Freitag, April 28, 2006

Fahrverbot statt unbedingter Gefängnisstrafe?

Das Bundesgericht hebt in BGE 6S.489/2005 vom 12.04.2006 ein Urteil der waadtländer Justiz auf, die einem 78-jährigen Automobilisten den bedingten Strafvollzug verweigert hatte. Die Vorinstanz hatte den Mann wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt. Dabei hat sie laut Bundesgericht in Verletzung von Bundesrecht nicht geprüft, ob eine Weisung nach Art. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB (Fahrverbot) eine günstige Prognose zuliesse.

Anklageprinzip gerade noch gewahrt

In einem heute online gestellten Entscheid (BGE 1P.761/2005 vom 12.04.2006) hatte sich das Bundesgericht mit dem Anklageprinzip nach der StPO des Kantons Graubünden zu befassen. Zunächst stellte es fest, dass die Anforderungen des bündnerischen Prozessrechts an die Anklageschrift nicht über die verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien hinaus gehen. Zum konkreten Fall führte es folgendes aus:
Im Anklagesachverhalt wird der Betrugsvorwurf zwar in der Tat nur knapp begründet, namentlich wird nicht ausdrücklich dargelegt, inwiefern das Verhalten der Beschwerdeführerin arglistig gewesen sein soll. Immerhin werden die schwierigen Lebenssituationen der Kundinnen explizit erwähnt. Ein solcher Hinweis in einer Betrugsanklage kann vernünftigerweise nur den Zweck haben aufzuzeigen, dass die Opfer auf Grund ihrer persönlichen Schwierigkeiten in ihrer Urteilsfähigkeit eingeschränkt waren und ihnen deswegen das "gesunde" Misstrauen gegenüber der Hilfe anbietenden Beschwerdeführerin fehlte. Damit ist der Vorwurf arglistigen Verhaltens - der Ausnützung der durch persönliche Notlagen begründeten besonderen Vertrauensseligkeit der Anruferinnen -, wie ihn das Kantonsgericht als erfüllt ansah, in der Anklageschrift gerade noch hinreichend abgesteckt, die Beschwerdeführerin wusste, was ihr vorgeworfen wurde und war damit in der Lage, sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen (E. 3.3).
Soweit kann man dem Urteil wohl folgen, auch wenn der volle Wortlaut der Anklageschrift nicht wiedergegeben wird und auch wenn man sich durchaus auch andere Gründe für den Hinweis auf die "schwierigen Lebenssituationen der Kundinnen" vorstellen kann. Noch schwieriger zu verstehen ist aber das anschliessende Argument:
Der Kantonsgerichtsausschuss hat im Zusammenhang mit der Arglist zwar auch auf Umstände zurückgegriffen, die in der Anklage nicht erwähnt sind. So sah (recte: hat) er Arglist nur insoweit als gegeben angenommen, als die Geschädigten die Kosten ihrer Beratungsgespräche nicht überprüfen konnten, da diese auf den Telefonrechnungen der Geschädigten anfangs nicht detailliert ausgewiesen waren. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Anklageprinzips indessen unproblematisch, weil mit diesem Argument die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin einschränkt wird (E. 3.3; Hervorhebungen duch mich).
Bevor die strafrechtliche Verantwortlichkeit eingeschränkt wird, muss sie doch zuerst einmal begründet werden. Hier wurde sie (auch?) damit begründet, dass die Geschädigten die Kosten nicht überprüfen konnten. Die schwierigen Lebenssituationen der Geschädigten - und darauf bezog sich offenbar die Anklageschrift - vermögen jedenfalls die Arglist allein sicher nicht zu begründen.

Das ist so ein Entscheid, bei dem ich den Eindruck habe, das Bundesgericht habe mit der Abweisung der Beschwerde ein materiell absolut richtiges Urteil schützen wollen. Hätte es die Anklageschrift in einem Anklagezulassungsverfahren beurteilen müssen, wäre es möglicherweise zu einem anderen Urteil gelangt (vgl. die in BGE 120 IV 348 definierten Anforderungen).

Donnerstag, April 27, 2006

Internationale Polizeizusammenarbeit

Laut einem Bericht der NZZ wird die Kooperation im Rahmen von Schengen vorerst nicht weiter ausgebaut. Die Schweiz setzte sich insbesondere für die Beibehaltung des Prinzips der doppelten Strafbarkeit ein, welches bei der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen als fundamentaler Grundsatz gilt (vgl. etwa Art. 5 Ziff. 1 lit. a EUeR.)

Die Entwicklungen in der EU lassen sich hier und hier nachverfolgen.

Bundesanwaltschaft: einheitliche Aufsicht

Trotz Kritik hält der Bundesrat laut einer Medienmitteilung daran fest, die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft zu vereinheitlichen. Das Dossier des EJPD finden Sie hier. S. auch meine früheren Beiträge.

Honorar für Offizialanwalt verdoppelt

Das Bundesgericht hat sich erneut mit der Höhe der Entschädigung für einen Offizialanwalt befassen müssen, diesmal im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens (BGE 1A.43/2006 vom 06.04.2006). Aus dem Entscheid:
Im angefochtenen Entscheid wurde dem Offizialanwalt für das erstinstanzliche Verfahren vor dem BJ ein Pauschalhonorar von "CHF 1'500.-- (MwSt inkl.)" zugesprochen. Selbst bei einem (auch für Offizialvertretungen mässigen) Stundenansatz von ca. CHF 180.-- bis 190.-- für anwaltliche Leistungen auf dem Platz Zürich ergäbe sich daraus ein entschädigter Zeitaufwand von weniger als acht Stunden, zumal im Pauschalhonorar auch noch die direkten Barauslagen des Rechtsvertreters (Porto, Telefon usw.) sowie die Mehrwertsteuer abgegolten wären. Diese Entschädigung erscheint eindeutig zu tief, sachlich nicht mehr vertretbar und bundesrechtswidrig. In weniger als acht Stunden hätte sich der vorliegende Auslieferungsfall jedenfalls nicht mit der nötigen Sorgfalt anwaltlich bearbeiten lassen (E. 4.6.1).
Der Offizialanwalt hatte knapp CHF 10,000.00 geltend gemacht. Das Bundesgericht erkannte ihm nun CHF 3,000.00 zu. Für die Entschädigung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbst führt das Bundesgericht folgendes aus:
Der Gesuchsteller beantragt, der amtliche Rechtsvertreter sei angemessen zu entschädigen. Letzterer macht für die Ausarbeitung der Beschwerdeschrift einen zeitlichen Aufwand von 18 Stunden geltend. Dieser Aufwand erscheint nicht ausgewiesen. Ein aussergewöhnlich viel Arbeit beanspruchender Auslieferungsfall mit schwierigen Rechts- oder Tatfragen liegt hier nicht vor. In der Beschwerde werden ausserdem (zur materiellen Auslieferungsfrage) grossteils die bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Vorbringen sinngemäss wiederholt. Das Honorar des unentgeltlichen Rechtsvertreters für das vorliegende Beschwerdeverfahren wird in Anwendung des bundesgerichtlichen Tarifes vom 9. November 1978 über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht (SR 173.119) pauschal auf CHF 1'500.-- festgesetzt (vgl. Art. 6 Abs. 2 und Art. 7-9 des Tarifes) (E. 5.3).

Mittwoch, April 26, 2006

"Une espèce de censure"

Der EGMR hat am 25.04.2006 in zwei gegen die Schweiz gerichteten Verfahren Verletzungen der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK) festgestellt. In Strassburg beschwert hatten sich zwei Journalisten, die in damals viel diskutierten Fällen verurteilt worden waren. Die Verurteilungen stellten laut EGMR eine Art Zensur dar.

In EGMR, STOLL c. SUISSE, No 69698/01 ging es um einen Artikel in der SonntagsZeitung, der aus einem vertraulich klassifizierten Schreiben von Botschafter Jagmetti in den USA zum Streit um die Entschädigung von Holocaust-Opfen durch schweizerische Banken zitiert hatte. Stoll wurde zu einer Busse von CHF 800.00 verurteilt (Art. 293 StGB, Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) und blieb vor Bundesgericht erfolglos (BGE 126 IV 236 und BGE 127 I 1). Das neue EGMR-Urteil kam übrigens mit 4:3 Richterstimmen zusammen. Die Minderheit hat der Schweizer Wildhaber angeführt.

In EGMR, DAMMANN c. SUISSE, No 77551/01 kam der EGMR einstimmig zum Schluss, dass auch die Verurteilung Dammanns (BGE 127 IV 122) konventionswidrig war. Hier entschied der EGMR einstimmig. Dammann hatte die Staatsanwaltschaft um eine Auskunft gebeten und wurde dafür wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung (Art. 24 Abs. 1, Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) zu einer Busse von CHF 500.00 verurteilt.

Vorratsspeicherung von Daten

Die EU macht ihren Mitgliedstaaten neue Vorschriften über die Vorratsspeicherung von Daten. Die
RICHTLINIE 2006/24/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl L 105/54 vom 13.04.2005)
definiert u.a. die auf Vorrat zu speichernden Daten und die Dauer (sechs bis 24 Monate) der Aufbewahrung dieser Daten. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinie bis 15.09.2007 umzusetzen oder der Kommission zu erklären, die Umsetzung bis 15.03.2009 aufzuschieben. Die Erklärungen von 16 (!)Mitgliedstaaten finden sich am Schluss der Richtlinie.

Was der Europäische Datenschutzbeauftragte davon hält, findet sich hier.

Dienstag, April 25, 2006

Vereinheitlichung Strafprozessrecht

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates ist ohne Gegenstimme auf die Vorlage zur Schweizerischen Strafprozessordnung eingetreten und unterstützt auch das gewählte "Staatsanwaltschaftsmodell". In der heute erschienenen Medienmitteilung setzt sie auch gleich die Schwergewichte:
Die Kommission wird bei der Detailberatung insbesondere auf die Effizienz des Systems achten sowie darauf, dass die Verfahren auf eine Weise beschleunigt werden, dass sie innert nützlicher Frist zu einem Abschluss gelangen.
Die Vorteile des Strafverfolgungsmodells sieht sie die Kommission wie folgt:
Mit diesem Modell [...] lässt sich die Effizienz der Strafverfolgung verbessern, dies vor allem in den komplexen Fällen der Wirtschaftskriminalität.

Wer sagt mir, ob ein internationaler Haftbefehl gegen mich vorliegt?

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid (BGE 1A.210/2005 vom 29.03.2006) hat sich das Bundesgericht mit einem unbefriediegend beantworteten Auskunftsersuchen auseinanderzusetzen. Die Beschwerdeführerin wollte beim Bundesamt für Justiz in Erfahrung bringen, ob die Behörden des Staates Y. sie zur Fahndung ausgeschrieben haben und sie somit bei einer Reise ins Ausland die Verhaftung und Auslieferung an den Staat Y. riskiert. Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde nicht ein, weil die Verfügung des Bundesamts für Justoz mangels Zuständigkeit nichtig war. Aus dem Entscheid:
Eine Strafuntersuchung gegen die Beschwerdeführerin wegen Mitgliedschaft in einer Vereinigung führte der Staat Y. Gemäss Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Interpol-Verordnung richtet sich daher die Auskunftserteilung nach dem Recht des Staates Y. Nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Interpol-Verordnung leitet das Bundesamt für Polizei das Gesuch zum Entscheid an die zuständige Behörde weiter. Damit kann nur die zuständige Behörde des Staates Y. gemeint sein, da es nicht Sache einer schweizerischen Behörde sein kann, über die Auskunftserteilung nach dem Recht des Staates Y. zu befinden. [...] Das Bundesamt für Justiz ist nach Art. 13 Interpol-Verordnung nie zum Entscheid über ein Auskunftsgesuch zuständig. Vom Bundesamt für Justiz ist in dieser Bestimmung - wie im gesamten dritten Abschnitt der Interpol-Verordnung, der die Rechte betroffener Personen regelt (Art. 13 ff.) - überhaupt keine Rede (E.2.2).
Und nun wie weiter? Das Bundesgericht zeigt folgende Möglichkeiten:
Nach dem Gesagten wird das Bundesamt für Justiz das Auskunftsgesuch der Beschwerdeführerin dem Bundesamt für Polizei zu übergeben haben. Dieses hätte es nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Interpol-Verordnung an die zuständige Behörde des Staates Y. weiterzuleiten. Unter den gegebenen Umständen drängt sich allerdings seitens des Bundesamtes für Polizei eine Rückfrage bei der Beschwerdeführerin auf, ob diese mit der Weiterleitung an die Behörde des Staates Y. einverstanden sei. Wie gesagt, wurde der Beschwerdeführerin in der Schweiz Asyl gewährt. Ihre politische Verfolgung wurde damit anerkannt. Es ist somit denkbar, dass die Beschwerdeführerin einen Kontakt mit Behörden des Staates Y. ablehnt (E. 3.1)
Oder aber:
Der Beschwerdeführerin steht es sodann frei, bei der Kontrollkommission für Interpol-Dateien Zugang zu von Interpol bearbeiteten personenbezogenen Daten zu verlangen (E. 3.2).
Dieses Verfahren ist im Anhang 3 der Interpol-Verordnung geregelt (vgl. insb. Art. 9).

Montag, April 24, 2006

Unverwertbares Geständnis

Nach seiner Verhaftung hat ein Beschuldigter ein umfassendes Geständnis von der Polizei aufzeichnen lassen. Er hat gestanden, im Jahr 1985 einen brutalen Mord begangen und danach Gegenstände aus der Wohnung des Opfes gestohlen zu haben. Er wurde zum Tod verurteilt. Die Tat bestritten hat er nie, auch nicht in den anschliessenden habeas corpus-Verfahren.

Über zehn Jahre nach der Tat, stellte nun ein Gericht fest, dass das Tonband mit dem Geständnis nicht verwertbar war (U.S. 6th Circuit Court of Appeals, Van Hook v. Anderson, No. 03-4207 vom 18.04.2006). Zum Geständnis war es nämlich gekommen, nachdem der Beschuldigte ohne Anwalt eigentlich keine weiteren Aussagen mehr machen wollte. Als ein Polizeibeamter dem Beschuldigten dann aber eröffnete, er habe mit seiner Mutter gesprochen, war er zum Geständnis bereit.

Das Appellationsgericht stützte sich auf ein Präjudiz aus dem Jahr 1981 (Edwards v. Arizona, 451 U.S. 477, 484-85). Edwards besagt im Grundsatz, dass ein Untersuchungshäftling, der eine anwaltltliche Vertretung verlangt hat, nicht mehr befragt werden darf, bis er vertreten ist. Damit soll jeder Verdacht beseitigt werden, der Beschuldigte habe auf polizeilichen Druck hin auf seine Vertretung verzichtet (the Edwards rule is designed to prevent police from badgering a defendant into waiving his previously asserted Miranda rights). Ergebnis:
We reverse the judgment of the district court and remand with instructions that Van Hook be released from state custody if not retried by the State of Ohio within 180 days of the final federal court judgment in this case.

Anwaltsgeheimnis in den USA

Nachdem das Bundesgericht in den letzten Tagen keine neuen Entscheide zum Straf- und Strafprozessrecht publiziert hat, mögen zur Abwechslung wieder einmal Fälle aus den USA interessieren. Ich verweise auf drei interessante Beiträge im White Collar Crime Prof Blog, welche alle mit den Schnittstellen Anwaltsrecht/Anwaltsgeheimnis und Beweissicherung zu tun haben. Sie zeigen, wie in den USA das Anwaltsgeheimnis zur Disposition gestellt wird und wie die Gerichte damit umgehen (s. dazu auch einen früheren Beitrag):

Freitag, April 21, 2006

BWIS I: Referendumskomitee

Das Referendumskomitee gegen das "Hooligangesetz" (s. meine früheren Beiträge, z.B. hier) ist gegründet. Es besteht gemäss Angaben auf dessen Website aus Vertretern verschiedener Fangruppierungen von Fussball- und Eishockeyvereinen aus der ganzen Schweiz, sowie Politikern aus der ganzen Parteienlandschaft. Zum Unterschriftenbogen gelangen sie hier.

Donnerstag, April 20, 2006

Wenn der Strafrichter zum Zivilrichter wird

Wie eng Straf- und Zivilrecht bisweilen zusammenhängen, zeigt ein heute online gesteller Entscheid des Bundesgerichts (BGE 1P.802/2005 vom 09.03.2006). Strafrechtlich führte die zivilrechtliche Würdigung eines Sachverhalts zu einem Freispruch, allerdings mit Kostenauflage an den Freigesprochenen. Zivilrechtlich wurden ihm hingegen Vorwürfe gemacht, was die Kostenauflage rechtfertigte:
Ferner warf das Obergericht dem Beschwerdeführer einen Verstoss gegen das Verbot treuwidrigen Verhaltens im Geschäftsverkehr vor. Damit geht aus der Begründung des Obergerichts klar hervor, dass es dem Beschwerdeführer nicht den Vorwurf einer strafrechtlichen Schuld machte, sondern ihm eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher und damit zivilrechtlicher Verhaltensnormen vorwarf. Dies gilt auch für den Vorwurf des treuwidrigen bzw. widerrechtlichen Verhaltens im Sinne von Art. 41 OR. Da diese vom Beschwerdeführer beanstandeten Ausführungen des Obergerichts nicht den Eindruck erwecken, es halte ihn im strafrechtlichen Sinne für schuldig, liegt keine Verletzung der Unschuldsvermutung vor (E. 4.2, Hervorhebungen durch den Verfasser).
Zum Verhängnis wurde dem Beschwerdeführer einmal mehr sein eigenes Aussageverhalten. Hätte er von Anfang an "richtig" ausgesagt, was allerdings nur bei vertiefter zivilrechtlicher Analyse des Sachverahlts überhaupt möglich gewesen wäre, wäre das Verfahren wohl eingestellt worden. Speziell erscheint ferner, dass sich das zivilrechtlich vorwerfbare Verhalten in diesem Fall auf eine Pflichtverletzung gegenüber einer Gesellschaft bezog, dîe dem Beschwerdeführer zu 100% gehört.

Mittwoch, April 19, 2006

Vom (überspitzten) Formalismus

Nicht nur die Fristen haben ihre Tücken, sondern auch die Rechtsmittel. Dies zeigt ein heute online gestellter Entscheid des Bundesgerichts (BGE 1P.151/2006 vom 31.03.2006). Der Beschwerdeführer hatte es in einem kantonalen Rechtsmittelverfahren versäumt, den Kostenvorschuss fristgerecht zu zahlen. Sein Fristwiederherstellungsgesuchs hat die Vorinstanz abgewiesen, was er als überspitzt formalistisch beim Bundesgericht gerügt hat. Dort scheiterte er nicht an den Fristen, sondern daran, dass er seine Beschwerde sozusagen zu wenig formalistisch begründete:
Auf die Rüge kann nicht eingetreten werden, weil der Beschwerdeführer nur das Verschulden des Anwalts, nicht aber sein eigenes Verschulden bestreitet. Damit bleiben die Ausführungen des Kantonsgerichts zum Verschulden des Beschwerdeführers bestehen. Selbst wenn also der Einwand zuträfe, der Anwalt sei schuldlos, bliebe die Abweisung des Fristwiederherstellungsgesuchs damit begründet, dass der Beschwerdeführer selber kein unverschuldetes Hindernis glaubhaft gemacht habe (E. 5.2).
Gerichtsgebühr: CHF 2,000.00.

Wie Gleichgültigkeit zum Vorsatz wird

Wer zur Erzielung von "Provisionen" Dokumente unterzeichnet, ohne deren Inhalt zu kennen, handelt nicht fahrlässig, sondern erfüllt alle Tatbestandselemente der Falschbeurkundung eventualvorsätzlich. Dies hat das Bundesgeicht in einem Urteil vom 07.04.2006 (BGE 6P.47/2006) festgehalten, allerdings ohne sich im Urteil selbst eingehend damit auseinanderzusetzen:
Im Übrigen sei ihm offenkundig egal gewesen, was er unterzeichnete, er habe nur zum versprochenen Verdienst kommen wollen (angefochtenes Urteil S. 14). Die Vorinstanz schliesst zu Recht von der Gleichgültigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich des Unterschriebenen auf seinen Eventualvorsatz. Es ging ihm nur um die Fr. 1'600.-- "Provision". Damit hat er in Kauf genommen, Schriftstücke mit Urkundencharakter zu unterzeichnen (E. 4.1)
Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügte der Beschwerdeführer erfolglos eine Verletzung des Gehörsanspruchs, weil beantragte Akten nicht beigezogen worden waren. Hiezu das Bundesgericht:
Wie das Kassationsgericht zu Recht hervorhebt, stützt das Obergericht seinen Schuldspruch gänzlich auf die Sachdarstellung des Beschwerdeführers. Er hat zugegeben, die ihm nicht genauer bekannten Dokumente unterschrieben zu haben, in der Absicht eine Provision zu erhalten. Aus dieser Gleichgültigkeit durfte auf die Inkaufnahme der Urkundenqualität der unterschriebenen Dokumente und deren inhaltlicher Unwahrheit geschlossen werden. Alle für eine Falschbeurkundung notwendigen objektiven und subjektiven Tatbestandselemente sind somit von seinem Eingeständnis umfasst (E. 6.3).
Confessio regina probationum?

Dienstag, April 18, 2006

Willkürliche Kostenauflage

Die Kostenauflage durch den Kanton Aargau an einen Verkehrssünder, dessen Verfahren wegen Eintritts der absoluten Verjährung eingestellt wurde, hat das Bundesgericht als willkürlich qualifiziert (BGE 1P.67/2006 vom 29.03.2006). Aus dem Entscheid:
Die Verjährung ist in jedem Verfahrensstadium von Amtes wegen zu berücksichtigen (BGE 116 IV 80 E. 2a). Bei pflichtgemässer Beachtung der Verjährung hätte das Verfahren vor Erlass des Strafbefehls abgeschlossen werden müssen und es wäre nicht zum Einspracheverfahren gekommen. Daher kann nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe die Kosten des Einspracheverfahrens vor Bezirksgericht verursacht. Ihn dennoch zur Bezahlung dieser Kosten zu verpflichten, erweist sich als offensichtlich unhaltbar und verletzt das Willkürverbot (E. 3.4).

Beifahrer vorsätzlich getötet

Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesgericht im Urteil vom 28.03.2006 (BGE 6S.114/2005). Darin weist der Kassationshof in Dreierbesetzung die Nichtigkeitsbeschwerde eines Rasers ab, der im Anschluss an ein Rennen einen Selbstunfall verursachte, bei dem sein Beifahrer ums Leben kam. Aus dem Entscheid:
Auch hier gilt, dass der Beschwerdeführer offensichtlich das Ziel, dem Kontrahenten und den Mitfahrern die eigene fahrerische Überlegenheit zu beweisen, höher bewertet hat als die eigene Sicherheit und diejenige seines Beifahrers. Der drohende schwere Unfall mit seinen Folgen waren ihm offensichtlich völlig gleichgültig (E. 5).

Samstag, April 15, 2006

Resolution der FDP für ein aktives Einstehen zu Gunsten der Grundrechte

Gemäss Medienmitteilung vom 11.04.2006 will sich die FDP ("Wir Liberalen") wieder für die Grundrechte einsetzen. Mit Rücksicht auf die "Radicaux" verzichte ich hier auf einen Link zum Volltext der "Resolution". Das folgende Zitat daraus mag meine Zurückhaltung erklären:
Auf Bundesebene gibt es bisher kein Integrationsgesetz. Ein solches könnte mit Blick auf die integrationspolitischen Herausforderungen nützlich sein. Die Zweckmässigkeit eines Rahmengesetzes auf Bundesebene sollte deshalb geprüft werden.

Die Pflicht zur Selbstbelastung ...

... soll aus dem Bundessteuerrecht gestrichen werden (s. Medienmitteilung vom 13.04.2006 und die Berichterstattung der NZZ). Auslöser waren ein Urteil des EGMR vom 03.05.2001 (EGMR, App. No. 31827/96, J.B. v. Switzerland) und eine darauf gestützte Standesinitiative des Kantons Jura. Aufgehoben werden soll ferner die Beweislastumkehr zulasten der Ehegatten gemäss Art. 180 Abs. 2 DBG.

Bemerkenswert ist schliesslich der Hinweis des Bundesrats zu den Zwangsmassnahmen bei der Hinterziehungsrechtshilfe nach Schengen/Dublin:
Soweit hingegen ausländische Rechtshilfeersuchen Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Hinterziehungsdelikten im Bereich der direkten Steuern umfassten, müsse die Schweiz keine Folge leisten.
Dies gilt hingegen nicht in den Bereichen indirekte Steuern, Subventionen und Beschaffungswesen.

Donnerstag, April 13, 2006

Von Schenkkreisen und Naturvölkern

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil des Bundesgerichts vom 31.03.2006 (BGE 6P.23/2006) hat sich der Kassationshof eingehend mit Schenkkreisen zu befassen. Bei der rechtlichen Qualifikation ging es auf die Hinweise der Beschwerdeführer, bei welchen Naturvölkern in welchen Ländern aus welchen Gründen die Idee von "Schenkkreisen" entstanden sei, nicht ein. Massgeblich war für den Kassationshof hingegen folgendes:
Die Gründung eines "Schenkkreises", dessen Zweck darin besteht, weitere Personen zum Beitritt durch Zahlung eines Einsatzes zu veranlassen, ist der Ausgabe einer Lotterie im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 LG gleichzustellen und daher in Anwendung von Art. 56 Abs. 2 LG gemäss Art. 38 Abs. 1 LG strafbar (E. 5.2.1).
Hingegen hat das Bundesgericht nicht jede Teilnahmehandlung als tatbestandsmässig qualifiziert:
Die Leistung eines Einsatzes zwecks Beitritts in einen "Schenkkreis" ist dem Kauf eines Loses bei einer Lotterie, mithin dem Einlegen in eine Lotterie, gleichzustellen und daher als solche gemäss Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 56 Abs. 2 LG nicht strafbar (E. 5.2.3).
Einer der Beschwerdeführer ist daher mit seiner Beschwerde durchgedrungen:
Die Leistung eines Einsatzes ist dem Einlegen in eine Lotterie gleichzustellen und daher gemäss Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 56 Abs. 2 LG straffrei (siehe E. 5.2.3 hievor). Die Vorinstanz stellt nicht fest, dass der Beschwerdeführer 2 über die Leistung eines Einsatzes hinaus, wodurch er dem "Schenkkreis" beigetreten ist, irgendwelche Handlungen vorgenommen habe, die als Durchführungshandlungen im Sinne von Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 LG qualifiziert werden könnten (E. 5.4).

Mittwoch, April 12, 2006

Rechtsschutz bei internationaler Amtshilfe

Gemäss Medienmitteilung des EJPD will der Bundesrat die Grundsatzfrage, ob Beschwerden gegen die Erteilung internationaler Amtshilfe zulässig sind, "vertieft abklären". Er beauftragte die Verwaltung zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen über den Rechtsschutz bei der Erteilung internationaler Amtshilfe geändert werden müssen. Die nicht ganz neue Frage wurde im Zusammenhang mit den "Oil-for-food"-Untersuchungen des IIC, dem das seco bei Banken eingeholte Unterlagen zugestestellt hatte, wieder aktuell.

Präventivhaft geschützt

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 3. April 2006 (BGE 1P.150/2006) eine staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Haftentscheid abgewiesen.

Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr führt es aus, dass allfällige Drohungen, die zu keinem Strafantrag führten, nicht Gegenstand eines pendenten Strafverfahrens seien und daher bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigt werden dürfen. Zu einem anderen Ergebnis kommt das Bundesgericht bei der Beurteilung der Rückfallgefahr:
Aus den Ermittlungsakten ergibt sich sodann, dass der Beschwerdeführer auch gegenüber anderen Personen - namentlich dem behandelnden Psychologen seiner Tochter - schwere Drohungen ausgesprochen haben soll [Anmerkung: hierfür lagen keine Strafanträge vor]. Auch wenn dem Beschwerdeführer die diesbezüglichen Aktenstücke noch nicht vorgelegt worden sind, konnte er sich doch zu diesen Vorwürfen in seiner Replik äussern. Er hat sie nicht bestritten, sondern lediglich als "nicht genügend erstellt" bezeichnet (E. 3.4).
Der Entscheid ist im Ergebnis sicher richtig. Aber die Begründung verstehe ich nicht ganz.

Montag, April 10, 2006

Kartellbusse von CHF 489 Mio gegen Swisscom?

In einem Verfügungsentwurf droht die Weko der Swisscom gemäss Tagesanzeiger eine Busse (bzw. eine "Verwaltungssanktion") von CHF 489 Mio. an wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 7 i.V.m. Art. 49 a KG) im Zusammenhang mit überhöhten Terminierungsgebühren.

Swisscom weist die Vorwürfe gemäss heutiger Pressemitteilung als nicht nachvollziehbar zurück.

Opfermitverantwortung

Das Bundesgericht hebt eine Verurteilung wegen Betrugs auf, weil die Vorinstanz zu Unrecht Arglist bejaht hatte (BGE 6S.417/2005 vom 24.03.2006). Der Beschuldigte hatte Gelder für die angebliche Vermarktung von obskuren Plättchen, welche die Strahlung von Mobiltelefonen abschirmen sollen, entgegen genommen und den Investoren hohe Erträge versprochen. Dem Bundesgericht waren die Opfer zu unkritisch. Aus dem Entscheid:
S'agissant par ailleurs de la commercialisation de produits-miracles, dont le fonctionnement devait immanquablement soulever certains doutes, force est d'admettre que les affaires proposées par le recourant à ses victimes n'avaient rien d'usuel, tant de par la nature des produits concernés que eu égard aux montants en jeu et aux bénéfices promis, que l'autorité de première instance a qualifiés de faramineux. Une telle situation devait naturellement amener les partenaires du recourant à faire preuve d'une prudence particulière. Or à la lecture de l'arrêt attaqué il apparaît qu'aucune des dupes n'aurait entrepris la moindre démarche pour vérifier les allégations du recourant. En l'absence de toute vérification dans le contexte d'affaires aussi particulières, on ne saurait considérer que les victimes ont fait preuve de la prudence élémentaire justifiant qu'elles bénéficient de la protection pénale (E. 2).

Sonntag, April 09, 2006

Neue Finanzierungsmethoden für die Strafverfolgung?

Die SonntagsZeitung berichtet über Bestrebungen im Kanton Zürich, privat finanzierte Staatsanwälte zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität einzusetzen. Zu diesem Zweck soll eine Stiftung (womöglich steuerbefreit) errichtet werden, welche von Finanzinstituten ausgestattet wird. Die Banken sollen so einen Beitrag zum guten Ruf des Wirtschaftsstandorts Zürich leisten, von dem sie ja schliesslich auch profitieren.

Die Idee erscheint mir aus diversen Gründen als derart absurd, dass ich mir deren Realisierung jedenfalls in der beschriebenen Form nicht vorstellen kann. Man frage sich nur einmal, wer im Stiftungsrat sitzen soll oder wer entscheiden soll, in welchen Fällen diese Staatsanwälte eingesetzt werden. Werden sie auch eingesetzt, wenn gegen die Geldgeber selbst oder ihre Organe, Arbeitnehmer, Partner, Konkurrenten oder gar Schädiger ermittelt wird?

Überlassen wir die Strafverfolgung doch weiterhin dem Staat und deren Finanzierung der Staatskasse. Niemand verbietet ja den Banken, die Staatskasse zusätzlich zu alimentieren, aber bitte nicht zweckgebunden und damit instrumentalisierend.

Freitag, April 07, 2006

Update: 16 Jahre Zuchthaus oder 3 Jahre Gefängnis für 73-Jährigen?

Das Urteil lautet gemäss NZZ auf erstaunliche 13 Jahre Zuchthaus wegen vorsätzlicher Tötung. Da wird wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Klärendes zu Art. 15 OHG - dank falscher Rechtsmittelbelehrung

Das Bundesgericht hebt eine Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn trotz an sich verpasster Beschwerdefrist auf (BGE 1A.244/2005 vom 27.03.2006). Aus dem Entscheid des Bundesgerichts:

Zu Art. 15 OHG:
Entgegen der Formulierung im angefochtenen Urteil (S. 7) ist für die Zusprechung eines Vorschusses nicht erforderlich, dass sich der Beschwerdeführer in einer Notlage befindet (E.2.4.2)
Ebenso wenig lässt sich die im angefochtenen Urteil (S. 6) vertretene Auffassung des Verwaltungsgerichts mit dem Wortlaut und mit Sinn und Zweck von Art. 15 OHG vereinbaren, dass die Ausrichtung eines Vorschusses in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Straftat stehen müsste (E. 2.4.3)
Nicht mit Art. 15 OHG vereinbar ist auch der Standpunkt des Verwaltungsgerichts, die Ausrichtung weiterer Vorschusszahlungen könne von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass sich der Beschwerdeführer einer Psychotherapie unterziehe (E. 2.4.4.)
Für den Anspruch auf Vorschuss nach Art. 15 OHG darf es indessen grundsätzlich keine Rolle spielen, ob Familienangehörige in der Lage wären, den Schaden vorderhand aufzufangen (E. 2.4.5)
Zur Frist:
Dass die Rechtsmittelfrist zur Anfechtung von Zwischenverfügungen lediglich 10 Tage beträgt, lässt sich ohne weiteres Art. 106 Abs. 1 OG entnehmen. Nicht klar war im vorliegenden Fall hingegen, ob die fragliche Verfügung des Departements des Innern als Zwischenverfügung zu betrachten ist. Die Frage hätte sich nur aufgrund des Studiums der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beantworten lassen. Auch eine durch einen Anwalt vertretene Partei ist aber nicht gehalten, neben dem Gesetzestext noch die einschlägige Rechtsprechung und Literatur beizuziehen, um eine allfällige Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung zu erkennen (E. 1.2)

Donnerstag, April 06, 2006

"Ausser einer beleidigten Beamtenseele kein Schaden"

Dies ist gemäss Solothurner Tagblatt der Kommentar des Bundeshaus-Journalisten der Weltwoche zu seinem Strafverfahren wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB). Der Journalist hat ein Strafmandat des Untesuchungsrichteramts Bern angefochten und muss sich nun vor dem Einzelrichter verantworten.

Veröffentlicht hatte er den ersten Vorentwurf BWIS II des fedpol (s. dazu meine ersten Beiträge zum Thema hier und hier und hier). Aus dem Beitrag des Solothurner Tagblatts:
In der Verwaltung konnte die undichte Stelle nicht ausfindig gemacht werden. Dafür wurde der Journalist angezeigt und vom Berner Untersuchungsrichter zu einer Busse von 600 Franken verurteilt.

Mittwoch, April 05, 2006

16 Jahre Zuchthaus oder 3 Jahre Gefängnis für 73-Jährigen?

Dieses Strafmass beantragt die Staatsanwältin dem Geschworenengericht des Kantons Zürich für einen "Ex-Politiker" und "Quartierkönig" (NZZ), der einen Nebenbuhler vorsätzlich getötet haben soll (Art. 111 StGB). Der Verteidige beantragt drei Jahre Gefängnis wegen Gefährung des Lebens und fahrlässiger Tötung (Art. 129 StGB i.V.m. Art. 117 StGB).

Selbst wenn das Gericht auf vorsätzliche Tötung erkennen würde - nach der Berichterstattung der NZZ (nicht online) eher nicht - wären die beantragten 16 Jahre wohl deutlich zu hoch gegriffen.

Dienstag, April 04, 2006

Update - BWIS I: Verordnung in der Vernehmlassung

Den Verordnungsentwurf (s. meinen letzten Beitrag zum Thema) finden Sie hier. Auf der Zunge zergehen lassen muss man sich folgende Bestimmung

Art. 21b - Nachweis gewalttätigen Verhaltens

1) Als Nachweis für gewalttätiges Verhalten nach Artikel 21a gelten:

a. entsprechende Gerichtsurteile oder polizeiliche Anzeigen;
b. glaubwürdige Aussagen oder Bildaufnahmen der Polizei, des Sicherheitspersonals oder der Sportverbände und –vereine;
c. Stadionverbote der Sportverbände oder -vereine,
d. Meldungen einer zuständigen ausländischen Behörde.

2) Aussagen nach Absatz 1 Buchstabe b sind schriftlich festzuhalten und zu unter-zeichnen.

Freispruch aufgehoben

Das Obergericht des Kantons Zürich hat nach einem neuen Urteil des Bundesgerichts (BGE 6S.41/2005 vom 17.03.2006) einen Teilhaber einer Kollektivgesellschaft in Verletzung von Bundesrecht (Art. 125 StGB) freigesprochen und miss den Fall nun neu beurteilen. Der Teilhaber der Gesellschaft war verantwortlich für Bauarbeiten und hatte die Schutzhelmtragpflicht nicht durchgesetzt. Ein Arbeiter erlitt eine schwere
Hirnerschütterung sowie eine Rissquetschwunde oberhalb der Stirne mit nachwirkenden Beeinträchtigungen. Aus dem Urteil des Bundesgerichts:
Die Vorinstanz lässt offen, ob dem Beschwerdegegner vorgeworfen werden könne, die Helmtragpflicht nicht genügend durchgesetzt zu haben. Indessen kann nicht fraglich sein, dass er hätte erkennen können und müssen, dass die Arbeiter ohne Helm zu Werke gingen, und entsprechend gehalten war, dagegen einzuschreiten. Indem er untätig blieb, hat er seine Sorgfaltspflichten verletzt (E. 4.2).
Zur Kausalität:
Für den Beschwerdegegner war ohne Weiteres erkennbar, dass sich die beiden Arbeiter ohne Schutzhelm einer erheblichen Gefahr ausgesetzt hatten. Trotzdem liess er es zu und schritt dagegen nicht ein. Bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte er jedoch in Betracht ziehen müssen, dass sich die bestehende Gefahr einer Verletzung verwirklichen könne. Die Abbrucharbeit erfolgte auf relativ engem Raum und zu zweit, was die Verletzungsgefahr erhöhte und besonders zu beachten gewesen wäre. Daher hätte er nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich die Arbeiter nicht in die Quere kommen und keiner vom Pickel des andern getroffen würde und sich am Kopf verletzen könnte. Ob er hätte bedenken können und sollen, dass sich die Ereignisse gerade so abspielen, wie sie sich in Wirklichkeit dann zugetragen haben, ist unerheblich. Denn dass die Geschehensabläufe in allen Einzelheiten voraussehbar waren, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn sie wie hier in ihren wesentlichen Zügen hätten vorhergesehen werden können und müssen (E. 4.3.2).

Montag, April 03, 2006

Ungenügend begründete Busse

Der Kassationshof hebt mit BGE 6S.416/2005 vom 01.03.2006 ein Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern wegen ungenügender Begründung (Art. 277 BStP) einer Busse von CHF 30,000.00 auf. Aus dem Entscheid:
Die Bussenbemessung muss wie die Strafzumessung nachvollziehbar begründet sein. Ausgangspunkt bildet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen, wobei das Nettoeinkommen massgebend ist (nicht veröffentlichter BGE 6S.44/2004 vom 28. Juni 2004, E. 5.4) und auf den Urteilszeitpunkt abzustellen ist (BGE 119 IV 330 E. 3). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Busse nicht Vermögenswerte treffen kann, die der Einziehung unterliegen (vgl. BGE 115 IV 173 E. 3).

Zu Kollusionshandlungen neigend

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil (BGE 1P.120/2006 vom 23.03.2006) äusserte sich das Bundesgericht einmal mehr zum Haftgrund der Kollusionsgerfahr und stellte beim Beschwerdeführer, der sich seit über einem Jahr in Untersuchungs- bzw. nun in Sicherheitshaft befindet,
eine besonders ausgeprägte Neigung zu Kollusionshandlungen
fest. Diese rechfertigte die Haft auch in sehr fortgeschrittenem Verfahrensstadium.

Samstag, April 01, 2006

Anwältin als Polizeispitzel?

Ein kalifornisches Appellationsgericht hatte sich in People v. Navarro (No. B173591A vom 30.03.2006) mit folgendem Sachverhalt zu befassen:

Aufgrund vertraulicher Informationen hat die Polizei Durchsuchungsbefehle gegen verschiedene Mitglieder der Familie Navarro erwirkt, die in der Folge wegen bandenmässigen Autodiebstahls angeklagt wurden. Die Beschuldigten verdächtigten ihre Schwester, die sie in anderem Zusammenhang als Anwältin vertreten und im Zusammenhang mit den nun erhobenen Anklagen beraten hatte, die vertrauliche Polizei-Informanrin zu sein. Sie beantragten die Bekanntgabe der Identität der Informantin sowie die Aufhebung der Durchsuchungsbefehle und die Unverwertbarkeit der sichergestellten Beweismittel.

Diese Anträge blieben erfolglos. Das Appellationsgericht diskutierte die präsentierten Fragen unter der Hypothese, dass die Informationen von der Anwältin der Navarros gekommen war. Es wies die Anträge ab, hauptsächlich mit dem Argument, dass die Polizei ohne eigenen Anstoss zu den Informationen gekommen ist und damit für die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses nicht verantwortlich sei. Den Beschuldigten müsse es genügen, Schritte gegen die vermeintliche Informatin einzuleiten. Ein Beweisverwertungsverbot sei jedenfalls nicht daraus abzuleiten, zumal die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses vor der Eröffnung des Strafverfahrens statt fand und damit den Anspruch auf wirksame Verteidigung nicht betreffen konnte. Damit spielte es keine Rolle, ob die Anwältin die Informantin war. Sie musste nicht "enttarnt" werden.

Anklage im Fall Swissair und eine Prognose

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat am Donnerstag Anklage gegen 19 Personen erhoben, die für das Debakel verantwortlich sein sollen. Die Vorwürfe hat die NZZ hier zusammengestellt. Ankgelagt sind u.a. sämtliche Mitglieder des Verwaltungsrats, deren Verteidigungsstrategie im Wesentlichen wie folgt lauten dürfte: "Wir haben - im Nachhinein beurteilt - falsche Entscheidungen getroffen, aber schädigen wollten wir niemanden." Das erscheint nicht nur als glaubhaft, es wird auch ausgeschlossen sein, das Gegenteil nachzuweisen.

Die Staatsanwaltschaft wird sich somit darauf konzentrieren, Eventualvorsatz zu beweisen und das ist nun wirklich nicht schwierig. Rechtlich ist es zwar richtig, wenn immer wieder betont wird, die strafrechtliche Verantwortlichkeit setze Vorsatz voraus und sei daher viel schwieriger nachzuweisen als die zivilrechtliche Verantwortlichkeit, für die Fahrlässigkeit genüge. In der Praxis stimmt das freilich nicht ganz. Sie neigt dazu, Eventualvorsatz mit Fahrlässigkeit gleichzusetzen, wenn es gerade als passend erscheint. Die Unterschiede sind derart graduell, dass sowohl das eine wie das andere jedenfalls so vernünftig begründet werden kann, dass es vor Bundesgericht stand hält. Und (der Öffentlichkeit) passend ist es im Fall Swissiar allemal. Der NZZ-Kommentar ist hier reichlich naiv und unterschätzt die Taktik der Staatsanwaltschaft, deren unerwarteter Rundumschlag als völlig richtig erscheint.

Daraus folgt meine Prognose:

An den meisten Angeklagten wird Eventualvorsatz "herbeibegründet" werden. Kompensiert wird über das Strafmass, das den bedingeten Vollzug zulassen wird. Damit wird die Öffentlichkeit zunächst sogar halbwegs zufrieden sein, v.a. weil mit den Urteilen die zivilrechtliche Falle gerichtet ist. Am Ende der Prozesse wird die Öffentlichkeit dann aber wieder die üblichen Sprüche von den Grossen, die man laufen lässt, klopfen. Die zivilrechtlichen Verfahren werden nämlich durch Vergleiche erledigt, die sich primär an der Leistungsfähigkeit der Beklagten (und der Versicherungen?) richten werden. Wetten?