Mittwoch, August 30, 2006

Nichtiger Haftentscheid

Das Bundesstrafgericht hat das Urteil eines kantonalen Haftgerichts für nichtig erklärt (BH.2006.18 vom 03.08.2006). Die Bundesanwaltschaft hatte das an sie gerichtete Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers mit abschlägigem Antrag an den kantonalen Haftrichter. Dieser hat das Gesuch abgewiesen. Das Bundesstrafgericht stellte fest, dass es der kantonale Haftrichter gar nicht zuständig ist:
Dies liess das Bundesgericht zum Schluss gelangen, dass der Bundesanwalt, wenn er sich dem Haftentlassungsgesuch widersetzen will, die Sache dem eidgenössischen Untersuchungsrichter zum Entscheid überweisen muss (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1S.25/2005 vom 14. September 2005 E. 1.4). Damit hat das Bundesgericht zu erkennen gegeben, dass für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen einzig der eidgenössische Untersuchungsrichter zuständig ist. Eine Ausnahmeregelung, wie sie aufgrund der da gebotenen Dringlichkeit in Art. 47 Abs. 2 BStP vorgesehen ist, findet sich für den Entscheid über ein Haftentlassungsgesuch nicht (E. 2.1).
Entlassen wurde der Beschwerdeführer freilich trotz entsprechenden Antrags nicht. Das Dispositiv enthält allerdings keine Abweisung des Gesuchs um umgehende Haftentlassung. Vielmehr wurde das Gesuch zuständigkeitshalber an das eidg. Untersuchungsrichteramt weitergeleitet. Das Haftentlassungsverfahren dauerte damit bereits deutlich über einen Monat, was Art. 5 Ziff. 4 EMRK wohl verletzen dürfte, aber wen kümmert das?

Inlandgeheimdienst überfallen

Der Schweizerische Inlandgeheimdienst DAP ist Opfer eines skrupellosen Überfalls schonungslos prüfender Parlamentarier geworden. Die für den bandenmässig verübten Angriff verantwortliche Geschäftsprüfungsdelegation bereut ihre Tat nicht, ja sie berichtet sogar öffentlich darüber. Strafmildernd zu werten ist dagegen, dass der Bericht bis auf die Information, dass der Zeuge Covassi (s. dazu meinen früheren Beitrag) wiederum nicht erschienen ist, inhaltlos ist.

Keine neue Strafnorm gegen Vandalismus

Der Bericht des Bundesrats zum Postulat Eggly ist online. Die Schlussfolgerungen lauten wie folgt:

Gestützt auf die vorhergehenden Argumente ist der Bundesrat der Auffassung, dass die organisatorischen Verbesserungen der Sicherheitspolitik des Bundes, die Intensivierung der interkantonalen und internationalen Zusammenarbeit und die laufenden gesetzgeberischen Reformen, die wie oben ausgeführt die Stärkung der präventiven Handlungen der Polizei bezwecken, den Anliegen des Postulanten vollumfänglich Rechnung tragen. Der Bundesrat ist der Meinung, dass es diese Massnahmen, zusammen mit den gemeinsamen Anstrengungen der Kantone, erlauben sollten, die Wahrung der öffentlichen Ordnung bei Demonstrationen politischer oder sportlicher Art zu verstärken.

Demzufolge schlägt der Bundesrat vor, das Postulat abzuschreiben.

Hooligan-Gesetz per 1.1.07 in Kraft

Gemäss heutiger Mitteilung des EJPD tritt das Hooligangesetz (BWIS I) zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft.

S. dazu auch die Berichterstattung in der NZZ und meine füheren Beiträge, zuletzt hier.

Dienstag, August 29, 2006

Auskunft über den freien Verkehr mit der Verteidigung

In einem Strafverfahren im Kanton Wallis wollte die Staatsanwaltschaft Auskunft darüber, wann der Verteidiger Akteneinsicht bekam und wann er seine beschuldigte Klientin im Untersuchungsgefängnis besucht hat. Die Staatsanwaltschaft wollte auf diese Weise herausfinden, ob die Beschuldigte vor einer polizeilichen Einvernahme bereits Aktenkenntnis hatte. Der Beweisantrag wurde vom Untersuchungsrichter bewilligt und vom Kantonsgericht bestätigt.

Die Beschuldigte und Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 EMRK. Das Bundesgericht trat auf ihre staatsrechtliche Beschwerde mangels nicht wiedergutzumachenden Nachteils nicht ein (Urteil 1P.185/2006 vom 04.08.2006):
Quoi qu'il en soit, si la recourante estime que ces informations ont été recueillies illégalement et qu'elles doivent être écartées, elle pourra toujours s'en prévaloir lors des débats de première instance, ainsi que dans le cadre de la procédure cantonale d'appel (art. 177 CPP/VS). Dans ces conditions, il y a lieu de constater que la décision attaquée ne lui cause pas un préjudice irréparable.
Erstaunlicherweise bewilligte das Bundesgericht hingegen die unentgeltliche Rechtspflege. Weil solche Kostenentscheide jeweils nur floskelhaft begründet sind, sind sie schwer bis unmöglich nachvollziehbar.

Montag, August 28, 2006

Kein Widerruf des Einspracheverzichts

Wer verspricht, auf die Einsprache gegen einen Strafbefehl zu verzichten, kann nach einem heute online gestellten Urteil des Bundesgerichts (1P.409/2006 vom 14.08.2006) darauf grundsätzlich nicht zurückkommen. Dies gilt selbst dann, wenn das anwendbare Recht den Verzicht auf die Einsprache nicht kennt. Aus dem Urteil des Bundesgerichts:

Was der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall vorbringt, um eine
Beeinflussung durch die Untersuchungsbehörde glaubhaft zu machen, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Dem Beschwerdeführer wurde anlässlich der um 15 Uhr erfolgten Hafteröffnung am 8. Oktober 2004 mitgeteilt, dass er im Verlaufe desselben Nachmittags bzw. am frühen Abend aus der Untersuchungshaft entlassen werde (…). Im Zeitpunkt, als der Strafbefehl erlassen wurde, war die Haftentlassung offensichtlich bereits angeordnet worden (…). Es bestand also kein Anlass mehr, einen Verzicht mit dem Ziel der raschen Haftentlassung zu unterschreiben. Dieses Motiv fällt dahin. Zudem handelte es sich beim in der Beschwerdeschrift erwähnten Vorstellungstermin - entgegen des Eindrucks, der vermittelt wird (…) - nicht um ein Bewerbungsgespräch für eine Arbeitsstelle, sondern um eine Wohnungsbesichtigung (…; E. 3.5).

Keine Einstellung des Strafvollzugs für depressiven Rentner

Das Bundesgericht hat sich in einem heute online gestellten Entscheid (1P.299/2006 vom 14.08.2006) mit der Frage der Einstellung der Strafvollzugs zu befassen. Ein heute 80-Jähriger, der im Jahr 2002 wegen mehrfacher qualifizierter Veruntreuung und mehrfacher Urkundenfälschung zu 33 Monaten Zuchthaus verurteilt worden war, bestritt seine Hafterstehungsfähigkeit und belegte dies mit einem Privatgutachten. Gestützt auf ein amtliches Gutachten und ein Ergänzungsgutachten hat die Vorinstanz die Einstellung des Strafvollzugs verneint. Diesen Entscheid hat das Bundesgericht nun gestützt. Juristisch ist der Entscheid kaum zu kritisieren. Die Lektüre ist dennoch schwer erträglich. Hier ein paar Zitate:

Unerheblich ist dabei, ob die Gutachter den Strafantritt trotz der Selbstmordgefahr insgesamt für zumutbar erachtet haben; das ist eine Rechtsfrage, die das Gericht zu entscheiden hat (E. 2.2).

Unabhängig davon wird aus dem angefochtenen Entscheid deutlich, dass das Appellationsgericht die Selbstmorddrohungen des Beschwerdeführers ernst nimmt. Es geht indessen - gestützt auf die Gutachten vom 31. Mai 2005 und 9.Februar 2006 - davon aus, diese Äusserungen unterlägen weitgehend dem freien Willen des Beschwerdeführers (E. 2.3).

Je schwerer Tat und Strafe, umso schwerer fällt - im Vergleich zur Gefahr des Verlustes der körperlichen Integrität - der staatliche Strafanspruch ins Gewicht. Die vorstehenden Überlegungen gelten grundsätzlich auch für den Fall, dass das Leben des Verurteilten durch Selbstmord gefährdet ist. Die Beweisschwierigkeiten sind in dieser Hinsicht allerdings besonders gross. Die Rechtssicherheit verlangt hier eine nochmals erhöhte Zurückhaltung. Es darf nicht dazu kommen, dass die Selbstgefährlichkeit zu einem gängigen letzten Verteidigungsmittel wird, das von rechtskräftig Verurteilten oder ihren Anwälten in Fällen eingesetzt wird, in denen ein Begnadigungsgesuch keine Erfolgsaussichten hat (E. 3.2).

Vorliegend kann offen bleiben, ob die Suizidgefahr die Schwelle erreicht, ab der ein Strafaufschub in Betracht gezogen werden kann. Der Beschwerdeführer übersieht, dass die Erheblichkeit der Lebensgefährdung in diesem Fall nicht ausreicht, um eine Einstellung des Strafvollzugs zu erlangen. Vielmehr ist zusätzlich eine Abwägung vorzunehmen, bei der die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dem gegenteiligen Interesse des Verurteilten gegenüberzustellen ist (E. 3.3).

Das Electronic Monitoring fällt beim Beschwerdeführer offensichtlich nicht von Anfang an in Betracht, so dass für die Beurteilung eines Strafantritts im heutigen Zeitpunkt nicht weiter darauf einzugehen ist (E.3.4.2).

Hier verfügt der Beschwerdeführer über eine weitgehende Urteilsfähigkeit bezüglich seiner Selbstgefährdungsproblematik (E. 2.3). Es kann erwartet werden, dass er die Bedeutung der ihm zugesicherten Vollzugserleichterungen erfasst und innerlich von dem in Aussicht gestellten Bilanzsuizid abzurücken vermag. Daher lässt es sich einstweilen vertreten, dass das Appellationsgericht mit Blick auf die Selbstmordgefahr keine Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt verlangt hat (E. 3.4.4).

Während ich diesen Entscheid zitiere läuft bei 10 vor 10 ein Beitrag über die überfüllten Strafanstalten in der Schweiz.

Also doch: Drohnen für die Polizei

Die NZZ am Sonntag (s. auch zisch.ch) berichtet über einen nicht gerade transparent kommunizierten Beschluss des Bundesrats über ein eigenständiges, sehr umfangreiches „Bundesgesetz über die militärischen Informationssysteme (MIG)“. Der neue Erlass stellt die gesetzliche Grundlage für den zivilen Einsatz von Drohnen und für alle anderen Informationssysteme der Armee dar und befindet sich in der Vernehmlassung (vgl. auch den erläuternden Bericht).

Eben hatte der Bundesrat noch behauptet, für den zivilen Drohneneinsatz sei keine zusätzliche gesetzliche Grundlage erforderlich (vgl. die Motionen Banga hier und Lang hier). Zur Berichterstattung des Bundesrats s. die Medieninformation VBS vom 23.08.2006 oder auch diejenige bei swissinfo. Zum Thema Drohnen s. auch meine früheren Beiträge hier, hier und zuletzt hier.

Weiter hat der Bundesrat eine Teilrevision der Verordnung über die elektronische Kriegführung VKEF beschlossen (s. die entsprechende Medieninformation).

Freitag, August 25, 2006

Keine Verschlechterung trotz höherer Einsatzstrafe

In einem heute online gestellten Entscheid (Urteil 6S.263/2006 vom 09.08.2006) hatte sich das Bundesgericht erneut mit der Strafzumessung in einem Drogendelikt zu befassen. Der Beschwerdeführer war erstinstanzlich zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden, obwohl seine Rolle als bloss untergeordnet qualifiziert worden war.

Die zweite Instanz reduzierte die Strafe zufolge Teilfreispruchs auf 4 ½ Jahre Zuchthaus, würdigte den Tatbeitrag des Beschwerdeführers aber schwerer und ging bei der Strafzumessung offenbar von einer höheren Einsatzstrafe aus als die erste Instanz. Dass die Vorinstanz damit nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstiess, legt das Bundesgericht erneut (s. einen früheren Beitrag) dar:
Abweichend von der ersten Instanz erachtet sie die Rolle des Beschwerdeführers bei der Tatbegehung mit durchwegs nachvollziehbarer Begründung aber nicht als bloss untergeordnet und misst ihr jedenfalls bei der Bewertung des Verschuldens keine besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechende Bedeutung zu [...]. Ausgehend vom schweren Tatverschulden, von der grossen Menge Betäubungsmittel, der Tatmehrheit, den teilweise sehr hohen Reinheitsgraden der Betäubungsmittel und der von ihnen deshalb ausgehenden Gesundheitsgefahren, der erneuten Tatbegehung während laufender Strafuntersuchung nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft, der fehlenden Einsicht des Beschwerdeführers sowie des weiten Strafrahmens von einem Jahr Gefängnis bis zu 20 Jahren Zuchthaus durfte die Vorinstanz ohne weiteres eine Strafe von sechs Jahren Zuchthaus in Betracht ziehen (…). Sie war nicht verpflichtet, sich dabei an das Urteil der ersten Instanz zu halten, sondern konnte die Einsatzstrafe nach freiem Ermessen festlegen. Sie durfte nach dem Verschlechterungsverbot lediglich keine höhere Strafe aussprechen als die Vorinstanz (E. 4.2).

Die Kriminalisierung der Kritik

Unter diesem Titel steht ein lesenswerter NZZ-Artikel über die zunehmende strafrechtliche Verfolgung von Autoren und Journalisten in der Türkei:

Im Mai 2005 gründlich verschärft, zieht der Strafkodex heute Schriftstellern und Journalisten, Künstlern und Akademikern engere Grenzen als irgendwo in Europa.

Wenn mein Eindruck nicht täuscht, dürfte an zweiter Stelle – mit einigem Abstand – die Schweiz folgen. Hier wird zwar nicht die Kritik an und für sich pönalisiert, sondern über andere, scheinbar harmlose Tatbestände erfasst. Stoll (zuletzt hier), Dammann (hier) und Engeler (zuletzt hier) lassen grüssen.

Donnerstag, August 24, 2006

Update 7: Wir überwachen …

Wie heute dem Solothurner Tagblatt zu entnehmen ist, bestreitet der Sprecher des SND scheinbar entschieden, das Leck in der Fax-Affäre zu sein. Er lässt sich wie folgt zitieren:

Persönlich habe ich mit der Weitergabe des Faxes nichts zu tun.

Die Darstellung in der SonntagsZeitung (vgl. dazu meinen letzten Beitrag) sei undifferenziert und suggestiv. Riecht das nicht ein bisschen nach Teilgeständnis?

Dagegen behauptet der Informationschef der Militärjustiz: Wir wissen, wer den Namen herausgab und Herr Weissen weiss es auch. Damit wird aus der lächerlichen Fax-Affäre nun auch noch ein peinliches Schwarzpeterspiel zwischen dem Pressesprecher SND und dem Informationschef der Militärjustiz.

Hausdurchsuchungen bei Swissfirst

Gemäss NZZ erfolgten gestern Hausdurchsuchungen bei verschiedenen Standorten der Swissfirst-Gruppe. Ermittelt wird danch wegen Betrugs, Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung.

Derweil erklärt Kurt W. Zimmermann in der Weltwoche, dass bei der vierten Gewalt die Schuldvermutung gilt. Seinen Beitrag können Sie lesen oder hören.

Effizienz vor allem anderen

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat mit heutiger Medienmitteilung über den Stand der Arbeiten mit der Schweizerischen Strafprozessordnung orientiert. Ganz offensichtlich werden die wesentlichen Fragen vorwiegend nach dem Effizienzkriterien beantwortet. Da fragt sich, ob sich die ach so effizienten Ständeräte überhaupt bewusst sind, dass voraussichtlich weit über 90% aller Strafverfahren im an Effizienz kaum zu überbietenden Strafbefehlsverfahren erledigt werden und dass die als ineffizienz erachteten Regeln praktisch nur bei schweren Straffällen mit Freiheitsstrafen über einem Jahr zur Anwendung gelangen werden, wo Effizienz wohl auch wichtig, aber nicht gerade die alleinseeligmachende Verfahrensmaxime sein sollte.

Hier ein paar Ausschnitte aus der Medienmitteilung mit meinen Bemerkungen dazu in Klammern:

Ausserdem beantragt die Kommission, auf gewisse zu detaillierte Regelungen, wie beispielsweise zur Fesselung, zu verzichten (Art. 211). Die Kommissionsmehrheit ist der Meinung, dass hier der allgemeine Grundsatz der Verhältnismässigkeit als Massstab für die Polizeiarbeit ausreichen muss und dass das Gesetz nicht alle Einzelheiten regeln darf [Ein Polizist, der seine Arbeit gewissenhaft ausüben möchte, wäre vielleicht froh um eine klare Regelung im Gesetz. Der Vorschlag der RK-S führt dazu, dass die kantonalen Polizeikommandos über ihre Dienstvorschriften den Massstab für die Verhältnismässigkeit setzen werden. Weil Polizeiarbeit ja gefährlich ist, werden die Dienstvorschriften natürlich die Fesselung als Grundsatz vorschreiben. Wetten?]

Was das Zeugnisverweigerungsrecht der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte anbelangt, folgt die Kommissionsmehrheit dem Bundesrat und beantragt, dass die Anwältinnen und Anwälte, insbesondere wenn sie von ihren Klienten von der Geheimnispflicht entbunden worden sind, grundsätzlich aussagen müssen (Art. 168). [Damit werden in Zukunft wohl Anwälte in Beugehaft genommen, wenn sie sich weigern, ihre Klienten zu verraten. Jawohl, die StPO ist wahrlich auf gutem Weg! Heben wir doch am besten gleich noch den Quellenschutz der Journalisten und das Beichtgeheimnis auf.].

Ineffizient aber dafür wiederum zu Lasten der Beschuldigten ist der folgende Vorschlag:
Ferner sprach sich die Kommission dafür aus, dass ein Strafverfahren auch dann fortgeführt werden soll, wenn die Person, welche die Klage eingereicht hat, nicht mehr als Klägerin auftreten will (Art. 118 Abs. 3). [Wir verfolgen selbst dann, wenn kein Mensch an einer Verfolgung interessiert ist].
Und damit die Gerichte keinen Personalabbau zu befürchten haben, soll ineffizienterweise ein zusätzliches Rechtsmittel eingeführt werden:
Schliesslich beantragt die Kommission, dass Entscheide über die Anordnung der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft in jedem Fall anfechtbar sind.
Da kann ich nur hoffen, dass die RK-N noch kräftig nachbesseren wird.

Mittwoch, August 23, 2006

Keine Grämmli-Justiz in Bern?

Ein Beschwerdeführer, der von der Berner Justiz zu 40 Monaten Gefängnis hauptsächlich wegen Drogendelikten verurteilt worden war, hatte mit seinen Rügen in Lausanne keinen Erfolg (Urteil 6S.116/2006 vom 08.08.2006).

Wohl stellte auch das Bundesgericht fest:
Die ausgefällte Freiheitsstrafe von 40 Monaten Gefängnis erscheint zwar etwas hoch, hält sich aber im Rahmen des weiten sachrichterlichen Ermessens und ist im angefochtenen Urteil nachvollziehbar begründet worden (E. 6.8).
Wohl stellte es auch Fehler der Vorinstanz fest:
Die theoretische Mindeststrafe beträgt daher gemäss dem insoweit zutreffenden Einwand des Beschwerdeführers und entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht drei Tage Gefängnis, sondern einen Franken Busse. Dies ist indessen im Ergebnis ohne Belang (E. 6.1).
Auch der Vorwurf der Grämmli-Justiz (die Vorinstanz soll einen Einsatzstrafenkatalog angewendet haben) verfing nicht, obwohl es solche Kataloge natürlich gibt:
Das Tatverschulden wiegt nach Ansicht der Vorinstanz sehr schwer. Sie berücksichtigt dabei die beträchtlichen Mengen an umgesetzten Kokain und Hanf, die Stellung des Beschwerdeführers innerhalb der Hierarchie im Kokainhandel mit weiterführenden Karriereambitionen, die gut ausgebaute Organisation mit Infrastruktur im Hanfhandel sowie die professionelle Art und Weise seines Vorgehens mit primär finanzieller Motivation. Vor diesem Hintergrund kann entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht gesagt werden, die Vorinstanz habe sich bei der Strafzumessung in unzulässiger Weise vorrangig auf die gehandelte Drogenmenge gestützt und die Strafe anhand eines abstrakten Einsatzstrafenkatalogs angesetzt. Vielmehr hat sie die umgesetzte erhebliche Betäubungsmittelmenge zutreffend als einen gewichtigen strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkt neben anderen gewürdigt (6.2).
Den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Vergleich mit einem Fall des Richteramts Solothurn-Lebern liess das Bundesgericht dann aber ausgerechnet mit folgendem Argument nicht gelten
Im Übrigen erwägt die Vorinstanz in dieser Hinsicht zutreffend, dass der Beschwerdeführer - prima vista - deutlich grössere Mengen an Betäubungsmittel umgesetzt habe als der Täter im beigebrachten Solothurner Urteil, weshalb ein Vergleich schon aus diesem Grund als wenig sachgerecht erscheine (E. 6.5).
Also doch Grämmli-Justiz?

Dienstag, August 22, 2006

Von 8 über 6 und 5 auf wieviele Monate?

Das Bundesgericht musste sich erneut mit Beschwerden gegen ein zuvor bereits kassiertes Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau beschäftigen. Es hebt auch den zweiten Entscheid des Obergerichts auf (Urteil 6P.95/2006 vom 08.08.2006). Dieses hatte es versäumt, den Beschwerdeführer bei der Neubeurteilung, die im Anschluss an BGE 132 IV 12 notwendig wurde, anzuhören. Aus dem Entscheid:
Dass der Beschwerdeführer im ersten Berufungsverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt hat, zur Strafzumessung Stellung zu nehmen, mag zutreffen. Doch steht dies hier nicht in Frage. Da das Gericht die Strafe im Urteilszeitpunkt zuzumessen hat, muss dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten werden, sich zu allfälligen in der Zwischenzeit eingetretenen Veränderungen zu äussern. Dass von vornherein klar gewesen sei, dass beim Beschwerdeführer keine Änderungen in den persönlichen Verhältnissen eingetreten waren, lässt sich jedenfalls nicht sagen (vgl. Urteil des Kassationshofs 6P.104/2000 vom 1.9.2000 E. 3, in: RVJ/ZWR 2001, S. 304; E. 1.3).
Keinen Erfolg hatte der Beschwerdeführer hingegen mit der Rüge, der Verzicht auf eine mündliche Berufungsverhandlung habe seinen Anspruch auf öffentliche Verhandlung (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzt. Dazu der Kassationshof:
Allfällige in der Zeit seit dem ersten Berufungsverfahren eingetretene, im Rahmen der Strafzumessung bedeutsame Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen setzen keine erneute direkte Anhörung des Beschwerdeführers voraus. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann hier auch gewahrt werden, wenn dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt wird (E. 2.4).
Erstinstanzlich war der Beschwerdeführer zu 8 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden. Das Obergericht korrigierte zuerst auf 6 Monate, nach dem ersten Entscheid des Bundesgerichts auf 5 Monate. Ob es weiter nach unten korrigieren wird, ist nicht sicher. Sieht es davon ab, wird sich das Bundesgericht wohl nochmals mit dem Fall befassen müssen.

Sonntag, August 20, 2006

Update: Domestic Spying Program

Dass eine Bundesrichterin die in den USA praktizierten Abhörungen ohne richterliche Verfügung (s. meinen früheren Beitrag) als verfassungswidrig erklärt und die entsprechenden Tätigkeiten per sofort untersagt hat, hat auch die Presse in der Schweiz berichtet. Hier ein paar Beiträge zu den neusten Entwicklungen:

Die beste Übersicht über die Beiträge findet sich bei SCOTUSblog hier, wo Lyle Deeniston auch gleich selbst kommentiert.

Das Urteil selbst hat CDT online gestellt. Es endet mit folgenden Zitat:
As Justice Warren wrote in U.S. v. Robel, 389 U.S. 258 (1967):

Implicit in the term ‘national defense’ is the notion of defending those values and ideas which set this Nation apart. ... It would indeed be ironic if, in the name of national defense, we would sanction the subversion of ... those liberties ... which makes the defense of the Nation worthwhile. Id. at 264.

Update: Geschlossene Gesellschaft auf dem Rütli

Gemäss einem Bericht der SonntagsZeitung (kostenpflichtig) haben 22 der weggewiesenen Besucher der Rütli-"Feier" Beschwerde gegen die Wegweisung eingereicht. Rund ein Dutzend Aufsichtsbeschwerden ist zudem beim Regierungsrat des Kantons Schwyz hängig. Die SonntagsZeitung zitiert aus einem Schreiben der Kantonspolizei an einen Weggewiesenen:
Diese Wegweisung wurde angeordnet, weil entweder Sie selber oder einer Ihrer Kollegen in der ISIS-Datenbank verzeichnet sind.
So einfach ist das.

Grundlage der ISIS-Datenbank ist die Verordnung über das Staatsschutz-Informationssystem (ISIS-Verordnung, sehr empfohlen zur Lektüre), die wiederum auf dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (Art. 15 Abs. 3 und 5 sowie Art. 30 BWIS) und dem Waffengesetz (Art. 39 Abs. 3 WG) basiert.

Die Revision des Staatsschutzgesetzes befindet sich derzeit (bis 15.10.2006) in der Vernehmlassung. Vorlage, Bericht und v.a. Fragekatalog sind online. Viel Spass beim Ausfüllen und Einsenden des Fragekatalogs.

Samstag, August 19, 2006

Stoll c. Suisse

Die Schweiz zieht zum ersten Mal einen Fall an die Grosse Kammer des EGMR weiter. Es handelt sich um Stoll c. Suisse (Requête no 69698/01). Stoll, Journalist, wurde wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) zu einer Busse von CHF 800.00 verurteit worden (s. meinen früheren Beitrag).

Der entsprechende Antrag der Schweiz wird hoffentlich abgelehnt, zumal der Bundesrat die Streichung von Art. 293 StGB prüft. Wahrscheinlich geht es hier aber um grundsätzlichere Fragen, insbesondere darum, die Verfassungsgerichtsbarkeit durch "fremde Richter" in Schranken zu weisen. Andererseits darf wohl bezweifelt werden, dass sich der Fall Stoll dazu besonders eignet. Irgendwie peinlich, das Ganze.

Quelle: NZZ Nr. 189 vom 17.08.2006, 14.

Donnerstag, August 17, 2006

Rechtsirrtum in Balsthal

Das Solothurner Tagblatt berichtet heute über ein Gerichtsverfahren in Balsthal, das wegen Rechtsirrtums zu einem Freispruch geführt hat. Dem Beschuldigten war vorgeworfen worden, Videos mit Gewaltdarstellungen (Art. 135 StGB) in seinem Keller aufbewahrt zu haben. Auf die Spur kam ihm die Polizei aufgrund einer Verkaufsliste, die sie bei seinem Verkäufer sichergestellt hatte, der seinerseits in ein Strafverfahren verwickelt war. Nun müssen offenbar gegen 200 Personen auf dieser Liste mit einem Strafverfahren rechnen.

Der Beschuldigte kam vor der Gerichtsstatthalterin in Balsthal mit dem Argument durch, nicht gewusst zu haben, dass der Erwerb (oder allenfalls das Lagern, der Besitz, die Beschaffung?) solcher Filme strafbar sei. Ob dies dem Oberstaatsanwalt gefällt?

Eine Million für Pflichtverteidiger

Wie die Aargauer Zeitung heute berichtet hat das zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehene Urteil des Bundesgerichts (2P.17/2004 vom 06.06.2006; s. auch meinen damaligen Beitrag) enorme finanzielle Konsequenzen. Aus dem Bericht der Aargauer Zeitung:
Urs Hodel, Leiter der kantonalen Justizverwaltung, bestätigte auf Anfrage, dass nach der Aufhebung des entsprechenden Paragrafen im Dekret sämtliche Pflichtverteidigungsfälle zwischen Anfang 2004 und Mitte 2006 neu aufgerollt werden müssen. Ein erheblicher Aufwand für die Gerichte, zumal es nach der Überprüfung der Entschädigungen an die Anwälte samt und sonders neuer Kostenverfügungen bedarf. Aber das ist noch nicht alles: Nach Aussage von Hodel ist aufgrund von Hochrechnungen davon auszugehen, dass mit Honorar-Nachzahlungen im Umfang von rund 1 Million Franken zu rechnen ist. Dies vor dem Hintergrund, dass insgesamt einige hundert Fälle neu beurteilt werden müssen - allein beim Obergericht ist von gegen 200 Fällen die Rede. Mit Interesse wird in der Justiz denn auch verfolgt, wie sich das Geschäft entwickelt. Konkret stellt sich für die Politik die Frage, ob die altrechtliche Entschädigung von amtlichen Verteidigungen beibehalten wird - ein Vorgehen, das vom Bundesgericht aufgrund des jüngsten Entscheides wohl sanktioniert würde. Oder ob dem Parlament neuerlich eine Teilrevision des Dekretes unterbreitet wird.
Ob das für den Kanton Solothurn auch gilt, darf bezweifelt werden, obwohl im Kanton Solothurn nicht einmal ein verbindlicher Erlass der Legislative oder Exekutive besteht, der die reduzierten Stundenansätze für Pflichtmandate regelt (vgl. dazu den entsprechenden Beschluss des Obergerichts). Immerhin hat gemäss Oltner Tagblatt die FiKo einen Nachtragskredit über CHF 1.12 Mio. beschlossen, um die vom Kanton zu tragenden Gerichts- und Anwaltskosten bis Ende Jahr bezahlen zu können (s. Medienmitteilung der FiKo, ab S. 2). Ob darin die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts berücksichtigt ist, weiss ich allerdings nicht.

Swissfrist

Bisher habe ich mich nicht zu diesem Verfahren geäussert, weil mir all die Spekulationen in den Medien und die - wie immer in solchen Fällen - empörten Reaktionen einiger Politiker-Stiftungsräte, welche eigentlich über ihr eigenes Verhalten empört sein müssten, zu wenig konkret waren.

Was die NZZ nun mitteilt, erscheint mir aber jetzt doch als erwähnenswert. Danach hatte ein Investor im Herbst 2005 Strafanzeige gegen den CEO der Swissfirst wegen Betrugs, eventuell Veruntreuung sowie Insidervergehen angezeigt. Brisanter erscheint mir die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Zürich, dass nun offenbar auch die Seite der Pensionskassen untersucht wird.

Derweil fordert die Aufsichtsbehörde - wie immer in solchen Fällen - neue Regeln. Dabei schwebt ihr auch folgende Idee vor:
Der BSV-Direktor erinnerte an Regeln des Bankensektors, wonach Personen mit Einträgen im Strafregister oder mit Verwicklungen in Konkursfälle keine führenden Funktionen ausüben dürften. Solche Bedingungen könnte man auch bei den Stiftungsräten und Verwaltern von Pensionskassen für verbindlich erklären.
Richtig! Es sollen nicht immer dieselben Delinquenten eine Chance erhalten, sondern auch bisher Unbescholtene. Das eigentliche Problem wird dadurch natürlich nicht gelöst und bisweilen hat man den Eindruck, dass es auch nicht gelöst werden will. Die hoch begehrten Stiftungsratsmandate würden bei einer konsequenten Regelung einfach zu viel an Attraktivität verlieren und am Ende gar noch Verantwortung einbringen, die ja eigentlich keiner will.

Mittwoch, August 16, 2006

Update: Engeler freigesprochen

Auch der Tagesanzeiger hat hier nun die Story (s. meinen letzten Beitrag) und fügt eine erste Reaktion Engelers an:

Engeler zeigte sich erleichtert über den Freispruch, jedoch enttäuscht, dass dieser nicht "demokratiepolitisch begründet" worden sei, wie er es in einem Plädoyer in eigener Sache in der "Weltwoche" gefordert hatte.

Er überlege sich, das Urteil wegen der unbefriedigenden Begründung weiterzuziehen, sagte Engeler.

Jetzt bleiben Sie aber bloss auf dem Boden, Herr Engeler, und lassen Sie sich z. B. von einem Jura-Studenten (erstes Semester sollte reichen) erklären, wieso Sie das Urteil nicht erfolgreich weiterziehen können (und auch nicht sollten). Der Freispruch ist unabhängig von der Begründung ein Sieg auf der ganzen Linie und alles andere wäre eine mittlere Katastrophe. Machen Sie ihn also nicht durch weitere öffentliche "Plädoyers" kaputt, nur weil Sie es nicht bis nach Lausanne oder gar Strassburg geschafft haben. Meistens funktioniert die Justiz halt bereits auf Stufe Einzelrichter.

Engeler freigesprochen

Wie die NZZ soeben mitteilt, ist Urs Paul Engeler heute freigesprochen worden (s. dazu meine früheren Beiträge hier und hier). Aus dem Beitrag der NZZ:
Engeler dürfe nicht stellvertretend für ein Leck in der Bundesverwaltung verurteilt werden, sagte Strafeinzelrichterin Andrea Müller am Mittwoch in ihrer Urteilsbegründung. Der Gesetzesentwurf sei zudem auf Grund der ihr vorliegenden Akten weder als geheim noch vertraulich klassifiziert gewesen.

Dienstag, August 15, 2006

Solothurnische Schnellrichter?

Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat gestern eine merkwürdige Interpellation der FdP-Fraktion behandelt. Die Interpellanten wollten wissen, ob die geschaffenen gesetzlichen Grundlagen für ein "abgekürztes Strafverfügungsverfahren" auch umgesetzt werden. Dazu geben die Interpellanten folgende Erklärungen:
Mit der Erhöhung der Strafverfügungskompetenz der Staatsanwälte (§ 75 Abs. 3 GO) wurde die Möglichkeit geschaffen, in gewissen Fällen von Massendelinquenz ein abgekürztes Strafverfügungsverfahren einzuführen, bei welchem den Beschuldigten z.B. nach der Zuführung mit oder ohne Einvernahme sofort die Strafverfügung ausgehändigt wird, wie dies etwa im Kanton Zürich der Fall ist. Eine Strafverfügung kann, wie sich aus § 103 StPO ergibt, ohne Einvernahme durch den Staatsanwalt erlassen werden, es sei denn, es werde eine unbedingte Freiheitsstrafe angeordnet.
Wenn man dies liest, fragt mach sich, ob die Interpellanten wohl etwas missverstanden haben könnten. Der Regierungsrat stellte jedenfalls in verdankenswerter Klarheit fest:

Ein spezifisches "schnellrichterliches Verfahren" gibt es im Kanton Solothurn nicht.

Die Solothurnische Strafprozessordnung kennt kein "abgekürztes Strafverfügungsverfahren".

Wohl um die Interpellanten nicht völlig auflaufen zu lassen, beantwortet der Regierungsrat die Fragen dann trotzdem so, als gebe es sowas, und nennt 37 Fälle:
Vom 1. August 2005 bis zum 15. Juli 2006 wurde in 37 von total 2177 Fällen, die Vergehens- oder Verbrechenstatbestände (allenfalls zusammen mit Übertretungstatbeständen) zum Gegenstand hatten, dem Beschuldigten nach Zuführung durch die Polizei oder im Untersuchungsgefängnis die Strafverfügung sofort ausgehändigt.
Wenig erhellend ist der Bericht der Solothurner Zeitung, der die Klarstellungen des Regierungsrats nicht wiedergibt und damit suggeriert, es gebe Schnellrichter im Kanton Solothurn.

Schweizerische StPO auf gutem Weg?

Gemäss einem Bericht der NZZ erwächst dem Entwurf zu einer schweizerischen StPO im Ständerat kaum Widerstand. Das ist zu begrüssen, aber es zeigen sich Entwicklungen in der öffentlich nicht geführten Diskussion, die besorgniserregend sind.

Nicht gerade für den Sachverstand der Kommission spricht etwa folgender Auszug aus dem Bericht:
Nicht zufrieden ist die Kommission dagegen mit der Regelungsdichte der Vorlage. So will sie namentlich darauf hinwirken, dass der Verlauf der Hauptverhandlung weniger detailliert vorgeschrieben wird als vom Bundesrat vorgeschlagen, damit die Prozesse beschleunigt und die Taten zügiger abgeurteilt werden.
Dass höhere Regelungsdichte zu längeren Verfahren führen würde, müsste allerdings noch bewiesen werden. Problematischer ist jedoch, dass der Effizienz offenbar vieles untergeordnet werden soll:
So sieht die neue Strafprozessordnung als Gegengewicht zur starken Staatsanwaltschaft ausgebaute Verteidigungsrechte vor, indem etwa eine festgenommene Person sofort einen Anwalt beiziehen kann. Bei den kantonalen Polizeikorps stösst dieser Vorschlag allerdings auf einige Skepsis.
Ja dann kann und darf er natürlich nicht realisiert werden, um nicht noch die Polizei zu verärgen.

In einem Punkt macht sich die Kommission falsche Vorstellungen, wenn sie glaubt, ein Strafverfolgungsmodell zu installieren, bei dem
die Staatsanwaltschaft von der polizeilichen Ermittlung über die Untersuchung und Anklageerhebung bis zur Vertretung vor Gericht alleine zuständig ist.
Ein Blick in die Kantone, die das Modell bereits kennen, wird die Vorstellung der Politiker widerlegen. Etwa im Kanton Solothurn, der das besagte Strafverfolgungsmodell bereits eingeführt hat, steht die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft von der polizeilichen Ermittlung bis zur Vertretung vor Gericht nur auf dem Papier. Die Polizei kümmert sich nicht darum und die Staatsanwaltschaft hat andere Probleme.

Montag, August 14, 2006

Update 6: Wir überwachen ...

In der Fax-Affäre (s. meinen gestrigen Beitrag) berichtet die NZZ heute, dass gegen den Sprecher des SND wegen Verletzung militärischer Geheimnisse ermittelt wird. Das wäre dann wohl Art. 329 StGB. Gestern war aber auch zu lesen, dass das Telefon des Beschuldigten während Monaten überwacht worden sein soll. Art. 329 StGB fehlt nun aber in der Liste der Straftatbestände in Art. 3 Abs. 2 lit. a BÜPF, womit eine Voraussetzung für eine Telefonüberwachung fehlt. Damit müsste Art. 329 StGB ausscheiden.

Anders wäre dies bei Art. 86 (Verrat), 86a (Sabotage), 87 (militärischer Landesverrat) oder 89 Abs. 1 (Nachrichtenverbreitung), 91 Militärstrafgesetz MStG (Begünstigung des Feindes; vgl. die Liste in Art. 3 Abs. 2 lit. b BÜPF). Dem MStG wiederum unterstehen aber die beiden Journalisten nicht ...

Seriengrabscher in Zürich verhaftet

Wie die NZZ hier mitteilt, wurde an der Street Parade ein 41-Jähriger verhaftet, der mehreren Frauen - und zuletzt einer Stadtpolizistin - ans Gesäss gegriffen hatte. Die anderen Opfer fühlten sich offenbar nicht geschädigt. Sie haben sich gemäss NZZ jedenfalls (noch) nicht gemeldet.

Nicht bekannt ist, ob der Unhold noch immer in Haft ist. Sein Geständnis belegt jedenfalls den dringenden Tatverdacht, schliesst aber natürlich weder Verdunkelungs- noch Wiederholungsgefahr aus. Wahrscheinlich muss er daher aus kriminaltaktischen und spezialpräventiven Gründen bis kurz vor dem Haftrichtertermin weggesperrt bleiben.

Und der Tatbestand? Sexuelle Belästigung (Art. 198 StGB)? Gewalt und Drohung gegen Beamte (Art. 285 StGB)? Tätliche Angriffe auf Hoheitszeichen (Art. 270 StGB)?

Ahmadinejad bloggt

Wie die NZZ soeben berichtet, ist der iranische Präsident zu uns Bloggern gestossen. Dagegen leben seine bloggenden Landsleute gemäss NZZ gefährlich:
Während sich Ahmadinejad auf seiner Website freimütig auslassen kann, werden andersdenkende Blogger in Iran streng verfolgt. Im schlimmsten Fall drohen bis zu fünf Jahre Haft. Ein 23-jähriger Student aus Teheran ist nach einem Bericht von «Spiegel Online» wegen seines Blogs im Mai verhaftet und im Gefängnis schwer misshandelt worden.
Ich gehe davon aus, dass sich der präsidiale Weblog, der übrigens toll gemacht und mehrsprachig ist, gewollt oder ungewollt auch strafrechtlich relevante Beiträge enthalten wird, weshalb ich ihn hier nur mit folgendem Disclaimer verlinken darf. Sonst geht es mir am Ende noch gleich wie den Landsleuten Ahmadinejads . Also:
Ich lehne jede Verantwortung für den Inhalt des Weblogs des iranischen Präsidenten ab und mache die Benutzer ausdrücklich darauf aufmerksam, dass er nach schweizerischem und ausländischem Recht strafbare Äusserungen enthält, die ich weder teile noch weiterverbreiten will.
O.K., das nützt mir wohl nichts. Ich verlasse mich einfach darauf, dass die von der NZZ und vom Spiegel den Link auch aufgeschaltet haben und die werden ja wissen, was sie tun. Gespannt bin ich, wer das erste Strafverfahren einleiten wird - gegen Ahmadinejad und seinen Provider natürlich.

Unrechtmässiger Aufenthalt

Das Bundesgericht hatte in einem heute online gestellten Entscheid (6S.152/2006 vom 03.08.2006) zu prüfen, ob der Aufenthalt zwischen dem Ablaufen einer Ausreisefrist am 15. November 2002 und dem einstweiligen Vollziehungsverbot durch die Staatskanzlei am 22. Januar 2003 unrechtmässig war. Für diese Periode war der Beschwerdeführer wegen Zuwiderhandlung gegen fremdenpolizeiliche Vorschriften für schuldig befunden und in Anwendung von Art. 12 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 6 ANAG mit einer Busse von CHF 300.00 bestraft worden.

Das Bundesgericht qualifizierte die Nichtigkeitsbeschwerde als aussichtslos;
Für eine strafrechtliche Verurteilung für Zuwiderhandlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 3 i.V.m. Art. 23 Abs. 6 ANAG muss es in materieller Hinsicht an einem Aufenthaltsrecht fehlen und in formeller Hinsicht eine Ausreisefrist feststehen. Der Beschwerdeführer hat die Verfügung vom 5. Dezember 2000, mit der sein Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abgewiesen wurde, durch alle Instanzen weitergezogen. Spätestens mit dem Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts vom 2. Mai 2002 erwuchs diese Verfügung in Rechtskraft. Damit endete seine Anwesenheitsberechtigung. Am 15. November 2002 liess er sodann eine entgegen seiner Bestreitung von der Fremdenpolizei gültig gesetzte Ausreisefrist unbenutzt verstreichen, womit sein Aufenthalt rechtswidrig wurde. In der Folge wurde er deswegen verzeigt und verurteilt. Diese Verurteilung verletzt kein Bundesrecht. Daran ändert auch sein Wiedererwägungsgesuch nichts, das er rund eineinhalb Monate nach dem bundesgerichtlichen Nichteintretensentscheid stellte und welches seiner Ansicht nach aufschiebende Wirkung entfalten soll. Ob der Beschwerdeführerdie eben erst in Rechtskraft erwachsene Wegweisungsverfügung materiell bereits wieder in Frage stellen durfte, ist nach der erwähnten Rechtsprechung zu bezweifeln, braucht jedoch nicht definitiv entschieden zu werden, weil jedenfalls feststeht, dass die von der Staatskanzlei am 22. Januar 2003 verfügte aufschiebende Wirkung - wie die Vorinstanz zu Recht hervorhebt - nur pro futuro wirkte. Es ging lediglich darum, eventuell bevorstehende Vollzugshandlungen während des Rekursverfahrens einstweilen zu untersagen. An der Rechtswidrigkeit des Verbleibs über die Ausreisefrist vom 15. November 2002 hinaus vermochte das Wiedererwägungsgesuch nichts zu ändern. Dass diese Rechtswidrigkeit für den Beschwerdeführer nicht erkennbar gewesen sein soll, ist angesichts der polizeilich angedrohten Zwangsausschaffung nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig sind berechtigte Interessen zum Verbleib ersichtlich. Zusammenfassend ist die Beschwerde abzuweisen (E. 1.2.4).
Entscheidend war somit die Frage, ob der Entscheid über die aufschiebende Wirkung tatsächlich nur pro futuro wirkte. Dies bejahte das Bundesgericht mit dem Argument, es stehe fest, weil die aufschiebende Wirkung nur bewirkte, Vollzugshandlungen während des Rekursverfahrens zu untersagen. Hat denn der Beschwerdeführer einfach nur zu spät rekurriert?

Sonntag, August 13, 2006

Update 5: Wir überwachen ...

Wie die SonntagsZeitung (kostenpflichtig) heute berichtet, wird in der Fax-Affäre (s. meinen letzten Beitrag dazu) voraussichtlich noch dieses Jahr Anklage erhoben. Das Verfahren der Militärjustiz richtet sich gegen einen Sprecher des Strategischen Nachrichtendienstes SND, der im Mai diesen Jahres eine Woche lang in Untersuchungshaft war, sowie gegen zwei Journalisten des SonntagsBlick. Angeklagt werden die Beschuldigten gemäss SonntagsZeitung wegen "Veröffentlichung militärischer Geheimnisse" (?), die ja ganz offensichtlich keine waren. Na dann ...

Als militärischer Untersuchungsrichter amtet gemäss SonntagsZeitung ein Major, der in zivil Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft ist. Das also versteht man unter enger Zusammenarbeit zwischen Bundesanwaltschaft und militärischer Untersuchungsbehörde (s. dazu einen früheren Beitrag).

Samstag, August 12, 2006

Retrying Galileo, 1633-1992

Die Samstagsausgabe der NZZ stellt heute die "kurvenreiche Studie" von Maurice A. Finocchiaro "Retrying Galileo, 1633-1992" vor, die hier oder als eBook hier bestellt werden kann.

Freitag, August 11, 2006

Von Anwaltsgebühren und Bremseffekten

Das Obergericht des Kantons Zürich legt dem Kantonsrat eine total revidierte Anwaltsgebührenverordnung vor. Es hat sich dabei einer Forderung der Anwälte widersetzt, stärker auf den Zeitaufwand abzustellen. Verbindlich für das Verhältnis Anwalt - Klient ist die Verordnung nur für die unentgeltlichen Rechtsvertreter und die amtlichen Verteidiger. Hier ein paar Auszüge aus der Vorlage zur Entschädigung amtlicher Verteidiger:

Eine beträchtliche Zahl von Verteidigern stellt auch in einfachen Fällen wegen eines geltend gemachten hohen Zeitaufwands sehr hohe Rechnungen. Es fehlt im geltenden Tarifsystem offensichtlich an geeigneten Bremseffekten.

Der Stundenansatz von Fr. 200 soll – wie bis anhin – die Regel bleiben. Der bundesrechtlichen Rechtsprechung zur kostendeckenden Entschädigung der Anwälte ist jedoch im Einzelfall stets Beachtung zu schenken [Noch nicht berücksichtigt hat das Obgericht hier, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts neuerdings nicht mehr bloss Kostendeckung verlangt, sondern den amtlichen Verteidigern sogar erlaubt, etwas an diesen Mandaten zu verdienen (s. dazu meinen früheren Beitrag, der übrigens rund zwei Wochen älter ist als die hier zitierte Vorlage des Obergerichts des Kantons Zürich].

Die direkte Anwendung des Tarifrahmens auch für die Vertretung vor dem Strafgericht verlangt von den amtlichen Verteidigern, wie von den unentgeltlichen Rechtsvertretern schon heute, den Entschädigungsanspruch gemäss dem vorgegebenen Tarifrahmen zu kalkulieren und den Zeiteinsatz entsprechend effizient zu planen. Das amtliche Honorar kommt je nach Schwierigkeit, Verantwortung und Zeitaufwand (§ 2 Abs. 2) im unteren, mittleren oder oberen Bereich des Tarifrahmens zu liegen.

Missbräuchliches Verteidigerverhalten missbilligt

Der deutsche Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 29.06. bzw. 11.08.2006 (3 StR 284/05)
die wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer sicher weiß, dass sich der Fehler unzweifelhaft nicht ereignet hat. (Pressemitteilung Nr. 115/2006).
Weiter aus der Pressemitteilung:
Im Fall des Angeklagten G. war behauptet worden, seine Verteidigerin sei während der Vernehmung eines Zeugen nicht im Sitzungssaal gewesen. Dies werde durch das Protokoll bewiesen. Darin war versehentlich der Weggang der Verteidigerin verzeichnet. Die Nachprüfung hat ohne jeden Zweifel ergeben, dass diese tatsächlich anwesend war und sogar zahlreiche Fragen an den Zeugen gestellt hatte. Dies war auch der Revisionsverteidigerin bekannt, wie die Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof ergeben hat.

Eine solche bewusst unwahre Verfahrensrüge wird in der Fachliteratur und insbesondere in Kreisen der Strafverteidiger für zulässig erachtet; teilweise wird sogar ein „Recht oder gar die Pflicht zur Lüge“ aus der Beweiskraft des Protokolls abgeleitet. Hierzu wird in einem Handbuch für Strafverteidiger empfohlen, zur Umgehung „taktloser“ Fragen von Revisionsrichtern nach der Wahrheit einen anderen Verteidiger nur für das Revisionsverfahren zu beauftragen, der im „Zustand der Unberührtheit gehalten werden könne.“
Andere Länder, andere Sitten.

Donnerstag, August 10, 2006

Ausserordentlich kurzen Prozess ...

... machte das Bundesgericht mit einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich (Urteil 6S.271/2005 vom 28.07.2006). Mit den Rügen des Beschwerdeführers setzte es sich in der Begründung praktisch überhaupt nicht auseinander. Aus den Erwägungen:

Unter diesem Umständen und angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer überdies des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig gesprochen werden musste, liegt entgegen seiner Auffassung kein leichter Fall im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB vor [...] (E. 2).

Was daran bundesrechtswidrig sein könnte, ist der nicht besonders klaren Beschwerde nicht zu entnehmen (E. 2).

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung muss in Anwendung von Art. 152 OG abgewiesen werden, weil die Rechtsbegehren vonvornherein aussichtslos waren (E. 3).

Anspruch auf amtliche Verteidigung verletzt

Der Kanton St. Gallen hat den Anspruch eines Angeschuldigten auf amtliche Verteidigung in Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV verweigert. Alle wesentlichen Elemnte des heute online gestellten Entscheids des Bundesgerichts (Urteil 1P.386/2006 vom 27.07.2006) können Erwägung 4.3 entnommen werden:
Im vorliegenden Fall droht eine unbedingte Freiheitsstrafe von 17 Monaten. Diese Sanktion liegt hinsichtlich der Dauer und Vollzugsform innerhalb der Kategorie der "relativ schweren" Fälle am oberen Ende der Bandbreite. Nach dem zitierten Urteil (BGE 115 Ia 103 E. 4 S. 105) ist die Schwere der vom Angeklagten zu gewärtigenden Sanktion als Umstand für die Einzelfallbeurteilung zu berücksichtigen. Da die drohende Strafe nur unwesentlich unter 18 Monaten liegt und sie sich gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren (Antrag des Staatsanwalts) verschärft hat, sind an weitere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der Beschwerdeführer weist die Eröffnung eines neuen Strafverfahrens nach (Verfügung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom 8. Juni 2005) und legt glaubhaft dar, in Verfahrensfragen überfordert zu sein. Überdies sind keine triftigen Gründe ersichtlich, die gegen die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung sprechen würden. Aufgrund dieser Umstände ist ein Rechtsbeistand zur Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers im kantonalen Berufungsverfahren notwendig (Hervorhebungen duch mich).
Insbesondere die Frage der Überforderung von Laien mit verfahrensrechtlichen Fragen wurde bei den Voraussetzungen für die amtliche Verteidigung bisher oft zu wenig berücksichtigt. Es ist daher erfreulich, dass das Bundesgericht ausdrücklich darauf verweist.

Akteneinsichtsrecht bejaht, Einsichtnachme verhindert

In einem heute online gestellten Entscheid musste sich das Bundesgericht u.a. mit der Frage befassen, unter welchen Umständen das Akteneinsichtsrechts in einem Rekursverfahren beschränkt werden kann (Urteil 1P.327/2006 vom 25.07.2006. Dazu hielt es folgenden Grundsatz fest:

Wird einer Partei die Einsichtnahme aufgrund überwiegender Geheimhaltungsinteressen verweigert, so darf auf die geheimen Unterlagen zum Nachteil der Partei nur abgestellt werden, wenn ihr die Behörde von ihrem für die Sache wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis und ihr ausserdem Gelegenheit gegeben hat, sich zu äussern und Gegenbeweismittel zu bezeichnen (E. 4.2).

Im zu beurteilenden Fall stellte sich die Frage, ob die Verweigerung in eine Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft mit den eingereichten Beilagen zu rechtfertigen war. Diese Frage hat das Bundesgericht zwar im Grundsatz verneint, der Staatsanwaltschaft aber eine goldene Brücke gebaut, indem es ihr - was m.E. im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde nicht möglich ist - zugesteht, die Beilagen aus dem Verfahren zurückzuziehen und damit der Beschwerdeführerin vorzuenthalten:
Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, einzelne der im Rekursverfahren eingereichten Beilagen zurückzuziehen, deren Bekanntwerden den Untersuchungszweck gefährden könnte. Alle anderen, im Recht verbleibenden Beilagen müssen jedoch der Beschwerdeführerin zugestellt werden und ihr Gelegenheit gegeben werden, sich dazu zu äussern (E. 5).
Formell wurde die Beschwerde teilweise gutgeheissen. Materiell hat die Beschwerdeführerin natürlich verloren, indem sie die entscheidenden Akten nicht zu Gesicht bekommen wird. Natürlich wird das zuständige Gericht die vorenthaltenen Akten dann nicht verwerten dürfen, aber es wird auch nicht in Unkenntnis dieser Akten entscheiden (können). Wie das Verfahren ausgehen wird, dürfte jedenfalls klar sein.

Etwas überspitzt könnte man sagen, dass das Bundesgericht die Verweigerung der Akteneinsicht im konkreten Fall missbilligt, dann aber sogleich aufzeigt, dass und vor allem wie die Akteneinsicht trotzdem verhindert werden soll. Glaubt das Bundesgericht nicht an die von ihm zu schützenden Verfahrensrechte?

Mittwoch, August 09, 2006

Terrorfinanzierung via Schweiz?

Die NZZ berichtet heute über ein Rechtshilfeverfahren zugunsten eines in den USA geführten Strafverfahrens gegen angeblich karitative Organisationen. Diese werden verdächtigt, Terroranschläge finanziert zu haben und Verbindungen zu al-Kaida, Hamas und dem libanesischen Jihad zu unterhalten. In der Schweiz sollen zwei arabische Bankiers ein Konto unterhalten, über das Gelder transferiert und gewaschen werden.

Anlass für den Bericht der NZZ bildet ein heute online gestelltes Urteil des Bundesgerichts (1A.99/2006 vom 04.07.2006), welches eine Beschwerde des Kontoinhabers gegen die vom Bundesamt für Justiz bewilligte Rechtshilfe abweist.

Verteidigungsrechte in den USA

ABA doppelt im Kampf um die Verteidigungsrechte (Stichwort: Thompson Memorandum) in den USA nach (s. meinen früheren Beitrag) und fordert in einer neuen Eingabe folgendes:
In the context of responding to government inquiries into possible wrongdoing on the part of its personnel, it is legitimate and in the public interest for an organization seeking leniency as a result of its cooperation with the government’s investigation to choose to do any or all of the following:
  1. provide counsel to an employee or agree to pay an employee’s legal fees and
    expenses;
  2. enter into or continue to operate under a joint defense, information sharing and common interest agreement with an employee or other represented party with whom the organization believes it has a common interest in defending against the investigation;
  3. share its records or other historical information relating to the matter under investigation with an employee or other represented party; or
  4. choose to retain or otherwise decline to sanction an employee who exercised his or her Fifth Amendment right against self-incrimination in response to a government request for an interview, testimony, or other information.
Gefunden bei White Collar Crime Prof Blog und bei WSJ.com on law and business and the business of law.

Dienstag, August 08, 2006

Skyguide-Anklagen

Wie heute der Presse zu entnehmen war, ist beim Bezirksgericht Bülach die Anklage gegen acht Mitarbeiter von Skyguide u.a. wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) eingegangen ist. Was den Beschuldigten konkret vorgehalten wird, ist noch nicht bekannt, kann aber wohl dem Untersuchungsbericht der deutschen BFU entnommen werden, der für die Anklage wegweisend gewesen sein soll.

Wenn die Anklage gegen die acht Personen auch nur einigermassen fundiert ist, stellt sich die Frage nach den Organisationsstruktur dieses bundeseigenen Unternehmens (99 % der Aktien hält der Bund). Es erscheint als kaum vorstellbar, dass tatsächlich acht Personen in strafrechtlich relevanter Weise - jedem einzelnen muss die Schuld nachgewiesen werden - für den Unfall verantwortlich sein sollen.

Nicht angeklagt wurde der CEO. Dafür erhalten die Angeklagten gemäss NZZ juristischen und - falls sie dies wünschen - auch psychologischen Beistand.

Montag, August 07, 2006

Nichts als die Wahrheit

Unter diesem Titel steht ein Artikel von Markus Hofmann über den "Umgang mit der Lüge im Rechtssystem" im heute erschienenen NZZ Folio. Darin äussern sich verschiedene Strafverfolger, ein Strafverteidiger und eine Richterin dazu, wie sie mit Lügen umgehen. Gemeinsam scheint allen nur eines zu sein: sie wissen alle, wenn sie angelogen werden (und kennen damit selbstredend die "objektive Wahrheit").

Hier ein paar Zitate aus den Darstellungen mit ein paar eigenen Bemerkungen dazu:

Einer der Ermittler:
Ich betrachte es jeweils als einen Erfolg, wenn ich jemanden zu einem Geständnis bringe. [klar, denn damit ist ja die Wahrheit gefunden. Wer würde schon ein falsches Geständnis abgeben?]
Ein anderer Ermittler (promovierter Jurist):
Was ich nicht mag, sind dumme Lügen. Wenn man zum Beispiel einem Verhafteten das Foto einer Observation zeigt und ihn fragt, wer da drauf zu sehen sei, und allen Anwesenden im Raum klar ist, dass es der Verhaftete selber ist, und dieser dann trotzdem sagt, er kenne diese Person nicht, das schätze ich nicht. [Was ich nicht mag, sind dumme Fragen.]
Ein weiterer Ermittler:
Jeder hat ein Recht auf einen Anwalt. Aber einen Totschläger oder Mörder rauszuholen, das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. [...]. Da bin ich lieber Polizist. [Zum Glück gelingt einem Anwalt sowas nur, wenn die Ermittler ihren Job nicht gemacht haben. Ist das auch Gewissensfrage?]
Der Strafverteidiger:

[...] ich würde [den Fall] auch heute noch übernehmen und auf Freispruch plädieren, selbst wenn ich wüsste, dass der Sohn der Täter ist. [Das ist der Job der Verteidiger und das Rechtssytem sieht vor, dass sie ihn so verstehen und v.a. so ausüben,]

Aber ich nehme es niemandem krumm, wenn er mich anlügt. [Alles andere wäre auch nicht zum Aushalten.]

Die Richterin:

Ich habe Verständnis für die Anwälte. [Endlich!]

Denn Protokolle geben nicht immer das wieder, was der Angeklagte gesagt hat. [Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.]

Wenn ich merke, jemand lügt mich an, gebe ich ihm das mit meinem Blick zu verstehen. Zu zeigen, dass ich ihn durchschaue, verschafft mir eine gewisse Befriedigung. [Shame, Sie Schlingel Sie!]

Ich versuche mir vorzustellen, was der Verteidiger vor Gericht sagen würde. [und nehme - ob ich will oder nicht - die Gegenposition ein?]

Trotzdem erstaunt es mich immer wieder, wie oft sich der erste Eindruck, den man beim Aktenstudium erhält, am Ende bestätigt. [Also das ginge mir sicher auch so, wenn ich es wäre, der am Ende unfehlbar die Wahrheit feststellen dürfte.]

Schweiz erhält Zugriff auf Flensburger Datenbanken

Dank einem neuen Vollzugshilfeabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz wird die Schweiz gemäss NZZ die Möglichkeit haben, die Daten deutscher Autohalter
direkt elektronisch beim Bundesamt für Kraftfahrt in Flensburg
abzufragen. Damit dürfte die Zustellung von Bussen an fehlbare deutsche Automobilisten sprunghaft zunehmen. Nicht zu beseitigen vermag das Abkommen allerdings die Schwierigkeiten mit dem Inkasso.

Wem gehören die Aktien nach welchem Recht?

Das Bundesgericht heisst eine Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen aus zivilrechtlichen Gründen teilweise gut (Urteil 6P.28/2006 vom 26.07.2006). Die Aargauer Justiz hatte einen Beschuldigten u.a. wegen Falschbeurkundung verurteilt, weil er angeblich wahrheitswidrige Tatsachen anlässlich zweier Generalversammlungen einer Aktiengesellschaft protokollieren liess.

Ob die Tatsachen wahr oder unwahr waren, war nach der Frage des Eigentums an den Aktien zu klären. Dabei war nun aber fraglich, nach welchem Recht dies zu beurteilen war.

Aus dem Sachverhalt:
Die [im Protokoll] beurkundete Tatsache - es finde eine Universalversammlung statt, da alle Aktien vertreten seien - habe nicht der Wahrheit entsprochen. Der Beschwerdeführer habe sich in der Vereinbarung vom 19. November 1997 mit der Firma B. und der Firma C. verpflichtet, sämtliche Aktien der Firma A. an die Firma C. zu verkaufen und zu übertragen. Am 21. November 1997 seien die Aktien beim Notar hinterlegt und die Hinterlegung der Firma C. und der Firma B. umgehend angezeigt worden. Gestützt auf Art. 714 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 924 Abs. 1 ZGB sei damit der Besitz und das Eigentum der Aktientitel auf die Erwerber übergegangen. Die ursprünglichen Aktionäre seien nach der Hinterlegung an den Aktien nicht mehr berechtigt gewesen und von den wahren Eigentümer auch nicht ermächtigt, diese zu vertreten.
Das Bundesgericht beschränkte seine Prüfung auf folgende Frage, die es sodann aber offen lassen musste:
Im Folgenden ist daher nur zu prüfen, ob das Eigentum an den Inhaberaktien gültig übertragen wurde. Dabei handelt es sich um eine zivilrechtliche Vorfrage, welche das Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde von Amtes wegen zu beantworten hat, soweit die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen dazu ausreichen und eine Verletzung von Bundesrecht in Frage steht (E. 7.1).
Das Bundesgericht musste die Frage offen lassen, weil die Vorinstanz zur Rechtswahl keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hatte:
In der Vereinbarung vom 19. November 1997 trafen die Parteien eine Rechtswahl zugunsten des niederländischen Rechts [...]. Dennoch lässt sich die kollisionsrechtliche Frage hier nicht abschliessend beurteilen, da die Vorinstanz bezüglich der Rechtswahl keinerlei tatsächliche Feststellungen trifft. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein übereinstimmender Wille der Parteien zum Abschluss eines Rechtswahlvertrages bezüglich des dinglichen Erwerbes nicht vorlag. Fehlte aber ein solcher, käme für die Beurteilung des Eigentumsüberganges das schweizerische Recht als lex rei sitae zur Anwendung (Art. 100 Abs. 1 IPRG) (E. 7.3)

Sonntag, August 06, 2006

Grober Verfahrensfehler

Heute berichtet auch die SonntagsZeitung (hier, kostenpflichtig) über die von der ehemaligen Eidg. Untersuchungsrichterin vordatierte Verfügung (s. dazu meinen Beitrag). Gemäss SonntagsZeitung muss sie nun auch damit rechnen, wegen Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 StGB) belangt zu werden.

40 Verhaftungen, keine Fichen

Wie die NZZ gestern berichtet hat (Artikel nicht online), hat die Polizei zahlreichen Besitzern von Tickets den Zutritt zur Rütlifeier verwehrt (s. dazu auch einen früheren Beitrag). Der Kommandant der Luzerner Kantonspolizei erklärte das wie folgt:
Wegen des Datenschutzes konnten wir der SGG nicht mitteilen, wem wir kein Ticket geben würden.
Polizeilich weggewiesen wurden rund 120 Personen. Davon sollen sich 40 gegen die Wegweisung widersetzt haben. Sie wurden alle festgenommen, aber am gleichen Tag wieder entlassen worden.

Weiter ist im Artikel der NZZ folgendes zu lesen:
Die Polizei habe sich bei dieser Beurteilung unter anderem auf ein rechtlich abgesichertes Bundesregister gestützt. Fichen mit Personendaten würden aber von der Polizei keine geführt. Der Polizeieinsatz werde nun intern und zusammen mit anderen Beteiligten nachbearbeitet und ausgewertet.
Fichen sind seit dem Fichen-Skandal eben keine Fichen mehr, sondern rechtlich abgesicherte Register. Das ist übrigens sowieso die einzige Konsequenz, die der Staat aus dem Fichen-Skandal gezogen hat: er hat die gesetzlichen Grundlagen für die Schnüffeleien geschaffen. Fichiert wird heute einfach legaler (mir sind Polizeikommandos bekannt, die nach wie vor ohne gesetzliche Grundlage Register führen), aber mehr und vor allem systematischer denn je.

ANCILLA IURIS

Das Projekt Ancilla Iuris bietet
eine zeitgemässe und professionelle Publikationsplattform zur Förderung europäischer Beiträge zur Grundlagenforschung im Recht. Einem interdisziplinären Ansatz folgend, möchten wir das Recht auch mit seinen benachbarten Fachrichtungen, der Politologie, Staatslehre, Soziologie, Sprachwissenschaft, der Philosophie, Geschichte oder auch Kunst und Psychologie ins Gespräch bringen.
Erfreulicherweise verfügt das Projekt über einen RSS-Feed. Alle Beiträge können kostenlos im PDF-Format bezogen werden. Auf folgenden Beitrag von Prof. em. Alois Riklin freue ich mich besonders:
What Montesquieu could not have known yet - Was Montesquieu noch nicht wissen konnte.

Samstag, August 05, 2006

Flut parlamentarischer Vorstösse

Wie ein Tsunmai schwappen die neuen parlamentarischen Vorstösse über die Regierung. Für meinen Blog möge die folgende Auswahlt genügen:
  • 06.1055 A Fehr Hans : Missbrauch der 1. August-Feier auf dem Rütli?
  • 06.445 Pa.Iv. Schlüer Ulrich : Demokratisch getroffene Entscheide sind gerichtlich unanfechtbar
  • 06.1086 A Vaudroz René : Strafgesetzbuch. Inkrafttreten der Änderung 2002
  • 06.5105 Fra. Wobmann Walter : Missbrauch des Rütli zu Abstimmungszwecken
  • 06.5121 Fra. Vischer Daniel : Aussagen von Bundesanwalt Valentin Roschacher
  • 06.437 Pa.Iv. Grüne Fraktion : Parlamentarische Aufsicht über die Bundesanwaltschaft
  • 06.3399 Ip. Chevrier Maurice : Pflicht zur Verschwiegenheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier
  • 06.3228 Ip. Vischer Daniel : Streichung von der Uno Terrorliste im Falle erwiesener strafrechtlicher Unschuld
  • 06.3389 Ip. Baumann J. Alexander : Bundesanwalt gewährt Rechtshilfe an die russische Geheimpolizei FSB
  • 06.3411 Po. Müller Geri : Faire Behandlung für die Gefangenen von Guantanamo
  • 06.3192 Ip. Leuenberger Ueli : Maulwurf-Affäre in Genf
  • 06.046 BRG : Polizeiliche Informationssysteme des Bundes. Bundesgesetz
  • 06.1065 A Leuenberger Ueli : Schutz eines von Italien gesuchten CIA-Agenten. Warum kooperiert die Schweiz nicht mit den europäischen Polizeibehörden?
  • 06.2004 Pet. Häni Rudolf : Abschaffung der Militärjustiz und Abschaffung des scharfen Arrestes als Disziplinarstrafe
  • 06.3266 Ip. Günter Paul : Ausmass der Polizeiausrüstung der Armee
  • 06.3285 Ip. Banga Boris : Innere Sicherheit. Verfassungsrechtliche Ordnung und Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich Polizeirecht
  • 06.3351 Mo. Fetz Anita : Für mehr häusliche und öffentliche Sicherheit. Keine Taschenmunition mehr zu Hause
  • 06.3385 Ip. Kiener Nellen Margret : Wie viel kosten die Polizeieinsätze der Armee?
  • 06.3386 Po. Müller Geri : Unabhängige Analyse zum Terrorismus
  • 06.5124 Fra. Freysinger Oskar : Bundesanwalt
  • 06.3238 Ip. Baumann J. Alexander : Schengen. Revision erlaubt ausländischen Polizisten Nachteile und Observation auf Schweizergebiet auch in Steuersachen
  • 06.3247 Ip. Fraktion der Schweizerischen Volkspartei : Höchste Zeit für volle Transparenz zu Schengen
  • 06.034 BRG : Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege. Änderung
  • 06.431 Pa.Iv. Aeschbacher Ruedi : Strafrahmen für fahrlässige Tötung erweitern
  • 06.3240 Mo. Baumann J. Alexander : Rechtshilfe in Strafsachen. Gerichtliche Überprüfung von Sperrungen von Vermögenswerten
  • 06.435 Pa.Iv. Nordmann Roger : Aktualisierung der Formulierung von Artikel 160 des Strafgesetzbuches betreffend die Hehlerei
  • 06.1068 DA Sozialdemokratische Fraktion : Swissair. Droht das Grounding der Justiz?
  • 06.1086 A Vaudroz René : Strafgesetzbuch. Inkrafttreten der Änderung 2002
  • 06.1089 A Schmied Walter : Verjährung von Strafklagen im Fall Swissair
  • 06.2002 Pet. Champod Luc : Aufhebung von Artikel 261bis StGB
  • 06.3335 Po. Hochreutener Norbert : Stürmen des Spielfeldes als Straftatbestand
  • 06.3362 Po. Recordon Luc : Gerichtliche Verfahren und Wirtschaftskriminalität
  • 06.3281 Mo. Triponez Pierre : Biometrische Passfotos für den Schweizer Pass
  • 06.3229 Mo. Zisyadis Josef : Beschlagnahme der Pinochet-Vermögen in der Schweiz
  • 06.3238 Ip. Baumann J. Alexander : Schengen. Revision erlaubt ausländischen Polizisten Nachteile und Observation auf Schweizergebiet auch in Steuersachen
  • 06.3203 Ip. Abate Fabio : Ermittlungsverfahren gegen die SUVA
    06.454 Pa.Iv. Berset Alain : Gesetz zur Prävention von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen
  • 06.453 Pa.Iv. Egerszegi-Obrist Christine : Regelung der Sterbehilfe auf Gesetzesebene
  • 06.5095 Fra. Wasserfallen Kurt : Legaler Cannabisverkauf. Pilotversuch
  • 06.3193 Mo. Mörgeli Christoph : 5 statt 3 Kilometer Toleranzwert im Strassenverkehr
  • 06.1089 A Schmied Walter : Verjährung von Strafklagen im Fall Swissair
  • 06.5107 Fra. Heim Bea : Swissair-Fall vor der Verjährung
  • 06.5122 Fra. Vischer Daniel : Transfer von Passagierdaten in die USA

Freitag, August 04, 2006

Anspruch auf gerichtliche Beurteilung

Gleich zweimal musste sich das Bundesgericht in Fünferbesetzung mit Verfahrensfragen im Zusammenhang mit der Anordnung eines DNA-Profils im Kanton Zürich befassen (Urteile 1A.89/2006 und 1A.93/2006 vom 19.07.2006; ersteres ist wohl aus Versehen nur teilweise anonymisiert worden). Beide Beschwerden wurden ans Obergericht des Kantons Zürich zur Behandlung überwiesen. Aus den Erwägungen:
Damit stellt sich die Frage des weitern Vorgehens. Der Beschwerdeführer hat nach Art. 98a OG Anspruch auf eine Beurteilung durch ein kantonales Gericht. Diese Bestimmung ist auch bei Fehlen entsprechender kantonaler Verfahrensbestimmmungen direkt anwendbar (BGE 123 II 231 E. 7 S. 236). Demnach ist die vorliegende Beschwerde dem Kanton Zürich zur Gewährung eines gerichtlichen Verfahrens und zur Prüfung der Beschwerde (sowohl in materieller Hinsicht wie auch in Bezug auf die Anträge um vorsorgliche Massnahmen) weiterzuleiten. Dabei fällt eine Überweisung in erster Linie an das Obergericht in Betracht. Falls sich dieses für die Behandlung der Beschwerde - gestützt auf kantonales Organisationsrecht - als unzuständig erklären sollte, wird es seinerseits mit der aus seiner Sicht allenfalls zuständigen gerichtlichen Behörde einen Meinungsaustausch führen bzw. gegebenenfalls das Kompetenzkonfliktverfahren durchführen müssen (E. 2.4).

Donnerstag, August 03, 2006

Unzulässige Absetzung des amtlichen Verteidigers

Das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) hebt eine Verfügung des Eidg. Untersuchungsrichters auf, der einen amtlichen Verteidiger abgesetzt und einen neuen bestimmt hat (BB.2006.30 und 31). Der Anwalt hatte beantragt, sich für deutschsprachige Einvernahmen durch einen Kollegen vertreten zu lassen, der die Sprache beherrsche. Zudem habe er seinem Klienten Antworten zugeflüstert, Auskünfte verweigert und die Untersuchung systematisch behindert, indem er auf die Gewährung seiner Teilnahmerechte bei Untersuchungshandlungen bestand.

Das Bundesstrafgericht auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung über die Rechte und Pflichten eines Strafverteidigers und verwirft die Argumente des Untersuchungsrichters deutlich. Das Ergebnis fasst es wie folgt zusammen:
En résumé, il n'existe en l'espèce aucune « raisons particulières » susceptibles de justifier la révocation et le remplacement du défenseur d'office qui a été décidée d'autorité par le JIF. Dans la décision attaquée, ce dernier a donc largement excédé son pouvoir d'appréciation. Les plaintes doivent ainsi être admises. Il est par ailleurs admissible que Me B. puisse se faire remplacer par un confrère pour certains actes d'instruction, aux conditions énoncées au considérant 2.2.1 précité (E. 3; Hervorhebungen duch mich).

Neue Urteile des Bundesstrafgerichts

Auch die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat eine Reihe neuer Urteile ins Netz gestellt. Die Strafkammer hat dieses Jahr erst drei Urteile erlassen, die sich hier finden. Alle Urteile der Strafkammer wurden ans Bundesgericht weitergezogen. Erfolgreich war allerdings nur ein Beschwerdeführer (s. dazu meinen früheren Beitrag), wobei eine Beschwerde noch hängig ist.

Von den neuen Urteilen der Beschwerdekammer ist dasjenige in Sachen Hells Angels von breiterem Interesse (BB.2006.5). Der (angebliche) Eigentümer einer beschlagnahmten Harley Davidson verlangte erfolgos deren Herausgabe. Aus den Erwägungen:
Demnach ist im jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens ein hinreichender Tatverdacht in Bezug auf den Bestand einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter StGB innerhalb der „Hells Angels MC Zürich“ zu bejahen, was vom Beschwerdeführer nicht bestritten wird (E. 3.2).
Dass Bundesstrafgericht liess es genügen, dass gegen einen Dritten (B.) hinreichender Tatverdacht bestehe:
Da der Beschwerdeführer den daraus abgeleiteten hinreichenden Tatverdacht gegen B. nicht bestreitet, kann auf eine weitergehende Überprüfung verzichtet werden. Damit besteht auch ein hinreichender Tatverdacht, dass sich B. persönlich an der innerhalb der „Hells Angels MC Zürich“ mutmasslich bestehenden, kriminellen Organisation beteiligt bzw. diese unterstützt hat (E. 3.3).

Mittwoch, August 02, 2006

Geschlossene Gesellschaft auf dem Rütli

Erstaunlich milde fällt die Berichterstattung von Akte: Surveillance zur diesjährigen "Feier" auf der Rütlifestung aus.

Auch nicht wirklich kritisch war der heutige Beitrag in der Rundschau von SF1, den Sie hier sehen können. Daran ist besonders erstaunlich, dass der Beitrag jeden einigermassen freiheitlich denkenden Menschen schockieren müsste.

Die Reaktionen der Parteien bzw. der Sekretäre hat die NZZ zusammengetragen. Die haben im Wesentlichen nur begriffen, dass es teuer war und dass niemand weiss, wer bezahlen soll.

Nicht so recht weiss auch der Tagesanzeiger, was er zum Rütli sagen soll. Auch er beschränkt sich darauf, offizielle Meinungen zu zitieren.

Die Website der SGG enthält noch keine aktuellen Berichte. Interessant sind die Erklärungen, die von den Ticketbestellern abverlangt worden waren:

Von den für dieses Antragsformular geltenden Bestimmungen habe ich Kenntnis genommen [diese Bestimmungen habe ich übrigens vergeblich gesucht]. Ich anerkenne sie für mich und die zusätzlichen Besucher, die auf diesem Antragsformular aufgeführt sind, als verbindlich an. Weiter nehme ich für mich und die zusätzlichen Besucher, die auf diesem Antragsformular aufgeführt sind, zur Kenntnis, dass sich der Veranstalter das Recht vorbehält, bei Widerhandlung gegen die für dieses Antragsformular geltenden Bedingungen den Eintritt zu verwehren bzw. fehlbare Personen aus dem Areal zu weisen.

Ich/wir verpflichte mich/uns, die Bundesfeier am 1. August in keiner Weise zu stören und mich/uns an die Hausordnung der Rütlikommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft zu halten [die ist hier und äusserst lesenswert], bzw. dass ich/wir mich/uns an die Weisungen der Polizei und des Ordnungsdienstes halten werden.

Kein Wunder, dass rund die Hälfte der Besitzer eines solchen Tickts zu Hause geblieben sind.

Neue Bundesgerichtsentscheide

zum Thema, die allein heute online gestellt wurden, muss ich vorerst einfach nur aufzählen. Auf den ersten Blick schon intererssant sind folgende Urteile:

  • 29.06.2006, 6S.188/2006, Infractions, Diffamation (art. 173 CP). Dieser Entscheid ist zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen (vgl. dazu auch den heutigen Beitrag in der NZZ);
  • 20.07.2006, 1P.302/2006, Strafprozess, Verweigerung einer Akontozahlung des Offizialverteidigerhonorars.

Bei den restlichen, möglicherweise nicht weniger interessanten Urteilen handelt es sich um diejenigen vom:

  • 29.06.2006, 6S.170/2006, Strafprozess, rechtliches Gehör, Grundsatz "in dubio pro reo";
  • 05.07.2006, 6S.175/2006, Procédure, Meurtre passionnel (art. 113 CP);
  • 13.07.2006, 1A.72/2006, Rechtshilfe und Auslieferung, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Deutschland;
  • 14.07.2006, 6S.109/2006, Strafprozess, Tötung (Art. 111 StGB) ;
  • 17.07.2006, 1P.239/2006, Procedura penale, infrazione alle norme della circulazione stradale;
  • 17.07.2006, 1P.267/2006, Procédure pénale, ordonnance de non-lieu, récusation;
  • 19.07.2006, 1P.343/2006, Strafprozess, Erlass der Einschreibgebühr für die Berufung, Wiedererwägung;
  • 20.07.2006, 1P.85/2006, Verfahren, Strafverfahren; Beweiswürdigung;
  • 25.07.2006, 1P.425/2006, Procédure pénale, maintien en détention préventive.