aus. Ob die Hinterziehungs- und Gefährdungsbussen nach Art. 85 ff. MwstG bloss Ordnungswidrigkeiten darstellen, darf wohl bezweifelt werden. Die beiden Straftatbestände sanktionieren doch nach der Vorstellung des Gesetzgebers eher kriminelles Unrecht denn blosses Verwaltungsunrecht. Sie sind übrigens Gegenstand des eben erwähnten Betrugsabkommens CH/EU und damit amts- und rechtshilfefähig.

Das Bundesgericht hat diese Frage m.W. noch nie geklärt. Immerhin hatte es Sachverhalte zu beurteilen, bei denen Zwangsmassnahmen im Übertretungsstrafverfahren angewendet wurden (BGE 118 IV 67, wo es auf die Beschwerde gegen die Durchsuchung aber eben nicht eingetreten ist; s. dazu aber VPB 62.113).

Im Ergebnis erscheint die eingangs zitierte Auffassung allerdings schon richtig. Es ist m.E. kaum je verhältnismässig, zur Verfolgung blosser Übertretungen Zwangsmassnahmen einzusetzen. In vielen kantonalen StPO ist denn auch der Verdacht zumindest eines Vergehens Voraussetzung für die Anwendung von Zwangsmassnahmen.

Zwischen beiden Auffassungen scheint der Vorentwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung zu stehen. Dessen Art. 420 Abs. 2 sagt folgeendes: "Eine Razzia, Hausdurchsuchungen sowie Durchsuchungen von Personen sind zulässig, wenn die Bedeutung der Übertretung diese Massnahmen rechtfertigt." Alles klar?

Betrugsabkommen Schweiz - EU

Teil der bilateralen Abkommen II ist das Betrugsabkommen(SR 0.351.926.81), das die Rechts- und Amtshilfe im Bereich der indirekten Steuern zum Gegenstand hat. Der Rechtsschutz richtet sich im Bereich der Rechtshilfe nach IRSG. Im Rahmen der Amtshilfe ist der Rechtsschutz nicht vorgesehen, dafür hingegen die Mitwirkungspflichten (Art. 17):

"Die Wirtschaftsbeteiligten sind verpflichtet, an der Erledigung des Amtshilfeersuchens mitzuwirken und zu diesem Zweck Zugang zu ihren Räumen, Beförderungsmitteln und Unterlagen zu gewähren und alle sachdienlichen Angaben zu machen."

Wozu braucht es da noch Rechtshilfe?

EMRK veraltet?

Charles Clark (UK home secretary) trat am 7. September 2005 vor dem Europäischen Parlament dafür ein, die EMRK zu überarbeiten. Um die Bürger der Mitgliedstaaten der EU wirksam gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zu schützen, müsse ein Abbau von Freiheitsrechten in Erwägung gezogen werden (s. euobserver.com).

Dienstag, September 06, 2005

Saddam Hussein's Verteidigerteam

Gemäss NZZ Online hat die Familie von Saddam Hussein das erste Verteidigungsteam von 1,500 Rechtsexperten entlassen. Man habe sich vor allem über die zahlreichen ausländischen Rechtsanwälte geärgert, die sich öffentlich im Namen von Saddam Hussein äusserten

Nun wird ein neues Team für den am 19. Oktober 2005 in Baghdad beginnenden Prozess unter Federführung einer Tochter Saddam Hussein's zusammengestellt. Diese Meldung stammt allerdings von einem der bisherigen Verteidiger und man wird bezweifeln dürfen, dass er im Namen seines Klienten gesprochen hat.

Montag, September 05, 2005

Online zur Polizei

SPIEGEL ONLINE berichtet über einen Modellversuch der schwedischen Polizei. der es ermöglicht, per Internet eine Strafanzeige zu erstatten. Die Anzeiger erhalten umgehend eine Bestätigung, die sie in der Regel für ihre Versicherung brauchen. Ziel ist es, den Polizeinotruf 112 von Bagatelldelikten zu entlasten.

Sonntag, September 04, 2005

Chief Justice Rehnquist gestorben

CNN berichtet über den Tod von William H. Rehnquist, der 1972 von Nixon in den Burger Court nominiert und 1986 unter Reagan Chief Justice wurde.



Zitate Bundesstrafgericht

Update zu meinem früheren Beitrag:

Der vom Bundesstrafgericht mehrfach zitierte Entscheid der Anklagekammer ist 8G.116/2003 vom 26. Januar 2004 und nicht 8G.116/2004.

Und wenn wir schon dabei sind: Der ebenfalls zitierte 1A.278/2003 vom 20. April 2004 ist publiziert (BGE 130 II 302).

Samstag, September 03, 2005

Entsiegelung von Anwaltsakten

Das Bundesstrafgericht musste erneut über ein Entsiegelungsgesuch betreffend in einer Anwaltskanzlei beschlagnahmte Unterlagen entscheiden (BE.2005.4 vom 08.08.2005). Der (in italienischer Sprache ergangene) Entscheid sieht für Verfahren, in denen die betroffenen Anwälte selbst Beschuldigte sind, eine dreistufige Triage vor, die ich (der italienischen Sprache nicht mächtig) wie folgt zu umschrieben versuche:

Phase 1: Ausscheiden von für das Verfahren nicht wesentlichen Akten. Solche sind zurückzugeben.

Phase 2: Von den verbleibenden wesentlichen Akten ist als nächstes auszuscheiden, was dem Berufsgeheimnis (l’attività tipica dell’avvocato e del notaio) unterstellt ist.

Phase 3: Für die verbleibenden Unterlagen ist das Berufsgeheimnis zu wahren, indem für das Verfahren nicht benötigte Fakten und Namen anonymisiert werden.

Die Triage wird durch die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vorgenommen, das für die dritte Phase einen externen Experten beiziehen kann.

Massgebend ist allein der Originaltext (E. 7.3).

Freitag, September 02, 2005

Begründung der Untersuchungshaft

Das Bundesgericht heisst wieder einmal eine staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Haftverlängerungsentscheid wegen ungenügender Begründung (Art. 29 Abs. 2 BV) gut (1P.451/2005 vom 25. August 2005). Der Beschwerdeführer wird jedoch - wie in solchen Fällen üblich - nicht aus der Haft entlassen.

Der angefochtene Entscheid wurde lediglich mit Verweisen auf einen anderen Entscheid und auf die Begründung des Untersuchungsrichters begründet, was im vorliegenden Fall nicht genügte. Sowohl Kollusionsgefahr als auch Fluchtgefahr waren ungenügend begründet und trugen den Entwicklungen seit dem letzten Entscheid nicht Rechnung.

Die Anklagekammer Genf wird ihren aufgehobenen Entscheid nun neu begründen müssen und wird dabei sicher in der Lage sein, mit neuer Begründung zum alten Ergebnis zu gelangen.

Ein Orden für die Bezirksanwältin

Einem Urteil des Bundesgerichts vom 19. August 2005 (1A.43/2005) ist zu entnehmen, dass Frau BA Cornelia Cova vom peruanischen Präsidenten mit dem zweithöchsten Orden, der in Peru Zivilpersonen verliehen werde, ausgezeichnet wurde. Die Auszeichnung sei im Zusammenhang mit der Behandlung des Rechtshilfeersuchens in der Affäre Fujimori/Montesinos verliehen worden.

Im hier beurteilten Fall ging es um ein neuerliches Rechtshilfeersuchen Perus. Die Beschwerdeführer machten u.a. Befangenheit der vom ersuchenden Staat ausgezeichneten Bezirksanwältin geltend. Das Bundesgericht ging darauf aus novenrechtlichen Gründen nicht ein:

"Die Beschwerdeführer legen zum Beweis der Verleihung des Ordens an Bezirksanwältin Cova einen Auszug aus dem peruanischen Amtsblatt ("Diario Official de la Républica del Peru") vom 14. Februar 2003 ins Recht. Diesen musste die Vorinstanz nicht von Amtes wegen erheben. Ein schweizerisches Gericht muss den Inhalt ausländischer Amtsblätter nicht kennen. Das neue Vorbringen ist daher unzulässig" (E. 7.2).

Im Klartext: Der schweizerische Anwalt muss den Inhalt ausländischer Amtsblätter kennen, das schweizerische Gericht nicht.

GENESIS / FALCON

Das Bundesamt für Polizei hat eine Pressemitteilung erlassen, in der die Erfolge im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet dargestellt werden. Die Pressemitteilung enthält leider nur oberflächliche, nicht überprüfbare Information und sagt insbesondere nichts über die Natur der "Strafentscheide" aus. Interessant zu wissen wäre, wieviele Verurteilungen ohne richterliche Beurteilung (Strafverfügungen) erfolgten. Zu GENESIS sind folgende Zahlen bekannt gegeben worden:

- 1,092 Hausdurchsuchungen
- 893 "Strafentscheide" (?)
- 469 Einstellungen (53 %)
- 198 Verurteilungen mit Freiheitsstrafen (22%)
- 226 Verurteilungen mit Geldstrafen (25%)

Freisprüche, die es ebenfalls gab, werden nicht erwähnt.

Donnerstag, September 01, 2005

Medienmitteilung GPDel

Aus der Medienmitteilung der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation GPDel vom 31.08.2005:

"Um die Sicherheit der Schweiz angesichts der heutigen Herausforderungen gewährleisten zu können, müssen baldmöglichst der DAP und der SND unter eine gemeinsame Führung gestellt werden. Die heute noch unterschiedlichen Betriebskulturen dürfen dem nicht entgegenstehen. Nur so kann aus heutiger Sicht die politische Führung sichergestellt, die Synergien optimal genutzt und die Ressourcen effizient eingesetzt werden."

"Synergien nutzen" und "Ressourcen effizient einsetzen" tönt unangreifbar vernünftig. Ob es wirklich klug ist, DAP und SND unter gemeinsame Führung zu stellen und damit faktisch zu vereinigen (oder eben zusammenzuführen), wage ich zu bezweifeln. Man muss sich dabei bloss überlegen, wie dieses Führungsorgan sachgerecht bezeichnet werden soll. Die an sich treffendsten Begriffe fallen ja aus historischen Gründen weg.