Dienstag, Februar 28, 2006

Manager im Visier des Strafrechts

Unter diesem Titel ist heute ein Beitrag von Prof. Stefan Braum in der gedruckten NZZ erschienen, der die Rolle des Strafrechts (endlich) wieder einmal ins richtige Licht stellt:
Eine globalisierte Wirtschaft braucht mehr Aktien- und Gesellschaftsrecht, nicht mehr Strafrecht. Das erstere schafft Voraussetzungen für Freiheit, das letztere gefährdet sie.
Diesen Schluss zieht der Autor aufgrund einer Analyse des Mannesmann-Urteils des BGH.

Montag, Februar 27, 2006

Bundesstrafgericht - neue Entscheide

Das Bundesstrafgericht hat die Urteile vom Februar 2006 online gestellt. Auf den ersten Blick aufgefallen ist mir ein Entscheid der Beschwerdekammer vom 08.02.2006 (BB.2005.132). Der Beschwerdeführer hatte beim Untersuchungsrichteramt erfolglos beantragt, Einsicht in ein Protokoll seiner eigenen Einvernahme zu erhalten. Die Beschwerdekammer stellte zunächst unter Hinweis auf Art. 214 ff. BStP fest, dass ihre Kognition ausser bei der Beurteilung von Zwangsmassnahmen auf qualifizierte Ermessensfehler beschränkt sei (E. 2). Es wies sodann die Beschwerde mit Hinweis auf den Untersuchungszweck ab:
Wie die Vorinstanz in diesem Zusammenhang ausführt, haben der Beschwerdeführer und die Verteidigung im Rahmen ihres Erinnerungsvermögen zwar Kenntnis davon, über was der Beschwerdeführer befragt wurde; mit diesem sehr begrenzten Wissen hätten sie aber noch keine Kenntnis von der Taktik, welche die Untersuchungsführung bestimme (act. 5, S. 5). Diese Auffassung erscheint im momentanen Zeitpunkt gerade noch vertretbar.
Noch etwas eher Bizarres aus dem Entscheid:
Zunächst ist zu bemerken, dass offen bleiben kann, ob die Verteidiger des Beschwerdeführers diesen mit einer offenkundig falschen Begründung zur Aussageverweigerung anhielten, wie die Vorinstanz vorträgt (vgl. act. 1.1, S. 2 und act. 5, S. 6). Wie der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zutreffend geltend macht (act. 1, S. 8), bedarf die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts grundsätzlich keiner Angabe von Gründen (so ausdrücklich BGE 109 Ia 166, 168 E. 2b).

Sonntag, Februar 26, 2006

V-Mann beim DAP?

Die SonntagsZeitung (kostenpflichtig) berichtet, dass der Inlandgeheimdienst DAP einen V-Mann auf Hani Ramadan angesetzt hat. Der V-Mann hat die Seite gewechselt, nachdem ihm sein Führungsoffizier Nachteile angedroht hatte.

Wenn es tatsächlich richtig ist, dass der Geheimdienst V-Leute einsetzt, dann erscheint die BWIS II – Vorlage (s. dazu zuletzt hier) in einem neuen Licht. Es geht offenbar auch darum, nachträglich eine gesetzliche Grundlage für längst praktizierte Methoden zu schaffen. Damit gibt der DAP ja dann aber auch zu, dass er gesetzeswidrig handelt. Konsequenzen? Keine.

Blocher untersucht seine Strafverfolger

Gemäss SonntagsZeitung (kostenpflichtig) hat BR Blocher eine Expertengruppe unter Hanspeter Uster eingesetzt, welche die Bundeskriminalpolizei, die Bundesanwaltschaft, das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt und den Dienst für Analyse und Prävention DAP (s. dazu meinen nächsten Beitrag) untersuchen soll. Es soll überprüft werden, ob der gestoppte Ausbau der Bundestrafverfolgungsbehörden und des Geheimdienstes wieder aufgenommen werden soll. Zu Letzterem äussert sich Uster im erwähnten Artikel wie folgt:
Einen Kompetenzausbau beim Staatsschutz lehen ich klar ab.

Freitag, Februar 24, 2006

Erfolgreiche Laienbeschwerde

In einem gegen vier Polizisten der Stadtpolizei Zürich eingestellten Verfahren musste der Kassationshof des Bundesgerichts auf eine Laienbeschwerde (BGE 6S.9/2006 vom 09.02.2006) hin folgende feststellungen machen:
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Ablehnungsgründe gegen den Einzelrichter vor Bundesgericht entgegen der Auffassung der Verwaltungskommission nicht mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen wären, sondern gegebenenfalls mit staatsrechtlicher Beschwerde.
Weiter:
Dass in einem Fall wie dem vorliegenden nicht § 101 Abs. 1 GVG zum Zuge käme, sondern die staatsrechtliche Beschwerde hätte ergriffen werden müssen, die nur eine beschränkte Überprüfung des kantonalen Ausstandsrechts ermöglicht, erscheint jedoch nicht sachgerecht und ergibt sich denn auch weder aus dem bei Hauser/Schweri zitierten Entscheid ZR 81 Nr. 97 noch aus dem von der Verwaltungskommission erwähnten Entscheid ZR 101 Nr. 98. Im Gegenteil hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich in einem Entscheid vom 9. Juli 1979 ausdrücklich festgestellt, gemeint seien kantonale Rechtsmittel, und weil sonst allein die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht verbliebe, sei auf das Ablehnungsbegehren allenfalls im Sinne eines Revisionsgesuches einzutreten (ZR 78 Nr. 19 mit Hinweis auf Walder-Bohner, Der
neue Zürcher Zivilprozess, 2. Auflage 1979, S. 83 FN 23).
Ergebnis:
Die im vorliegendenFall vertretene Auffassung der Verwaltungskommission erweist sich als willkürlich, weshalb die staatsrechtliche Beschwerde gegen deren Beschluss vom 16. November 2005 gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben ist.

Mittwoch, Februar 22, 2006

Kein Gehör in Neuenburg

Gleich zweimal hat das Bundesgericht Gehörsverletzungen (Art. 29 Abs. 2 BV) in neuenburgischen Haftverfahren festgestellt (BGE 1P.82/2006 vom 14.02.2006 und 1P.62/2006 vom 15.02.06). Aus den übereinstimmenden Begründungen der beiden Entscheide:
En l'occurrence, la preuve de la notification au recourant de la demande de prolongation n'a pas pu être apportée par l'autorité, qui doit en assumer les conséquences (jeweils E. 2.2).
Bringen dürften die gutgeheissenen Beschwerden den Inhaftierten freilich gar nichts:
Pour rétablir une situation conforme au droit, l'autorité intimée devra statuer à nouveau, à bref délai, sur la demande de prolongation, après avoir donné au recourant l'occasion de se déterminer. Le cas échéant, le présent arrêt pourra valoir titre de détention préventive jusqu'à droit jugé dans ce sens (jeweils E. 2.3).

Widerruf oder Ersatzmassnahme

Der Kassationshof hebt einen Beschluss des Obergerichts AR als bundesrechtswidrig (Art. 41 StGB) auf, mit dem nebst dem Widerruf einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe eine vollzugsbegleitende Sexualtherapie angeordnet wurde (BGE 6S.431/2005 vom 06.02.2006). Aus der Begründung:
Wird der bedingt gewährte Strafvollzug indessen widerrufen, ist es unzulässig, den Verurteilten mittels einer Weisung zu verpflichten. Denn der Richter hat nur die Wahl, entweder den Vollzug der Strafe anzuordnen oder an Stelle des Widerrufs auf Ersatzmassnahmen zu erkennen; eine Kombination der beiden Möglichkeiten ist nicht statthaft. Den Strafvollzug anzuordnen und zugleich eine Weisung zu erteilen, wäre mit deren Zweck nicht zu vereinbaren, soll damit dem Verurteilten doch geholfen werden, sich in Freiheit zu bewähren (E.3.2).


Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich die fragliche Pflicht, sich während des Strafvollzuges einer ambulanten Sexualtherapie zuunterziehen, auch nicht als ambulante Massnahme im Sinne von Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB aufrecht erhalten lässt. Eine nachträgliche Umwandlung einer Weisung in eine ambulante Massnahme sieht das Strafgesetzbuch nicht vor (E.3.3).

Dienstag, Februar 21, 2006

Gefangenendatenbank

Der Bundsrat hat die Motion 05.3773 (Zentrale Datenbank über inhaftierte Personen) des freisinnigen NR Didier Burkhalter zur Ablehnung empfohlen. Aus der Erklärung des Bundesrats:
Auch die Tendenz, das Projekt zur Erfüllung zusätzlicher Bedürfnisse zu ergänzen, sollte bei einem solchen Vorhaben nicht unterschätzt werden.
Interessant in diesem Zusammenhang sind die Zahlen, die das Bundesamt für Statistik eben veröffentlicht hat. Danach waren in der Schweiz am Stichtag des 7. September 2005 erstmals über 6,000 Personen in Haft, nämlich 6,111. Die Zahlen finden Sie hier.

Busse von CHF 200,000.00 in Haft umgewandelt

Der Kassationshof hat in einem heute online gestellten Entscheid (BGE 6P.137/2005 vom 25.01.2006) eine Verletzung von Art. 49 Ziff. 3 StGB festgestellt. Der Beschwerdeführer war u.a. zu einer Busse von CHF 200,000.00, einer Ersatzforderung von CHF 2,000,000.00 und zu Gerichtskosten con ca. CHF 48,000.00 verurteilt worden. Im Rahmen von anschliessenden Betreibungsverfahren konnte ein Erlös erzielt werden, der dem Beschwerdefüher allerdings nicht an die Busse, sondern an seine anderen Verbindlichkeiten angerechnet wurde. Die Busse wurde anschliessend in eine Freiheitsstrafe von 3. Monaten umgewandelt, wogegen sich der Beschwerdeführer erfolgreich gewehrt hat:
Certes, un débiteur attentif, à réception de la copie des actes (cf. art. 149 al. 1 LP), aurait pu et dû constater que le prix de vente n'avait pas été imputé sur l'amende et réagir si cela ne correspondait pas à sa volonté. L'absence de réaction ne saurait toutefois valoir renonciation a posteriori à l'imputation sur l'amende, à tout le moins si elle procède d'une négligence qui ne peut être exclue dans le cas d'espèce. En résumé, sur la base des faits retenus, il ne peut pas être conclu que le recourant a renoncé à l'imputation du montant payé sur l'amende. Il s'ensuitque le pourvoi doit être admis et la décision entreprise annulée (E. 2.2).

Unerwarteter Widerruf

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen Entscheid (BGE 6P.98/2005 vom 03.02.2006) hat der Kassationshof in Dreierbesetzung eine "Einheitsbeschwerde" abgewiesen. Der Beschwerdeführer machte u.a. geltend, er habe in Anbetracht des Antrags der Staatsanwaltschaft in der schriftlichen Berufungsbegründung nicht damit rechnen müssen, dass sich an der Berufungsverhandlung die Frage des Widerrufs des bedingten Vollzugs der Vorstrafe stellen könnte. Daher habe er keinen Anlass gehabt, sich vorgängig mit dieser Frage zu befassen. Da er erst an der Berufungsverhandlung und somit völlig überraschend mit dieser Frage konfrontiert worden sei, habe er sich vor dem Obergericht dazu nicht angemessen äussern und verteidigen können. Dadurch seien seine Ansprüche auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), seine Verteidigungsrechte im Strafverfahren Art. 32 BV) und sein Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) verletzt worden. Dazu das Bundesgericht:
An der Berufungsverhandlung wies der Vorsitzende den Vertreter des Beschwerdeführers vor dessen Plädoyer darauf hin, dass sich das Gericht entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft vorbehalten müsse, die heutige Strafe mit bedingtem Vollzug auszusprechen und den Widerruf des bedingten Vollzugs der Vorstrafe anzuordnen, und dass der Vertreter des Beschwerdeführers eventualiter noch dazu Stellung nehmen könne (Protokoll der Berufungsverhandlung, Akten des Obergerichts act. 44 S. 12). Der Vertreter des Beschwerdeführers erhob nicht den Einwand, dass er zu dieser Frage nicht kurzfristig angemessen Stellung nehmen könne. Vielmehr verlas er sein Plädoyer mit einigen Ergänzungen, unter anderem mit dem Hinweis, dass die Bewährungsaussichten des sozial gut integrierten Beschwerdeführers günstig seien, weshalb bei einer angemessen erscheinenden neuen Strafe von vier Monaten Gefängnis auf den Widerruf des bedingten Vollzugs zu verzichten sei (siehe act. 44 S. 14 Ziff. 11). Unter diesen Umständen kann von einer Verletzung der in der Beschwerde angerufenen verfassungsmässigen Rechte keine Rede sein.
Mich würde interessieren, wie das Urteil gelautet hätte, wenn der Anwalt des Beschwerdeführers (natürlich erfolglos) die Aussetzung der Verhandlung verlangt hätte, um sich auf die neu aufgetauchte Widerrufsfrage angemessen vorbereiten zu können. Sicher hätte man ihm dann entgegengehalten, er habe sich ja sehr fundiert zu genau dieser Frage geäussert.

Montag, Februar 20, 2006

BWIS II - Stellungnahme des EDSB

Wie in der Sonntagspresse angekündigt hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte seine Stellungnahme zum vorzeitig veröffentlichten Vorentwurf BWIS II nun ebenfalls vorzeitig ins Internet gestellt. Aus der Begründung:
Aufgrund des allgemeinen Interesses der Öffentlichkeit hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte gestützt auf Art. 30 Abs. 2 DSG beschlossen, seine Stellungnahme zu Handen des Bundesamtes für Polizei im Rahmen der
Ämterkonsultation bereits jetzt zu veröffentlichen.
Die Stellungnahme fällt vernichtend aus:
En conclusion, nous sommes d’avis qu’une modification de la LMSI n’est pas nécessaire et en particulier que les instruments actuels du Code pénal et de la procédure pénale sont suffisants.
Den Volltext der Stellungnahme mit einem Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen finden Sie hier.

Kostenauflage bei Teileinstellung

Das Bundesgericht hat in einem heute online gestellten Entscheid vom 25.01.2006 (BGE 1P.580/2005) die staatsrechtliche Beschwerde eines Beschwerdeführers zu beurteilen, der die Auflage der Untersuchungskosten als verfassungswidrig gerügt hatte. Während ein Verfahren eingestellt worden war, wurde er in einem anderen, konnexen verurteilt und zu den Kosten der ganzen Untersuchung (ca. CHF 85,000.00) verurteilt. Aus der Begründung des Bundesgerichts:
Wäre der Beschwerdeführer vollumfänglich mangels genügender Beweise freigesprochen worden, hätten ihm die gesamten Untersuchungskosten rechtmässig und willkürfrei überwälzt werden können, wurden doch die Untersuchungen erst aufgrund seines zivilrechtlich vorwerfbaren Verhaltens notwendig. Folgerichtig kann nichts anderes gelten, wenn eines der beiden Strafverfahren, die in sehr engem Zusammenhang standen und durch dasselbe verwerfliche oder leichtfertige Verhalten des Beschwerdeführers ausgelöst worden waren, eingestellt wurde (E. 3.7).
Damit hat das Bundesgericht die Argumentation der Vorinstanzen geschützt,
dem ursprünglich erhobenen Vorwurf der Geldwäscherei und dem letztlich zur Anklage gelangten Vorwurf wegen mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften habe ein und derselbe Lebenssachverhalt zugrunde gelegen, indem dem Rekurrenten von Beginn weg vorgeworfen worden war, Gelder in die Schweiz transportiert und dadurch strafrechtliche Normen verletzt zu haben. Durch seine strafbare Handlung habe der Rekurrent die Strafuntersuchung und alle damit zusammenhängenden Kosten verursacht.

Sonntag, Februar 19, 2006

Neues Bundesberufungsgericht für Solothurn

Laut NZZ am Sonntag (kostenpflichtig) plant das EJPD die Schaffung eines Berufungsgerichts, an das ordentliche Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Sachurteile des Bundesstrafgerichts gezogen werden können. Während wohl niemand ernsthaft daran zweifelt, dass es eine zweite Instanz braucht, die Tat- und Rechtsfragen frei überprüfen kann, sind die Spekulationen um den Standort des neuen Gerichts und um eine mögliche Angliederung an ein bestehendes Gericht bereits voll im Gang. Diskutiert wird offenbar über eine Angliederung an das Bundesgericht oder - allen Ernstes - an das Bundesstrafgericht selbst. Ausgerechnet der Präsident der Strafkammer des Bundesstrafgerichts setzt sich dafür ein. Er wird wie folgt zitiert:
Das Bundesberufungsgericht könnte eine eigenständige, unabhängige Kammer des Bundesstrafgerichts bilden.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie unsensibel manche Richter in Sachen Unabhängigkeit sind. Glaubt denn der Präsident der Strafkammer allen Ernstes, dass jemals ein Beschuldigter ein Urteil an ein solches Berufungsgericht ziehen würde und dabei darauf vertrauen würde, unabhängig beurteilt zu werden? Auch Prof. Franz Riklin sieht die Unabhänigkeit nicht gewährleistet, solange keine räumliche Trennung zwischen den Instanzen besteht.

Mein Vorschlag: Die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn, der sich erfolglos als Standort für das Bundesstrafgericht beworben hatte, könnte als Bundesberufungsgericht eingesetzt werden. Diese Lösung würde einen zentralen Standort, geringe Kosten und hohe Kompetenz garantieren.

Freitag, Februar 17, 2006

Polizisten freigesprochen

Anlässlich einer Demonstration im Jahr 2003 hatten Aktivisten die Zufahrt zum G-8-Gipfel in Evian blockiert, indem sie ein Seil über eine Autobahnbrücke spannten, an dessen Enden sich je eine Person befestigte. Die Polizei hat das Seil gekappt, worauf eine dieser Personen in die Tiefe stürzte und sich schwer verletzte. Die andere Person konnte auf die Brücke gezogen und gerettet werden. Die beiden Personen wurden anschliessend verurteilt.

In einem weiteren Prozess wurde das strafbare Verhalten der verantwortlichen Polizisten beurteilt. Diese wurden freigesprochen, nachdem die Staatsanwaltschaft die Anklage (fahrlässige Körperverletzung) vor dem Bezirksgericht Nyon fallen gelassen hatte. Die Gründe für den Freispruch sind nicht ganz klar. Gemäss Tagesanzeiger sollen den beiden angeklagten Polizisten die sehr schwierigen Umstände auf der Autobahnbrücke angerechnet worden sein, die zu Fehlern geführt haben.

Harsche Reaktionen finden Sie auf der Website der Kampagne "Aubonne-Brücke".

Donnerstag, Februar 16, 2006

Neues Korruptionsstrafrecht

Gemäss Medienmitteilung des EJPD vom 15.02.2006 werden die neuen Bestimmungen des Korruptionsstrafrechts per 1. Juli 2006 in Kraft gesetzt (s. dazu die Themenseite des BJ). Damit wird auch die passive Bestechung strafrechtlich erfasst.

Mittwoch, Februar 15, 2006

Klatsche für Otto Schily

Mit Urteil vom 15.02.2006 (1 BvR 357/05 ) hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes vom 11. Januar 2005 als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig erklärt.

Die aufgehobene Bestimmung hatte die Streitkräfte ermächtigt, ein Flugzeug abzuschiessen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll. Der 3. Leitsatz lautet wie folgt:
Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeuges betroffen werden.
Erste Kommentare freuen sich je nach politischer Ausrichtung nicht zuletzt darüber, dass der zuletzt nur noch peinliche damalige Innenminister Otto Schily eine hochverdiente Klatsche aus Karlsruhe bezieht (s. bspw. FAZ) . Die anderen betonen eher die Schranken, die das Urteil der neuen Regierung setzt (s. bespw. Süddeutsche).

Keine Umwandlung in stationäre Massnahme

Der Kassationshof des Bundesgerichts hebt einen Umwandlungsentscheid des Obergerichts des Kantons Bern als unverhältnismässig auf (BGE 6P.130/2005 vom 23.01.2006; Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme nach Art. 43 Ziff. 3 StGB):
Vor dem Hintergrund, dass bei der Abänderung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme nach vollständiger Strafverbüssung erhöhte Anforderungen an die Gefährlichkeit des Täters zu stellen sind, erweist sich der vorliegende Umwandlungsentscheid angesichts des schweren Eingriffs in die Freiheitsrechte des Beschwerdeführers und der zu erwartenden Taten als übermässig und damit bundesrechtswidrig.
Der Entscheid enthält wertvolle Hinweise zur Prüfung der Verhältnismässigkeit von Umwandlungen nach vollständiger Strafverbüssung.

BWIS II - Veröffentlichung des Vorentwurfs

Gemäss NZZ hat der Bundesrat beschlossen,
dass die bisherige Praxis weitergeführt werden soll, wonach Geschäfte im Stadium der Ämterkonsultation nicht veröffentlicht werden sollen.
Von dieser Praxis ist das fedpol abgewichen, indem es seinen Vorentwurf online gestellt hatte (s. meinen früheren Beitrag). Aus der Pressemitteilung der Bundeskanzlei:
Das Ämterkonsultationsverfahren ist verwaltungsintern und bezweckt die Erstellung eines konsolidierten Entwurfes. Der Einbezug verwaltungsexterner Kreise erfolgt später im Rahmen des ordentlichen Vernehmlassungsverfahrens. Über Zeitpunkt und Inhalt der Vernehmlassungsvorlage wird der Bundesrat entscheiden.
Damit bevorzugt es der Bundesrat, dass die amtsinternen Vorentwürfe weiterhin durch Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangen. Im Übrigen vermag ich nicht einzusehen, was denn so grauenvoll an der Vorstellung ist, dass sich "verwaltungsexterne Stellen" bereits vor Abschluss der Ämterkonsultation zu Wort melden, zumal sie das ohnehin tun und aufgrund von verwaltungsinternen Indiskretionen auch in Zukunft tun werden. Cui bono?

update: Strafverfahren gegen 9-Jähriges Verkehrsopfer

Gemäss NZZ online hat das Schaffhauser Jugendgericht die 9-jährige Schülerin (s. dazu meinen früheren Beitrag) freigesprochen. Ein ausführlicher und lesenswerter Bericht findet sich im Tagesanzeiger (online nicht gefunden). Danach hat die Jugendanwaltschaft offenbar tatsächlich für eine Verurteilung gekämpft.

Dienstag, Februar 14, 2006

BWIS II - Themenseite

Eine Art Themenseite zu BWIS II mit interessanten Links ist auf dem Wiki des Chaostreff Zürich geschaltet.

Montag, Februar 13, 2006

Jugendstrafstatistik

Laut einem Beitrag Regionaljournals Aargau-Solothurn (Radio DRS) sind die Straftaten von Kindern und Jugendlichen im letzten Jahr leicht rückläufig. Den Beitrag finden Sie hier.

Strafsanktionen in den USA

In der akutellen Ausgabe (Vol 58) der Stanford Law Review finden sich viele lesenswerte Beiträge zum für uns oft wenig verständlichen US-amerikanischen Sanktionensystem, inkl. Todesstrafe. Keine Angst, es sind weniger als 1,000 Seiten.

Samstag, Februar 11, 2006

Quellenschutz im US Common Law?

Der U.S. District of Columbia Circuit Court of Appeals hat über die Rechtmässigkeit der Verfügnug der Grand Jury gegen die New York Times-Journalistin Judith Miller zu entscheiden, welche sie verpflichtet hatte, Ihre Quellen preiszugeben (vgl. dazu meine früheren Beiträge, insb. hier). Findlaw fasst den Entscheid des Appellationsgerichts (02/06/06 - No. 04-3138, 04-3139, 04-3140) wie folgt zusammen:
Neither the First Amendment nor the federal common law provides protection for journalists' confidential sources in the context of a grand jury investigation. If any such common law privilege exists, it is not absolute.
Damit gilt nach Common Law (vorerst) dasselbe wie in Zürich (vgl. dazu meinen früheren Beitrag).

Stadtpolizei Solothurn: Kinder als verdeckte Ermittler

Das Solothurner Tagblatt berichtet in einem heute erschienen Artikel darüber, dass die Stadtpolizei Solothurn einen 14-jährigen Jungen und ein 17-jähriges Mädchen losschickten, um Alkohol zu kaufen. Während der Junge kein Bier erhielt, wurde dem Mädchen in zwei Geschäften Schnaps verkauft. Die Verkäufer sind verzeigt worden. Die Aktion sei den Läden in Solothurn angekündigt worden und mit der Staatsawaltschaft abgesprochen "und also bewilligt" gewesen. Zu den juristischen Aspekten einer solchen Aktion bereichtet das Tagblatt wie folgt:
Derartige Kontrollen sind juristisch heikel: Ist der verdeckte Ermittler ein «Agent Provocateur», stiftet er also an, ein Delikt zu begehen, dann ist die Aktion illegal. Die Aktion am Donnerstag war es nicht, sagt Oberstaatsanwalt Matthias Welter.
Und wieso nicht? Mich würde auch noch interessieren, wo der Oberstaatsanwalt die gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Kindern als verdeckte Ermittler bzw. als Lockspitzel sehen wollen. Ganz abgesehen davon kann man sich ohne weiteres auch fragen, ob sich solche Einsätze mit dem Jugendschutz, dem das Alkoholverbot ja dienen soll, vertragen.

Interressant dürfte übrigens die Frage sein, welche Strafbestimmung gegen die Verkäufer angewendet werden wird. Mehr helfe ich aber jetzt nicht.

Freitag, Februar 10, 2006

Mildernde Umstände

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid (BGE 6S. 239/2005 vom 09.11.2005) hat der Kassationshof des Bundesgerichts die Regeln für die Anwendung von Art. 64 zweitletztes al. StGB dem revidierten Verjährungsrecht angepasst. Danach besteht ein Anspruch auf Strafmilderung, wenn seit der Tat verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist und der Täter sich während dieser Zeit wohl verhalten hat. Abzustellen ist dabei wie bisher auf den Zeitpunkt der Ausfällung des Sachurteils. Bei einem vollkommenen Rechtsmittel ist dies das Datum der obergerichtlichen Beurteilung (BGE 115 IV 95). Massgebend ist sodann die relative Verfolgungsverjährungsfrist (BGE 92 IV 201). Beträgt diese 15 Jahre, kann die Strafmilderung nach dem neuen Entscheid bereits nach 10 Jahren, allenfalls auch früher greifen:
Pour compenser l'allongement du délai de prescription et la suppression des règles sur l'interruption, le juge doit donc se montrer moins sévère dans l'appréciation de la notion de "date proche de la prescription". Cette condition doit être donnée, notamment lorsque le délai de prescription est de quinze ans, en tout cas lorsque les deux tiers du délai sont écoulés. Le délai écoulé peut cependant aussi être plus court pour tenir compte de la nature et de la gravité de l'infraction (E. 6.2.1).
Erwirkt hat den Entscheid übrigens ein bloggender Kollege, dem hier herzlich gratuliert sei.

Donnerstag, Februar 09, 2006

Vom Sinn kurzer Rechtsmittelfristen

In einem heute online gestellten Entscheid des Bundesgerichts (1P.777/2005 vom 23.01.2006) wurde der Beschwerdeführer selbst vom Leitenden Staatsanwalt unterstützt, blieb aber dennoch erfolglos. Der Beschwerdeführer hatte innert der gesetzlichen Frist (§ 321 StPO/ZH) vorsorglich Einsprache gegen einen Strafbefehl erhoben, ohne sie mit Abänderungsanträgen zu verbinden. Diese lieferte er nach Ablauf der Einsprachefrist nach.

Der Beschwerdeführer musste angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes und den strengen Anforderungen an das Vertrauensprinzip (Praxis zum frühreren Recht war offenbar grosszügiger). Die letzte Erwägung des Bundesgerichts zeigt aber, dass eine etwas grosszügigere Praxis wohl doch nicht ganz falsch wäre, zumal der Anwalt des Beschwerdeführers die Akten erst drei Tage vor Ablauf der Einsprachfrist erhielt:
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Akten trotz frühzeitigem Gesuch erst am 28. Juni 2005 zur Einsicht erhielt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Obergericht eine Erhebung der Abänderungsanträge bis zum Ablauf der Frist als zumutbar erachtet hat. Folglich hatte der Rechtsbeistand desBeschwerdeführers keine hinreichenden Gründe, sich darauf zu verlassen, dass er die Abänderungsanträge später nachreichen könne (E. 3.3).
Das war wohl auch dem Leitenden Staatsanwalt etwas knapp, für den die gleiche Frist von zehn Tagen auch gilt und der im Gegensatz zu den Gerichten weiss, wie schwierig es bisweilen ist, solche Fristen einhalten zu können. Drei in der Regel längst verplante Tage für das Aktenstudium, die Analyse der Chancen und Risiken, die Besprechung mit dem Klienten, der die drei Tage möglicherweise auch längst verplant hat, und die Entscheidung über die zu stellenden Abänderungsanträge können da schlicht und einfach zu kurz sein. Aber das ist ja mit der Sinn der kurzen Fristen.

"noch knapp als nicht zum Vornherein aussichtslos"

In einer Haftsache hat das Bundesgericht eine Beschwerde noch knapp als nicht zum Vornherein aussichtslos qualifiziert und die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt. Das Urteil vom 27.01.2006 (1P.7/2006) äussert sich wieder (vgl. dazu meine kürzlich geposteten Beiträge hier und hier) zu den erforderlichen konkreten Gründen der Fluchtgefahr und lässt wohl keinen Zweifel daran, dass ein Ausländer, der in seiner Heimat Angehörige hat und hier eine hohe Strafe zu erwarten hat, immer wegen Fluchtgefahr in Haft belassen werden darf:
Der Beschwerdeführer ist ausländischer Staatsangehöriger(Kosovare) mit fremdenpolizeilicher Bewilligung "B". Er bestreitet nicht, dass er sich erst seit 2002 in der Schweiz aufhält und dass (mit Ausnahme eines in Deutschland wohnhaften Bruders) alle seine Verwandten im Kosovo wohnen. Nach eigenen Angaben stammt seine (inzwischen in der Schweizeingebürgerte) Ehefrau ursprünglich aus Mazedonien. Die Heirat sei in Serbien-Montenegro bzw. in der Provinz Kosovo erfolgt. Die Brüder seiner Ehefrau (die im Rahmen der vorliegenden Strafuntersuchung festgenommen worden seien) stammten ebenfalls aus Mazedonien. Das Gesagte lässt auf eine enge soziale (insbesondere familiäre) Vernetzung des Beschwerdeführers mit Personen schliessen, die im ehemaligen Jugoslawien leben (E. 3.2)
Mit wenig überzeugenden Argumenten weist das Bundesgericht auch die Gehörsrüge des Beschwerdeführers ab. Dieser machte geltend, er habe im Verfahren vor der Haftrichterin nicht damit rechnen müssen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr herangezogen würde und habe darauf nicht replizieren können. Dazu das Bundesgericht:
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erscheint unbegründet. Im angefochtenen Entscheid (Seiten 3-4) werden die wesentlichen Gründe dargelegt, die für die Annahme von Fluchtgefahr und für die Untauglichkeit blosser Ersatzmassnahmen sprechen. Die betreffenden Erwägungen halten vor dem Anspruch auf rechtliches Gehör stand (E. 4.1).
Naja, das war ja nicht das Argument des Beschwerdeführers. Die Verletzung der Begründungspflicht hatte er nicht gerügt. Deshalb wohl erschien die Beschwerde gerade
noch knapp als nicht zum Vornherein aussichtslos (E. 5).

Dienstag, Februar 07, 2006

Keine Fluchtgefahr - Motassadeq aus der Haft entlassen

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2056/05 vom 01.02.2006) wurde Mounir al-Motassadeq, der als erster wegen Mitwirkung an den Anschlägen von 9/11 (nicht rechtskräftig) verurteilt worden war, aus der Haft entlassen. Das Urteil und die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts sind online, ebenso wie die Berichterstattung der NZZ. Aus der Pressemitteilung vom 07.02.2006:
Ein nach der Haftverschonung ergangenes (nicht rechtskräftiges) Urteil oder ein hoher Strafantrag der Staatsanwaltschaft können im Einzelfall zwar geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung oder die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass die später vom Tatrichter verhängte oder die von derStaatsanwaltschaft beantragte Strafe von der Prognose des Haftrichters erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht. War dagegen zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der später ausgesprochenen – auch höheren – Strafe zu rechnen und hat der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen gleichwohl korrekt befolgt, darf die Haftverschonung nicht widerrufen werden. Selbst der Umstand, dass der um ein günstiges Ergebnis bemühte Angeklagte infolge des Schlussantrages der Staatsanwaltschaft oder gar durch das Urteil selbst die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, kann einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen, sofern ihm die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen stand und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachkam. Insoweit setzt sich der vom Angeklagten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand als Ausprägung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch.
Nicht gleich dürfte dies das Schweizerische Bundesgericht sehen, das erst kürzlich ähnliche Fragen zu entscheiden hatte (vgl. meinen Beitrag von gestern).

Domestic Spying Programm

Justizminister Alberto Gonzales hat die Praktiken der NSA vor einem Ausschuss des US-Senats verteidigt. Das Befragungsprotokoll ist online. Weitere interessante Quellen hat CDT hier zusammengestellt. Die Berichterstattung der NZZ ist hier nachzuesen.

Beschlagnahme von Verteidigerhonorar

Im Strafverfahren gegen Dieter Behring hat die Bundesanwaltschaft dessen "Restguthaben" bei seinem Rechtsanwalt aus einem Kostenvorschuss von CHF 250,000.00 beschlagnahmt. Eine dagegen gerichtete Beschwerde hat das Bundesstrafgericht am 31.01.2006 abgewiesen (BB.2005.97). Aus der Begründung:
Im vorliegenden Fall bestehen nach derzeitigen Erkenntnissen keine Anhaltspunkte, welche an der Gutgläubigkeit des Beschwerdeführers 2 zum Zeitpunkt des Erhalts des Kostenvorschusses am 20. September 2004 zweifeln lassen. Nicht gefolgt werden kann den Beschwerdeführern freilich, wenn sie hieraus den Schluss ziehen, dass eine Einziehung bzw. Beschlagnahme selbst bei nachträglich eingetretener Bösgläubigkeit ausgeschlossen ist [...]. Der gute Glaube schützt mit anderen Worten nur im Umfange der erbrachten Gegenleistung und bis zum Zeitpunkt, an dem die Anwälte des Beschwerdeführers 1 sich noch in Unkenntnis der mutmasslich deliktischen Herkunft befanden. Da der Honoraranspruch erst mit entsprechender Leistungserbringung bzw. ordnungsgemässer Abrechnung, mithin Schritt um Schritt, entsteht (...), muss der gute Glaube des Anwalts demgemäss vorhanden sein, bis der gesamte Kostenvorschuss durch gleichwertige Gegenleistungen „verbraucht“ worden ist (E. 5.2).
Angefochten wurde auch die Aufforderung der Bundesanwaltschaft, innert fünf Tagen über die bisherige Verwendung des empfangenen Vorschusses Rechnung abzulegen und das Restguthaben auf ein Konto der Bundesanwaltschaft anzuweisen. Dagegen hatte sich der Anwalt u.a. auf das Anwaltsgeheimnis berufen. Dazu das Bundesstrafgericht:
Einer Verletzung des Anwaltsgeheimnisses lässt sich dabei ohne Weiteres durch Anonymisierung oder Verwendung von Begriffen vorbeugen, die keinen Rückschluss auf den Inhalt zulassen (z.B. „Telefongespräch mit X.“, "Besprechung“, "Aktenstudium“). Gleich kann verhindert werden, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers 2 in einer Art und Weise offen gelegt wird, dass der Beschwerdegegnerin die Verteidigungsbemühungen in ihrem materiellen Gehalt bekannt würden. In diesem Sinne erweist sich auch der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf einer Verletzung des Anspruchs auf ausreichende und wirksame Verteidigung als unbegründet. Fehl geht schliesslich der Einwand, die Beschwerdegegnerin sei nicht zur Überprüfung der Angemessenheit des Honorars befugt. Vielmehr hat die Beschwerdegegnerin – analog dem definitiv entscheidenden Sachrichter – provisorisch zu bestimmen, wann ein Anwaltshonorar eine „angemessene“ Entlöhnung für anwaltliche Leistungen ist und somit als mutmasslich gleichwertige Gegenleistung im Sinne von Art. 59 Ziff. 1 Abs. 2 StGB als legalisiert gilt und wann diese Grenze überschritten ist. Dabei wird sie der mitunter nicht einfachen Bestimmbarkeit der Angemessenheit von erbrachten Verteidigerleistungen sowie deren Honorierung entsprechend Rechnung zu tragen haben.

Zu bemerken bleibt, dass eine Abrechnung im beschriebenen Sinne letztlich nicht erzwungen werden kann. Weigert sich mithin ein Verteidiger unter Hinweis auf das Anwaltsgeheimnis, Auskunft zu geben, bleibt der Strafverfolgungsbehörde nur, den Umfang der mutmasslich einzuziehenden Vermögenswerte zu schätzen (Art. 59 Ziff. 4 StGB). Wenn sich in der Folge aus den Ausführungen des Verteidigers im Rahmen einer allfälligen Beschwerde ergeben sollte, dass zu viele Vermögenswerte mit Beschlag belegt worden sind, müssten ihm freilich die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt werden, da er die Voraussetzungen für die Aufhebung der Beschlagnahme im Mehrbetrag erst im Rechtsmittelverfahren geschaffen hat (E. 7.2).
Fazit: Wenn der Verteidiger keine Rechenschaft über sein Honorar ablegen will, dann tut dies halt einfach die Bundesanwaltschaft mit einer Schätzung. Greift sie zu hoch, kann sich der Verteidiger ja auf seine Kosten dagegen wehren und dann halt doch Beweismittel einreichen, welche über seine Tätigkeit Aufschluss geben. Spannend bleibt die Frage, was passieren würde, wenn der Verteidiger auf eine solche Aufforderung schlicht und einfach nicht reagieren würde.

Zwangsanwendungsgesetz, ZAG

Mitte Januar hat der Bundesrat Entwurf und Botschaft zu einem neuen Zwangsanwendungsgesetz (ZAG) publiziert. Weitere Dokumente dazu hat das BJ publiziert.

Der Entwurf soll die Grundsätze der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes regeln, verpflichtet (und ermächtigt) aber auch kantonale Behörden und Private (z.B. Sicherheitsunternehmungen), die Bundesaufgaben wahrnehmen. Es gilt sogar für die Armee, soweit sie im Inland Assistenzdienst für zivile Behörden des Bundes leistet.

Das ZAG ermächtigt die (zur Gewalt?) Verpflichteten, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen zur Aufrechterhaltung oder Herstellung eines rechtmässigen Zustandes anzuwenden. Zu den polizeilichen Massnahmen gehört etwa, Personen bis zu 24 Stunden festzunehmen oder Hausdurchsuchungen (bspw. zur Identifizierung von Personen) und Beschlagnahmungen durchzuführen. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen.

Noch ist der Anwendungsbereich des ZAG relativ eng (allerdings lange nicht so eng wie es die Pressemitteilung vom 18.01.2006 vermuten liesse). Es darf aber wohl als sicher gelten, dass die Kantone umgehend kantonale ZAG's planen und damit den Polizeistaat Schweiz perfekt machen.

Montag, Februar 06, 2006

Konkrete Gründe für Fluchtgefahr

In einem heute online gestellten Entscheid (BGE 1P.879/2005 vom 26.01.2006) äussert sich das Bundesgericht zu einer Verlängerung von Sicherheitshaft um sechs Monate wegen Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer war vor der Haftverlängerung zu 4 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Landesverweisung unbedingt verurteilt worden, wogegen er Berufung eingelegt hat.

Zunächst hält das Bundesgericht seine konstante Praxis dar:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht für die Annahme von Fluchtgefahr. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn dieMöglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen (E. 3.1).
Im vorliegenden Fall waren es folgende konkreten Gründe:
Der angefochtene Entscheid geht daher zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer sowohl beruflich als auch privat schlecht integriert ist. Unter diesen Umständen besteht die konkrete Gefahr, dass er in Freiheit versucht sein könnte, sich der drohenden langjährigen Freiheitsstrafe durch eine Flucht in die Türkei zu entziehen, in der er aufgewachsen ist und zu derer immer noch enge Bindungen hat; so hat er z.B. kürzlich eine in der Türkei aufgewachsene und dort lebende Türkin geheiratet. Dies umso mehr, als er, sollte er mit seiner Berufung keinen Erfolg haben, ohnehin nicht damit rechnen kann, weiterhin in der Schweiz verbleiben zu können. Dass ihm erst mit der erstinstanzlichen Verurteilung der Ernst seiner Lage bewusst wurde, während er vorher auf einen Freispruch oder eine viel tiefere Strafe hoffen konnte und deshalb keinen Anlass zur Flucht sah, erscheint nahe liegend. Im angefochtenen Entscheid wurde daher zutreffend angenommen, es bestehe Fluchtgefahr (E. 3.3).
Danach reichte es im konkreten Fall aus,
  1. schlecht integriert zu sein,
  2. mit einer Ausländerin im Ausland vereiratet zu sein und
  3. eine genügend hohe Zuchthausstrafe erwarten zu müssen.
Letzters trifft im vorliegenden Fall wohl bereits deshalb zu, weil die bewilligte Haftdauer die Chancen auf einen Freispruch tatsächlich gegen Null tendieren lassen dürfte.

Sonntag, Februar 05, 2006

Strafverfahren gegen Minderjährige, Polizisten, etc.

Durch Feinstaub und Nebel drangen u.a. die nachfolgenden Meldungen auf meinen Davoser.

Game over: Der Grossangriff gegen minderjährige "Raubkopierer" ist am Freitag mit der Einreichung erster Strafanzeigen gestartet worden (s. dazu meine früheren Beiträge, zuletzt hier). Die Presse steht dem Treiben von IFPI erstaulich unkritisch gegenüber und stellt im Gegenteil auffallend grosszügig Platz im redaktionellen Teil zur Verfügung (vgl. zB Berner Zeitung). Wie macht IFPI das bloss?

Eldar S.: Gemäss NZZ sind im Fall "Eldar S." lauter Freisprüche erfolgt. Es war zwar erwiesen, dass ein Polizist den an ein Geländer gefesselten Eldar S. geschlagen hat. Die Schläge seien aber "unspektakulär mit höchstens geringfügigen Folgen" gewesen. Die freigesprochenen Polizisten kriegen je CHF 3,000.00 Genugtuung. Eldar S. wurde zufolge Putativnotwehr freigesprochen, allerdings ohne Genugtuung. Die NZZ scheint sich über das Urteil zu wundern. Wieso eigentlich? (vgl. etwa meinen Beitrag hier).

PPal: Die Solothurner Zeitung berichtet wieder über das PPal-Verfahren (vgl. meinen früheren Beitrag). Dass ich auch zitiert werde, freut mich so sehr, dass es mir völlig egal ist, dass das Zitat nicht stimmt. Viel interessanter ist jedenfalls, dass gegen den zuständigen Staatsanwalt Strafanzeige wegen Verdachts der Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB) eingereicht wurde, dass das Verfahren eingestellt wurde und dass dagegen eine Beschwerde hängig ist.

BWIS II: Erfreulicherweise geht die Diskussion um BWIS II weiter (vgl. meine füheren Beiträge, zuletzt hier). In der SonntagsZeitung (Artikel kostenpflichtig) erhält die Vorlage einen unverdächtigen Kritiker: "Es besteht die Gefahr, dass man ziellos harmlose Personen bespitzelt."

Donnerstag, Februar 02, 2006

BWIS II - zweiter Anlauf

Nachdem Bundesrat Blocher den ersten Vorentwurf zur Revision des BWIS zur Überarbeitung an das Bundesamt für Polizei zurückgewiesen hat (s. dazu meine Beiträge hier, hier, hier und hier), startet nun eine neuerliche Ämterkonsultation.

Entgegen den bisherigen Regeln ist die Vorlage bereits zu diesem Zeitpunkt online (Vorentwurf und Erläuterungen zum Vorentwurf). Zum Inhalt werde ich mich erst später äussern können.

Bereits jetzt kann ich hingegen auf erste Pressereaktionen verweisen: NZZ, Tagesanzeiger.

(Noch) keine Auslieferung an Moldawien

Das Bundesgericht hat eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gutgeheissen, weil Moldawien nicht die von der Schweiz geforderten Garantieerklärungen abgegeben hat (BGE 1A.320/2005 vom 23.01.2006). Aus dem Entscheid:
Die Abgabe einer Garantie mit ausdrücklichem Einbezug des UNO-Pakts II und der EMRK stellt eine Auflage im Sinne von Art. 80p IRSG dar. Moldawien kann sie annehmen oder ablehnen, nicht jedoch von ihr abweichen. Zweck der Garantie ist es, die Einhaltung fundamentaler Menschenrechtsgarantien (Folterverbot, Verfahrensgarantien) zu sichern (E. 4.3).
Der Entscheid lässt erahnen, dass von den Garantieerklärungen wohl nicht allzu viel zu halten ist:
Die moldawische Garantieerklärung nennt dagegen einen (nicht näher bestimmten) "internationalen Pakt vom 19.12.1966", den Moldawien "am 28.07.1990 ratifiziert" habe. Da der Titel des Staatsvertrags nicht genannt wird und die Daten von jenen des UNO-Paktes II abweichen, lässt sich nicht bestimmen, welcher Staatsvertrag gemeint ist (E. 4.3).
Zudem wurde das Bundesamt angewiesen, das Dispositiv des angefochtenen Entscheids dahin zu präzisieren, dass die Auslieferung während des laufenden Asylverfahrens nicht vollzogen werden darf.