Dienstag, Oktober 31, 2006

Beschwerde gegen Hausdurchsuchung

Das Bundesstrafgericht ist auf eine Beschwerde gegen eine Hausdurchsuchung eingetreten (BV.2006.36 vom 04.10.2006) , was in der Schweiz eher unüblich ist. Hier sagen die Gerichte regelmässig, es fehle am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, weil die Durchsuchung im Zeitpunkt der Beschwerdeführung ja längst abgeschlossen sei. Art. 13 EMRK interessiert hier ja sonst kaum.

Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Übertretungsstrafverfahren geführt, weil er ein Fernsehgerät betrieb, ohne es vorschriftsgemäss vor Inbetriebnahme angemeldet zu haben (Art. 70 Abs. 1 lit. a RTVG). Billag AG erstattete Strafanzeige und das Bundesamt für Kommunikation eröffnete ein Verwaltungsstrafverfahren mit Zwangsmassnahmen (vgl. Art. 48 VStrR). Dabei wurde die Wohnung des Beschwerdeführers durchsucht und der Fernseher für die Dauer des Verfahrens als Beweismittel beschlagnahmt. Ersteres ist gemäss Bellinzona zulässig, letzeres dann aber doch unverhältnismässig. Aus dem Entscheid zur Hausdurchsuchung(please buckle up tightly before reading on):
Das Aussageverhalten eines Beschuldigten und seiner Familienangehörigen bzw. eine allfällige Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht anlässlich einer formellen Einvernahme ist nicht vorhersehbar. Eine gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl unangemeldet vorgenommene Hausdurchsuchung stellt daher auch im vorliegenden Fall ein geeignetes und zugleich verhältnismässiges Mittel dar, um den massgeblichen Sachverhalt festzustellen (E. 2.2).
Ich suche jetzt schon eine ganze Weile nach einem Fall, bei dem eine Hausdurchsuchung nicht mehr verhältnismässig sein könnte. Mir fällt keiner ein.

Und noch was: wenn ich das richtig sehe, hat das Bundesstrafgericht hier gleich noch eine bisher umstrittene Frage entschieden, scheinbar aber ohne es zu merken. Mehr kann ich dazu aber nicht sagen. Ich hatte vor etlichen Monaten mal darüber berichtet.

Keine Terminabsprachen mit der Verteidigung

In einem Urteil vom 20.09.2006 (BB.2006.64) machte das Bundesstrafgericht kurzen Prozess mit dem Beschwerdeführer. Diesem hatte das Eidg. Untersuchungsrichteramt eine Reihe von Vorladungen zu Zeugeneinvernahmen rund 14 Tage vor den Terminen zugestellt. Dagegen beschwerte er sich und verlangte, dass die Termine mit der Verteidigung abzusprechen seien. Das Bundesstrafgericht beurteilte die Beschwerde als aussichtslos und trat unter Berufung auf Art. 219 Abs. 1 BStP (bitte nachlesen!) nicht darauf ein. Hier ein paar Zitate aus dem "Dass-Entscheid":

A. keinen Anspruch auf Verschiebung dieser Termine hat;

es A. überlassen bleibt, ob er die ihm eingeräumte Gelegenheit zur Teilnahme an den Einvernahmen wahrnehmen will oder nicht;

es ausschliesslich ihm obliegt, sich so zu organisieren, dass er den Einvernahmen persönlich beiwohnen kann oder für eine angemessene Vertretung gesorgt ist;

Na klar, ein Anspruch auf Terminabsprachen oder auf Terminverschiebungen besteht nicht. Aber ob es wirklich sinnvoll ist, den Beschuldigten - um ihn geht es doch wohl in einem Strafverfahren - oder die Verteidigung durch derart kurzfristige Vorladungen faktisch auszuschliessen, wage ich zu bezweifeln. Da kann man nur hoffen, dass das Untersuchungsrichteramt diesen Entscheid nicht zum Anlass nimmt, künftig immer so zu verfahren.

Montag, Oktober 30, 2006

Und nochmals Behring: Staatshaftungsklage zu Recht abgewiesen?

Wie bereits der Presse zu entnehmen war hat die Eidgenössische Rekurskommission für die Staatshaftung eine Klage von Dieter Behring abgewiesen (HRK-2005-10). Dem Entscheid liegt folgende Chronologie zu Grunde:
  • 20.10.04: Haftanordnung durch den kantonalen Haftrichter bis 17.11.2004.
  • 25.10.04: Verfahrensübernahme durch den Bund.
  • 09.11.04: Behring beantragt bei der BA die Haftentlassung.
  • 12.11.04: Abweisung des Haftentlassungsgesuchs durch die BA.
  • 16.11.04: Behring führt Beschwerde beim Bundesstrafgericht und beantragt die Haftentlassung.
  • 16.11.04: BA beantragt beim Bundesstrafgericht die Haftverlängerung.
  • 24.11.04: Bundesstrafgericht weist Haftverlängerungsantrag der BA zurück und heisst Behrings Beschwerde vom 16.11.04 gut, entscheidet aber nicht über die beantragte Haftentlassung (BK_H 205+ 206/04). Dagegen führt Behring Beschwerde ans Bundesgericht.
  • 25.11.04: BA stellt neuen Haftbefehl aus.
  • 21.12.04: Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde Behrings gegen den vom Bundesstrafgericht unterlassenen Haftentlassungsentscheid mangels aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses nicht ein (1S.14/2004).

Behring hatte im Staatshaftungsverfahren zusammengefasst folgendes geltend gemacht:

Das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) ist mit Entscheid vom 24. November 2004 auf den Haftverlängerungsantrag der Bundesanwaltschaft nicht eingetreten und hat die Beschwerde von X. gegen die Ablehnung des Haftentlassungsgesuchs mit der Begründung gutgeheissen, dass die 14-Tagesfrist von Art. 51 Abs. 2 BStP am 3. November 2004 abgelaufen und eine nach der Bundesstrafprozessordnung gültige Haftverfügung nach diesem Datum nicht mehr vorhanden gewesen sei. Der Beschwerdeführer leitet die Widerrechtlichkeit der Haft nach dem 3. November 2004 aus diesem Urteil ab (E. 3a).
Dazu die HRK:

Nachdem die Bundesanwaltschaft in der unangefochten gebliebenen Übernahmeverfügung vom 25. Oktober 2004 festgestellt hat, dass die gestützt auf kantonales Recht erfolgten Ermittlungshandlungen und Verfügungen nicht wiederholt werden müssten und weiterhin Geltung hätten, ergibt sich demnach, dass eine Hafterstreckung nicht bereits am 3. November 2004, sondern erst am 17. November 2004 erforderlich war. Nachdem das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) mit Entscheid vom 24. November 2004 nicht auf das von der Bundesanwaltschaft am 16. November 2004 gestellte Haftverlängerungsgesuch eintrat, erfolgte unmittelbar nach der Eröffnung des Entscheids am 25. November 2004 die erneute Verhaftung des Beschwerdeführers durch die Bundesanwaltschaft. Der Beschwerdeführer befand sich demnach nach dem 3. November 2004 zu keinem Zeitpunkt widerrechtlich in Haft, weshalb das Begehren um Schadenersatz und Genugtuung schon aus diesem Grunde abzuweisen ist (E. 4b).
Fassen wir also zusammen ...
  1. Die kantonal verfügte Haft dauerte bis 17. November 2004.
  2. Eine Verlängerung dieser Haft ist nie erfolgt, weshalb die Bundesanwaltschaft am 25. November 2004 die erneute Verhaftung anordnete.
... und fragen uns:
    1. Was ist jetzt mit der Phase zwischen 17. und 25. November?
    2. Ist diese Phase als rechtmässige Haft zu qualifizieren, nur weil das Bundesstrafgericht aus Gründen, die es nicht nennt (vgl. BK_H 205+ 206/04), die beantragte Haftentlassung nicht behandelt hat?
Gegen den Entscheid der HRK steht Behring die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung. Es würde mich wundern, wenn er sie nicht führen würde. Wundern würde mich allerdings auch, wenn er sie erfolgreich führen würde, obwohl er nach meiner Ansicht eigentlich für die Zeit vom 17. bis 25. November einen Entschädigungsanspruch hat.

Samstag, Oktober 28, 2006

Erstaunliches Urteil im Fall Behring

Wie die NZZ heute berichtet, hat das Fürstliche Landgericht in Liechtenstein eine Zivilklage von "Behring-Geschädigten" gegen die Bank Behring & Eberle & Co. in Vaduz gutgeheissen. Die Bank muss die von den "Geschädigten" investierten Gelder zurückzahlen. Sie habe die Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt, was insofern erstaunt, als zwischen der Bank und den Investoren kein Vertrag bestand.

Ob das Urteil im Strafverfahren von Bedeutung ist, kann ich nicht abschätzen.

Freitag, Oktober 27, 2006

Behring: Beschwerde gegen Vorladung

Dieter Behring wird offensichtlich zum Hauptkunden der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Seine letzte Beschwerde richtete sich gegen die Vorladung zu einer Konfrontationseinvernahme. Die Beschwerdekammer tritt auf die Beschwerde zwar ein, weist sie jedoch ab (BB.2006.56 vom 23.10.2006). In der Sache ging es Behring darum, vor einer Konfrontationseinvernahme Einsicht in die Akten zu erhalten, was ihm die Bundesanwaltschaft verweigert hatte:
Der untersuchenden Behörde ist es somit nicht grundsätzlich untersagt, eine Konfrontationseinvernahme ohne vorgängige Akteneinsicht vorzunehmen. Im Falle einer Gefährdung des Untersuchungszweckes, welche in einer Kollusionsgefahr oder einer Beeinträchtigung der gewählten Untersuchungstaktik liegen kann (vgl. TPF BB.2005.132 vom 8. Februar 2006 E. 3.1 m.w.H.), muss die Strafverfolgungsbehörde in der Lage sein, verschiedene Mittäter vorerst auch ohne vorgängige Akteneinsicht mittels einer Konfrontationseinvernahme einander gegenüberzustellen. Dem Angeschuldigten wird in einem solchen Fall zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit zu geben sein, in Kenntnis der Akten, d.h. auch der früheren Aussagen des Mitangeschuldigten, Ergänzungsfragen zu stellen (E. 3.1).
Der Entscheid deutet einmal mehr darauf hin, dass im Fall Behring ein merkwürdiger Grabenkrieg zwischen der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung ausgetragen wird. Ich vermag nicht zu erkennen, was sich die Bundesanwaltschaft von einer Konfrontation verspricht, wenn die Verteidigung noch nicht einmal volle Akteneinsicht hatte und damit auch nicht in der Lage ist, die richtigen Ergänzungsfragen zu stellen. Andererseits hätte Behring die wohl ohnehin unsinnige Konfrontationseinvernahme einfach über sich ergehen lassen und von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen können. Die Konfrontation wird nach erfolgter Akteneinsicht ohnehin zu wiederholen sein, wenn Behring dies verlangt. Aber da spielen wohl noch andere Faktoren eine Rolle, die aus dem Urteil nicht hervorgehen können.

Protokollierter Deal mit der Bezirksanwältin

Aus einem neueren Urteil des Bundesgerichts (1P.304/2006 vom 24.08.2006):
Gemäss Protokoll der Einvernahme vom 2. Dezember 2003 erklärte die Bezirksanwältin Y. das Folgende: "Wir hatten die Abmachung, dass Sie die Transporte alle mit dem Sachbearbeiter im Einzelnen durchgehen würden und Sie gaben an, ein Geständnis ablegen zu wollen, daher habe ich Ihnen auch die Beendigung der Untersuchungshaft dafür angeboten, das war unser Deal" (E. 4.2).
An alle, die glauben, sowas gebe es in der Schweiz nicht: hier wurde es ausnahmsweise protokolliert. Dieser Deal hatte noch den bestechenden Vorteil, dass dem Vertragspartner natürlich niemand mehr glaubte. Ich will ja nicht behaupten, dass er deshalb protokolliert wurde.

Donnerstag, Oktober 26, 2006

4 Jahre Zuchthaus trotz zweifelhafter Beweislage

In einem sehr ausführlich begründeten Entscheid weist das Bundesgericht die Beschwerden eines im Kanton BL verurteilten Drogenhändlers im Wesentlichen ab (Urteil 6S.336/2006 vom 12.10.2006). Der Beschwerdeführer rügte erfolglos die Verwertung von überwachten Telefongesprächen und eine Verletzung der Unschuldsvermutung, wozu er folgendes ausführte:
Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, dass die Telefongespräche, insbesondere deren Anzahl und Gesprächsinhalte, nicht als Verurteilungsgrundlage dienen könnten. Mit Blick auf die alltäglichen Gesprächsinhalte muteten deren Interpretationen durch die Behörden geradezu abenteuerlich an. Tatsächlich sei nicht bekannt, ob die vereinbarten fünf Treffen stattgefunden hätten, ob bei diesen Treffen Drogen übergeben worden seien, um welche Art von Drogen es gegangen sei und welchen Reinheitsgraddiese gehabt hätten. So sei nicht ein einziges Treffen oder eine einzige Drogenübergabe beobachtet worden. Anstatt den Beschwerdeführer deshalb in konsequenter Weise mangels Beweisen freizusprechen, begnüge sich das Kantonsgericht mit dem lapidaren Hinweis, es sei aus den gesamten Umständen feststellbar, dass er eine erhebliche Betäubungsmittelmenge verkauft habe. Diese Vorgehensweise sei willkürlich und verstosse in eklatanter Weise gegendie Unschuldsvermutung (E. 3.3).
Wie das Bundesgericht diese Rügen behandelte, würde den Rahmen hier sprechen, womit ich auf den Entscheid selbst verweisen muss.

Erfolgreich war der Beschwerdeführer mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Landesverweis von 10 Jahren. Dieser war dem Bundesgericht nicht ausreichend begründet.

Sicherungseinziehung von Hanf trotz Verfahrenseinstellung

Mit Urteil vom 10.10.2006 (6S.317/2006) weist das Bundesgericht die Nichtigkeitsbeschwerde zweier Hanfbauern ab, deren Hanfpflanzen eingezogen wurden, obwohl das entsprechende Strafverfahren mangels nachweisbarer Betäubungsmittelgewinnung eingestellt worden war.
Si le chanvre demeure en possession des recourants, il est ainsi vraisemblable qu'il pourrait servir à la production de stupéfiants, si bien que le laisser en leurs mains compromettrait l'ordre public (E. 2.4).
Die unentgeltliche Rechtspflege wurde wegen Aussichtslosigkeit (!) verweigert.

Belehrungspflichten an ausländische Beschuldigte

Nach Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) ist ein festgenommener Ausländer unverzüglich über sein Recht zu belehren, die konsularische Vertretung seines Landes von der Festnahme benachrichtigen zu lassen.

Diese Bestimmung wurde in einem deutschen Tötungsverfahren gegen zwei Türken, das zu teilweise lebenslangen Freheitsstrafen führte, verletzt. Die gegen die letztinstanzlichen Urteile geführten Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht nun gutgeheissen. Aus der Pressemitteilung Nr. 99/2006 vom 25. Oktober 2006:
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs auf, da sie die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzten. Obwohl der Bundesgerichtshof von Verfassungs wegen verpflichtet gewesen sei, die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zum Konsularrechtsübereinkommen zu berücksichtigen, habe er Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 WÜK in einer Weise ausgelegt, die derjenigen des Internationalen Gerichtshofs widerspreche. Die Sachen wurden an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen. Dieser muss nun klären, welche Folgen sich aus dem Verfassungsverstoß für die strafrechtlichen Verfahren ergeben.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 2 BvR 2115/01 vom 19.9.2006) ist online.

Anzumerken bleibt, dass das Übereinkommen in der Schweiz seit knapp 40 Jahren in Kraft ist. Bekannt ist die Belehrungspflicht in den meisten Kantonen noch nicht (vgl. meinen früheren Beitrag).

Dienstag, Oktober 24, 2006

Int. Betrugs- und Geldwäschereiverfahren

Die Bundesanwaltschaft orientiert hier über ein breit angelegtes internationales Strafverfahren gegen zwei Inhaber eines weltweit tätigen Kommunikationsunternehmens. Die beiden Firmeninhaber wurden in der Schweiz verhaftet, nachdem vor über einem Jahr ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.

IRSG: Verbesserter Rechtsschutz gegen Beschlagnahmeverfügungen

Der Bundesrat beantragt die Annahme der Motion Baumann 06.3240 n (Rechtshilfe in Strafsachen. Gerichtliche Überprüfung von Sperrungen von Vermögenswerten) und damit einen verbesserten Rechtsschutz gegen Beschlagnahmeverfügungen im Rechtshilfeverfahren. Aus der Antwort des Bundesrats:

Diesem Interessenkonflikt könnte bei Vermögenssperren, die sich über Jahre hinziehen, mit einer Beschwerdemöglichkeit besser Rechnung getragen werden. In derartigen Fällen sollte eine über die bisherige Regelung hinausgehende gerichtliche Überprüfung der Beschlagnahmeverfügung möglich sein. Dieser Ausbau der Beschwerdemöglichkeit bei Vermögenssperren darf aber unter keinen Umständen dazu führen, dass das Rechtshilfeverfahren verschleppt oder gar verhindert werden kann. Deshalb muss die Überprüfung auf besonders bedeutende Fälle beschränkt sein. Die Schweiz hat kein Interesse als Hort für kriminelle Gelder zu dienen.

Freitag, Oktober 20, 2006

Haft auch ohne besonderen Haftgrund

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 12.10.2006 (1P.625/2006) einen für mich nicht nachvollziehbaren Haftentscheid erlassen. Unbestritten war der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts. Das Vorliegen der besonderen Haftgründe der Kollusionsgefahr und der Fluchtgefahr, auf welche die Vorinstanz abgestellt hatte, hat das Bundesgericht verneint und die staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen. Zum Haftentlassungsgesuch, welches das Bundesgericht abweist, stellt es fest:
Nicht geprüft wurde im angefochtenen Entscheid, ob noch der Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr vorliegt, auf den sich die Haftverfügungen vom 19. Februar und 17. Mai 2005 stützten. Überdies hat die Haftrichterin nicht untersucht, ob Ersatzanordnungen in Form der Pass- und Schriftensperre oder der Verpflichtung zu regelmässiger persönlicher Meldung bei einer Amtsstelle (§ 72 StPO/ZH) in Betracht fallen. Bei derartigen Ersatzmassnahmen gelten weniger hohe Anforderungen an die Annahme von Fluchtgefahr als bei der Anordnung von strafprozessualer Haft (Entscheid 1P.704/2004 vom 29. Dezember 2004 E. 4).

Den kantonalen Behörden ist Gelegenheit zu geben, diese Prüfung nachzuholen. Insofern ist von der Anordnung der sofortigen Haftentlassung abzusehen (E. 6).
Ich habe hier schon mehrfach auf Entscheide hingewiesen, in denen das Bundesgericht die Beschwerde wohl gutgeheissen, das Haftentlassungsgesuch aber abgewiesen hat. Nicht nachvollziehbar ist im vorliegenden Fall, dass das Bundesgericht das Haftentlassungsgesuch aus folgenden zwei Gründen abweist:

  1. Die Vorinstanz hat die qualifizierte Wiederholungsgefahr nicht geprüft.
    [Dazu ist zu bemerken, dass dieser Haftgrund offenbar gar kein Thema war und dass die Beschwerdeführerin somit auch keinen Anlass hatte, sich damit auseinanderzusetzen].

  2. Die Vorinstanz habe mögliche Ersatzmassnahmen wie Pass- und Schriftensperre nicht geprüft.
  3. [Ersatzmassnahmen setzen doch das Bestehen von Fluchtgefahr voraus, welche das Bundesgericht ja aber gerade verneint hat].
Ich wäre wirklich dankbar, wenn mir diese Rechtsprechung einmal jemand erklären könnte.

Entschädigungsanspruch nach Freispruch

In Fünferbesetzung hat die I. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verweigerung einer Parteientschädigung nach Art. 379 StPO/GE gutgeheissen (1P.47/2006 vom 28.09.2006):
L'importance des incidences tant financières que psychologiques de la procédure pour le recourant ne sauraient dés lors être minimisée, d'autant moins que la procédure a connu des rebondissements propres à susciter tour à tour l'espoir ou l'angoisse. Il s'impose au contraire d'admettre que, compte tenu de son jeune âge, de sa situation précaire et des craintes qu'il pouvait nourrir quant à son avenir sur le plan professionnel et économique, la procédure, qui a duré deux ans et a connudi vers rebondissements, s'est avérée particulièrement pénible pour le recourant. Il est par ailleurs à relever que ce dernier ne se voit reprocher ni d'avoir compliqué l'instruction, ni de l'avoir allongée inutilement. Enfin, les préjudices allégués par le recourant, y compris ses frais d'avocat(cf. arrêt 1P.301/2002 consid. 2.2), sont directement liés à la procédure pénale. Dans ces conditions, l'autorité cantonale est tombée dans l'arbitraire enniant l'existence de circonstances exceptionnelles justifiant d'accorder une indemnité au recourant. Au demeurant, vu la nature cassatoire du recours de droit public, les autres restrictions du droit à une indemnité au sens de l'art. 379 CPP, en particulier celles mentionnées à l'alinéa 5 de cette norme, n'ont pas à être examinées dans la présente procédure (E. 2.4).

Donnerstag, Oktober 19, 2006

Vom Wortlaut des Gesetzes

In einem heute online gestellten Entscheid (1P.614/2006 vom 11.10.2006) beschwerte sich ein einschlägig vorbestrafter "Hanfdelinquent" gegen die Verlängerung der Untersuchungshaft wegen Fortsetzungsgefahr. Er glaubte, sich auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen zu können:
Der besondere Haftgrund der Fortsetzungsgefahr ist erfüllt, wenn aufgrund konkreter Indizien ernsthaft zu befürchten ist, der Beschuldigte werde die Freiheit zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit benützen, sofern diese "eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum anderer Personen" darstellt (§ 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL). (E. 3.1).
Nach einer Darstellung der theoretischen Grundlagen kommt das Bundesgericht dann zu folgendem Schluss:
Im Ergebnis spielt es keine wesentliche Rolle, ob die hier infrage stehenden Delikte Leib und Leben von Dritten gefährden. Somit ist es unbehelflich, wenn der Beschwerdeführer das geringe gesundheitliche Gefährdungspotential von Cannabis ins Feld führt. Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG ist nach der Entscheidung des Gesetzgebers bei gewerbsmässiger Verübung von Betäubungsmitteldelikten erfüllt; dabei handelt es sich um ein schwerwiegendes Delikt, das die Anordnung von Präventivhaft rechtfertigt. In einem solchen Fall ist ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Präventivhaft gegeben (E. 4 .5).
Gerügt war nun aber nicht die Voraussetzung des "hinreichenden öffentlichen Interesses", sondern die Voraussetzung der hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Der Entscheid hinterlässt den Eindruck, die (äusserst wacklige) gesetzliche Grundlage könne durch ein überwiegendes öffentliches Interesse ersetzt werden, was mit Art. 36 BV nicht vereinbar wäre. Aber was soll's, es ging ja nur um acht Wochen Untersuchungshaft.

Neue Verordnung über das Strafregister

Die ans neue Recht angepasste und am 1. Januar 2007 in Kraft tretende Strafregisterverordnung ist seit ein paar Wochen online. Neu werden gemäss Mitteilung des EJPD alle hängigen Verfahren wegen Verbrechen oder Vergehen eingetragen! Ob das klug ist und ob der Bundesrat für eine solche Regelgun überhaupt die Kompetenz hat, wage ich hier einmal zu bezweifeln. Mehr dazu später.

Mittwoch, Oktober 18, 2006

Kollusionsgefahr 9 Jahre nach der Tat

Das Bundesgericht hat heute das Urteil in einer Haftsache online gestellt, die in verschiedener Hinsicht speziell ist (1P.557/2006 vom 10.10.2006).

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe bei einem Tötungsdelikt im Jahre 1997 mitgewirkt. Nachdem das Verfahren im Jahr 1998 bereits eingestellt war, wurde es nach neuen Belastungen wieder aufgenommen. Der Beschwerdeführer befindet sich inzwischen seit März 2004 zum dritten Mal in Untersuchungshaft. Er rügte das Fehlen eines dringenden Tatverdachts und der Kollusionsgefahr sowie eine Verletzung des Beschleunigungsgebots.

Die Vorinstanz bejahte die Kollusionsgefahr nach 9 Jahren seit der Tat, indem sie auf Kollusionshandlungen des Beschwerdeführers im ersten Verfahren (1997) zurückgriff. Diesen "Rückgriff" hat das Bundesgericht geschützt:
Im vorliegenden Fall ist zwar das Untersuchungsverfahren bereits sehr weit fortgeschritten. Indes hält der Präsident der Anklagekammer zu Recht fest, dass der Beschwerdeführer im ersten Verfahren 1997 auf gravierende Weise kolludiert habe, indem er seinen damaligen Verteidiger ein Schreiben aus dem Gefängnis habe schmuggeln lassen, welches Anweisungen an Z. zu dessen Aussagen vor der Polizei enthalten habe. Der Verteidiger habe die schriftliche Mitteilung der Ehefrau des Beschwerdeführers ausgehändigt, woraufhin diese Z. entsprechend instruiert habe. In dem Kassiber habe der Beschwerdeführer Z. aufgefordert, bei der Polizei vorstellig zu werden und die Untersuchungsbehörden auf eine falsche Fährte zu locken. Der Verdacht sollte auf einen gewissen A. gelenkt werden, der in der Folge auch inhaftiert wurde. Zudem habe sich im anhängigen Verfahren herausgestellt, dass der Beschwerdeführer nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft 1997 Z. beauftragt hatte, den Zeugen B. einzuschüchtern, welcher den Beschwerdeführer 1997 belastet hatte. Weil der Beschwerdeführer in schwerster Weise kolludiert habe, wobei ihm jedes Mittel recht gewesen sei (Ausnützung von Abhängigkeiten, Drohungen, Einschüchterungen, usw.), sei davon auszugehen, dass er wiederum auf die Strafuntersuchung einwirken würde. Gerade weil der Beschwerdeführer anlässlich der untersuchungsrichterlichen Befragung vom 5. Mai 2006 seine früheren Aussagen zum Tagesablauf vom 8. Februar 1997 widerrufen habe, seien noch entsprechende Abklärungen zu treffen. Auch habe er beantragt, dass seine Ehefrau nochmals zu befragen sei. Demnach sei der Haftgrund der Kollusionsgefahr nach wie vor zu bejahen (E. 4.2).
Zum Beschleunigungsgebot äussert sich das Bundesgericht wie folgt:
Selbst wenn die bisherige Untersuchungsdauer verfassungs-
und konventionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, lässt sich jedoch mit den widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers keine beliebig lange Untersuchungsdauer rechtfertigen. Es sind keine Gründe ersichtlich und wurden auch nicht dargetan, das Untersuchungsverfahren auf unbestimmte Zeit hin weiter andauern zu lassen. Die Beurteilung, ob die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Vorwürfe stichhaltig sind, obliegt dem Sachrichter. Der Untersuchungsrichter ist auf seiner im bundesgerichtlichen Vernehmlassungsverfahren geäusserten Prognose zu behaften, wonach das Akteneröffnungsverfahren im Sinne von § 78 Abs. 2 StPO/TG für den Oktober 2006 vorgesehen ist. Gemäss der zitierten Bestimmung setzt der Untersuchungsrichter, sobald er die Untersuchung als vollständig erachtet, dem Angeschuldigten, beziehungsweise seinem Verteidiger, eine angemessene Frist, innert welcher sie die Akten einsehen und Beweisanträge stellen können. Eine Verlängerung des Untersuchungsverfahrens über diese Frist hinausfällt nur in Betracht, wenn dem Beschwerdeführer selber erhebliche Verfahrensverzögerungen anzulasten wären oder massgebliche neue Erkenntnissein Bezug auf den Tatverdacht der Beteiligung am Tötungsdelikt vorlägen (E. 5.2.2).

Montag, Oktober 16, 2006

BGE zum Strafe für Nötigung zu einer beischlafsähnlichen Handlung

Das Bundesgericht kassiert in einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid ein Urteil des Kantonsgerichts Freiburg wegen bundesrechtswidrig tiefer Strafzumessung (Urteil 6S.253/2006 vom 30.08.2006).

Die Vorinstanz hatte den Beschwerdegegner zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Monaten wegen sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB) und Pornographie (Art. 197 Ziff. 3 und Ziff. 3bis StGB).

Das Bundesgericht setzte sich mit der Frage der doch sehr unterschiedlichen Mindeststrafen von Art. 189 Abs. 1 StGB (drei Tage Gefängnis für beischlafsähnliche Handlungen) und Art. 190 Abs. 1 StGB (ein Jahr Zuchthaus für Beischlaf). Daraus hat ein Teil der Lehre gefolgert,


die in Art. 190 Abs. 1 StGB (für die Vergewaltigung) angedrohte Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus müsse auch in allen Fällen der sexuellen Nötigung zum Zuge kommen, bei welchen das abgenötigte Verhalten in seiner Intensität dem Beischlaf gleichkomme und daher eine beischlafsähnliche Handlung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB darstelle (E. 1.2).
Dem folgte das Bundesgericht indessen nicht, jedenfalls nicht im Grundsatz:
Weder die systematische noch die teleologische Auslegung des Gesetzes führen zwingend zum Ergebnis, dass die in Art. 189 Abs. 1 StGB alternativ angedrohte Gefängnisstrafe abweichend vom Wortlaut der Bestimmung nur für die Nötigung zur Duldung einer anderen sexuellen Handlung und nicht auch für die Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung in Betracht fällt. Gegen eine solche Auffassung spricht im Übrigen auch, dass der Begriff der "beischlafsähnlichen Handlung" - im Unterschied zum Begriff des "Beischlafs" - mit Unsicherheiten behaftet und mit Auslegungsschwierigkeiten verbunden ist (E. 2.3).
Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft aber dennoch gutgeheissen, indem es dafür hielt, die Strafe für die Nötigung einer beischlafsähnlichen Handlungen dürfe im konkreten Fall nicht wesentlich unter der Mindeststrafe für eine Vergewaltigung liegen:
Die Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus im Falle einer Vergewaltigung hätte einzig aufgrund und nach Massgabe der dem Beschwerdegegner zugebilligten leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit geringfügig unterschritten werden dürfen. Die Strafe für die dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Erzwingung des Oralverkehrs darf nicht wesentlich niedriger sein. Die Umstände, welche die kantonalen Instanzen - von der Beschwerdeführerin unangefochten - strafmindernd berücksichtigt haben, dürfen mithin nicht zum Anlass für die Ausfällung einer Freiheitsstrafe genommen werden, die wesentlich unter einem Jahr liegt. Die von der Vorinstanz bestätigte Gefängnisstrafe von drei Monaten ist daher, auch unter Berücksichtigung der leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, unhaltbar milde und deshalb bundesrechtswidrig, selbst wenn der Beschwerdegegner sich einzig der Nötigung zur Duldung des Oralverkehrs schuldig gemacht hätte. Hinzu kommt indessen, dass der - insoweit einschlägig vorbestrafte - Beschwerdegegner sich auch noch der Pornographie schuldig gemacht hat, was straferhöhend zu berücksichtigen ist (E. 2.5).
Der Fall geht somit zurück ans Kantonsgericht, das seine Strafe mindestens verdreifachen müssen wird.

Vereinheitlichung des Strafprozessrechts

Die Rechtskommission des Ständerats hat das Projekt einstimmig verabschiedet und den Weg zur Behandlung in der Wintersession geebnet (s. Medienmitteilung vom 16.10.2006). Die wichtigsten Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
  • Das Staatsanwaltsmodell ist nicht mehr strittig.
  • Der vorgeschlagene Gesetzestext sei auszudünnen (die hohe Regelungsdichte führe zu mehr Rekursen).
  • Auf die Strafmediation wird verzichtet.
  • Der Anwalt der ersten Stunde wird klar befürwortet.
  • Das abgekürzte Verfahren (Absprachen / plea bargaining) wird begrüsst.
  • Die Gerichtsorganisation bleibt Sache der Kantone.

Der Präsident der RK rechnet mit der Einführung im Jahr 2010.

Sonntag, Oktober 15, 2006

Neue Regeln für die Verfolgung von Journalisten

Laut einem Beitrag der NZZ am Sonntag hat die Bundesanwaltschaft nach ihren Misserfolgen in der Schweiz (vgl. meinen Beitrag zum Fall Engeler/Weltwoche) und in Strassburg (s. meinen Beitrag zu Stoll c. Schweiz) in den Verfahren gegen Journalisten wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) die "internen Verfahrensregeln" abgeändert:
Nach den neuen Regeln eröffnet die BA nur noch ein Strafverfahren, wenn der Journalist mit seiner Publikation ein materielles Geheimnis verletzt hat. Die blosse Klassifizierung eines Dokumentes oder eine generelle Regelung, wonach beispielsweise laufende Bundesratsgeschäfte der Geheimhaltung unterliegen, reichen demnach nicht mehr aus, um eine Strafverfolgung bei einer Publikation zu begründen (NZZ am Sonntag vom 15.10.2006, 17).
Stoll c. Schweiz ist übrigens doch noch nicht ausgestanden. Das Revisionsbegehren der Schweiz ist lautt NZZ am Sonntag zugelassen worden. Die mündliche Verhandlung soll am 07.02.2007 stattfinden.

Einsatz von V-Personen mangels Verbot erlaubt

Im modernen Rechtsstaat darf der Bürger alles, was nicht ausdrücklich verboten ist. Der Staat dagegen darf nur, wozu ihn ein Gesetz ermächtigt. Die neueren Entwicklungen kommen von diesem Grundsatz ab. Er lautet dann so: Der Staat darf alles, was nicht ausdrücklich verboten ist und der Bürger wird bestraft, selbst wenn ein klares Verbot fehlt (s. dazu meinen Beitrag zu den neuen Schnüffelfantasien der Strafverfolger).

Dass diese Tendenz auch in der Schweiz erkennbar ist, zeigen die Diskussionen um die diversen Untersuchungen über die Bundesanwaltschaft. Die NZZ hat in ihrer Samstagsausgabe dem Einsatz von V-Personen einen interessanten Beitrag gewidmet, der unter folgendem Lead steht:

Darf der Bundesanwalt einen Drogenbaron als im Spitzel im Geldwäscherei-Milieu einsetzen? Er darf. Kein Gesetz regelt den Umgang mit "Vertrauenspersonen". Die Behörden haben geheime Richtlinien erlassen. Fachleute fordern einheitliche, verbindliche Regeln.

Neue Regeln sind der Reflex derjenigen, welche dem neuen Verständnis des staatsrechtlichen Legalitätsprinzip noch nicht so ganz trauen. Staatliches Handeln, das sich nicht auf eine gesetzliche Ermächtigung abstützen kann, wird durch ein neues Gesetz nachträglich legalisiert.

Die NZZ macht übrigens noch einen allerdings eher misslungenen Versuch, die Begriffe "Verdeckter Ermittler", "Verdeckter Fahnder", "Vertrauensperson" und "Informant" zu definieren. Diese Versuche finden sich hier.

Freitag, Oktober 13, 2006

BWIS II schon durchgefallen?

Obwohl die Vernehmlassungsfrist zu BWIS II erst am 15.10. abläuft (s. meinen letzten Beitrag dazu) ist, spricht die NZZ bereits von einer die Abfuhr an den Bundesrat, und zwar von links wie rechts, insbesondere aber aus Fachkreisen.

Grundsätzlich positiv lassen sich - wen wundert es? - ausgerechnet die Freiheitlichen und die Christlichen vernehmen, aber auch diese melden zumindest Vorbehalte an. Zwei Kantone stimmen sogar vorbehaltlos zu: St. Gallen und die Waadt. Die wohlwollendste Erklärung, die mir dazu einfällt ist, dass diese beiden Kantone die Vorlage nicht gelesen haben.

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Zu Unrecht verwahrt

Das Kantonsgericht Waadt hat einen Kleinkriminellen, dessen Gefährlichkeit durch kein Gutachten festgestellt wurde, zu Unrecht nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB verwahrt. Das Bundesgericht hat den ziemlich erstaunlichen Entscheid der Vorinstanz kassiert (6S.250/2006 vom 28.09.2006):
Le prononcé d'une mesure d'internement, qui constitue la mesure la plus grave que connaît le code pénal et qui sera en règle générale exécutée en milieu carcéral, ne peut reposer sur le seul fait que le recourant risque de passer à l'acte violent, alors qu'il n'a encore commis que des voies de fait et qu'aucune expertise psychiatrique n'établit de tel risque. En ordonnant une mesure d'internementen l'absence d'une expertise psychiatrique, qui établit clairement que le recourant compromet gravement la sécurité publique en raison de son état mental, les autorités cantonales ont violé le droit fédéral (E. 2.3).

Von Hexern und Schlangen

Das Bundesgericht hat in einem heute online gestellten Entscheid erneut ein Urteil der Waadtländer Justiz aufgehoben (6S.212/2006 vom 27.09.2006). Diesmal hat das Kantonsgericht Art. 180 StGB falsch angewendet:
Or, les propos, selon lesquels un sorcier malien pourrait faire en sorte que des serpents se retrouvent dans un lit, en Suisse, sont complètement fantaisistes. En effet, on ne peut pas, en tout cas dans notre culture, sérieusement craindre qu'un sorcier puisse, depuis le Mali, faire en sorte que des serpents apparaissent dans un lit en Suisse ou que quelqu'un perde son emploi en Suisse (E. 7).

Mittwoch, Oktober 11, 2006

Bundesgerichtsurteile im Fall Stäubli

Das Bundesgericht hat heute die Urteile im Fall Stäubli (vgl. meinen früheren Beitrag) online gestellt (Urteile 6S.277/2006 und 6S.495/2005 vom 26.09.2006). Sowohl Verteidigung als auch Anklage hatten teilweise Erfolg. Die Vorinstanz muss den Fall neu beurteilen (s. die Berichterstattung der NZZ).

Dienstag, Oktober 10, 2006

Vom Tun und Unterlassen

Das Bundesgericht weist zwei Beschwerden gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn ab (Urteil 6P.78/2006 vom 27.09.2006). Dieses hatte den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB) zu einer bedingt vollziehbaren Strafe von 5 Tagen Gefängnis verurteilt, weil er als Vertreter der Vermieterin eines Lokals einen schweren Unfall an einem Betriebsfest herbeigeführt habe, indem er zwei von einer Vormieterin benutzte Holzpodeste vor der Bühne nicht entfernte. Eine Mitarbeiterin trat an Betriebsfest über die beiden Holzpodeste hinaus ins Leere und stürzte 3.4 Meter tief in den Treppenschacht.

Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügte der Beschwerdeführer zunächst die Verletzung des Anklagegrundsatzes. Dazu hielt das Bundesgericht fest, dass die kantonalen Vorschriften zur Schlussverfügung nicht über die Minimalgarantien von EMRK und BV hinausgingen. Im Weiteren wirft es dem Beschwerdeführer vor, er habe sich mit allgemeinen Ausführungen zum Anklageprinzip begnügt, weshalb auf das kantonale Recht nicht weiter einzugehen sei.

Auch bei der Rüge der Verletzung von in dubio pro reo habe der Beschwerdeführer "weitestgehend" appellatorische Kritik geübt, was unzulässig ist. Das Bundesgericht ging dann aber trotzdem auf einen Teil ein und stellte u.a. folgende - aus meiner Sicht ziemlich haarspalterischen - Feststellung:
Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, der Vorwurf, er habe von der geplanten Bühnenbenutzung gewusst, sei nicht nachvollziehbar. Das Obergericht trifft eine solche Feststellung indessen gar nicht. Festgestellt wird nur, dass er bei seiner Besichtigung des Saals vor der Feier die weiteren aufgestellten Podeste gesehen haben muss und darin ein eindeutiger Hinweis auf eine Bühnenbenützung lag (E.
3.2.2).
In der Nichtigkeitsbeschwerde ging es im Wesentlichen um die Frage, ob der strafbare Erfolg durch die Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht worden ist. Hier liess das Bundesgericht den Beschwerdeführer auflaufen, der seine Garantenpflicht bestritten hat. Das Bundesgericht kam aber anders als die Vorinstanz zum Schluss, es liege gar kein Unterlassungs-, sondern ein Begehungsdelikt vor:
Dem Beschwerdeführer ist in Anwendung dieses Subsidiaritätsprinzips -entgegen der Auffassung der Vorinstanz - eine Handlung und nicht eine Unterlassung vorzuwerfen, denn das Vermieten und die Übergabe des Mietsaalesstellt eine Tätigkeit dar [...]. Der Umstand, dass er die Holzpodeste vor der Übergabe der Mietsache nicht entfernte, lässt sein Verhalten nicht als Unterlassen erscheinen, nachdem gleichzeitig eine Handlung vorliegt, an die der strafrechtliche Vorwurf angeknüpft werden kann und muss. Ist nach dem Gesagten aber von einem Begehungsdelikt und nicht von einem unechten Unterlassungsdelikt auszugehen, kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer eine Garantenstellung innehatte (E. 7).
In der Sache kommt das Bundesgericht zu folgendem Ergebnis:
Obschon der Beschwerdeführer wusste, dass die vormalige Mieterin vor der Bühne zwei Holzpodeste aufgestellt hatte, und ihm die Gefahrenquelle im Bereich des Treppenschachts bekannt war, hat er den Mietsaal ohne jegliche Kontrolle weitervermietet. Durch das Belassen der Podeste setzte er die nachmaligen Benutzer des Mietsaales einer unzulässigen Gefahr aus. Er wäre bei pflichtgemässer Sorgfalt gehalten gewesen, den Zustand des Mietsaales vor der Übergabe zu überprüfen und die Holzpodeste wegräumen zu lassen (E.8.2).
Bei dieser Begründung fällt es dann aber nicht mehr leicht, dem Beschwerdeführer nicht eine Unterlassung sondern eine Begehung vorzuwerfen. Diese These fällt geradezu in sich zusammen, wenn dem Beschwerdeführer in der Schlussverfügung unter anderem vorgehalten wird, er habe
als verantwortlicher Vertreter der Vermieterschaft nicht dafür gesorgt, dass die beiden sich bereits zur Zeit der Übergabe der Industrie-Ausstellungshalle an die Mieterschaft zwischen Bühne und Treppengeländer aufgestellten Holzkisten entfernt worden seien.
Kein Wunder, dass das Obergericht von einem Unterlassungsdelikt ausgegangen war. Das Ergebnis ist mehr als unbefriedigend. Dem Beschwerdeführer wird im kantonalen Verfahren ein Unterlassen vorgeworfen, das von den kantonalen Gerichten auch als Unterlassen qualifiziert wird. Das Bundesgericht dreht nun alles um und macht aus dem Unterlassen ein Tun. Im Ergebnis verurteilt es den Beschwerdeführer für ein Tun, obwohl er einer Unterlassung beschuldigt war. Vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichts 6P.151/2002 vom 05.03.2003, dem folgendes zu entnehmen ist:
Indem das Obergericht den Beschwerdeführer der einfachen Körperverletzung gegenüber einem Wehrlosen durch Unterlassen schuldig gesprochen hat, obwohl der Anklagesachverhalt die Erfüllung des Tatbestandes lediglich als aktives Tun umschreibt, verletzt es den Anklagegrundsatz.

Hanf vernichtet - Beschwerde zu Unrecht zurückgewiesen

In einem Strafverfahren im Kanton Wallis haben die zuständigen Behörden die Vernichtung von beschlagnahmten Hanfblätter angeordnet und vollzogen. Auf eine dagegen gerichtete Beschwerde trat das Kantonsgericht mangels aktuellen praktischen Interesses nicht ein. Dagegen beschwerde sich der ehemalige Eigentümer in Lausanne, das seine Beschwerde gutheisst (Urteil 1P.321/2006 vom 25.09.2006).

Das Bundesgericht trat entsprechend seiner Rechtsprechung trotz mangelnden praktischen Interesses auf die staatsrechtliche Beschwerde ein:
[E]n particulier, savoir si le chanvre litigieux pouvait être détruit est une question de principe, qu'un intérêt public commande de trancher, sans quoi le Tribunal fédéral ne pourrait pratiquement jamais se prononcer sur celle-ci (cf. arrêt 1P.439/2004 consid. 1.2 et les arrêts cités; E. 2).
In der Sache qualifizierte das Bundesgericht den Entscheid der Vorinstanz als willkürlich:
Dès lors, c'est arbitrairement que la décision attaquée refuse d'entrer en matière sur la plainte du recourant, faute d'intérêt actuel de ce dernier à l'examen de celle-ci, sans rechercher s'il n'y a pas lieu de renoncer à un tel intérêt dans le cas concret, alors que, si elle l'avait fait, elle aurait été amenée à l'admettre (cf. supra, consid. 2). Par là même, elle consacre en outre un déni de justice, en tant qu'elle a pour effet de priver indûment le recourant d'un prononcé sur ses griefs à l'encontre des mesures contestées et, par voie de conséquence, de l'empêcher de faire contrôler la constitutionnalité de celles-ci par le Tribunal fédéral (E. 4.2).
Die Sache geht nun zurück ans Kantonsgericht, das die Beschwerde materiell zu beurteilen haben wird.

Verfassungswidrige Hausdurchsuchungen

Gleich in drei Fällen hat das Bundesverfassungsgericht verfsasungswidrige Hausdurchsuchungen festgestellt. In zwei Fällen waren Anwaltskanzleien betroffen. Die Fälle können ganz kurz wie folgt zusammengefasst werden:

2 BvR 876/06: Hier wurde eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Beschluss durchgeführt. Aus der Entscheidung:
Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei in einer Großstadt gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (Rz. 13)
2 BvR 1141/05: Hier wurde einem Anwalt vorgeworfen, mehrfach auf einem Sonderfahrstreifen vor dem Justizgebäude in Aachen geparkt zu haben, was dieser bestritten hatte. Daraufhin wurde die Durchsuchung der Büro- und Geschäftsräume der Rechtsanwaltskanzlei zu dem Zweck der Auffindung und Beschlagnahme von Blättern eines Terminkalenders oder einer entsprechenden Datei angeordnet. Aus der Entscheidung:
Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies darüber hinaus regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 113, 29 <46>). Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme (Rz. 16).
2 BvR 1219/05: Die Beschwerdeführer verteidigten einen Mandanten in einem Strafverfahren vor einer großen Strafkammer. Der Kammer gehörte ein Richter an, der den Mandanten in einem früheren Verfahren verteidigte. Der Mandant lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil ihm in dem früheren Verfahren gravierende Fehler unterlaufen seien und weil er auch nach der Ernennung zum Richter die Zulassung als Rechtsanwalt behalten habe. Mit diesem Vorwurf wandten sich die Beschwerdeführer auch an das Justizministerium und an die Generalstaatsanwaltschaft. In der Folge wurde gegen die Anwälte ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen Nötigung. Mit dem angegriffenen Beschluss ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung einer der von den Beschwerdeführern unterhaltenen Kanzleien an. Aus der Entscheidung:
Den Beschwerdeführern wird angelastet, den Ausschluss des früher als Rechtsanwalt tätigen Richters aus einem Strafverfahren gegen dessen früheren Mandanten zu betreiben. Um den mit einer Durchsuchung von Kanzleiräumen verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die räumlich geschützte Sphäre der Berufsausübung eines Rechtsanwalts rechtfertigen zu können, hätten die Gerichte sorgfältiger erwägen müssen, ob es sich dabei um ein erlaubtes Prozessverhalten im Interesse des Mandanten handelte (Rz. 18).
Die drei Entscheidungen zeigen, wie unbehelflich der Richtervorbehalt in der Praxis ist und wie wichtig demgegenüber eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit ist.

Montag, Oktober 09, 2006

Zur Abwechslung mal ein Quiz

Dem Urteil des Bundesgerichts 1P.305/2006 vom 25.09.2005 ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
Gemäss Polizeirapport vom 28. Juni 2004 ereignete sich Folgendes: Anlässlich einer Kontrolle des Rastplatzes Kirchbühl sei der Polizei aufgefallen, wie der Personenwagen des Beschwerdeführers auf der Autobahn A2 in schneller Fahrt in Richtung Norden unterwegs gewesen sei. Unverzüglich hätten die beiden anwesenden Polizisten mit dem Patrouillenwagen die Nachfahrt aufgenommen, wobei sie immer in Sichtweite hätten bleiben können. Nach dem Tunnel Eich seien sie bis auf ca. 200 m auf den Beschwerdeführer aufgeschlossen und hätten diesen Abstand konstant eingehalten. Zum Zeitpunktder Nachfahrt hätten sich keine anderen Fahrzeuge auf diesem Autobahnabschnitt in Fahrtrichtung Norden befunden. Die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers habe laut dem Tachometer des Polizeifahrzeugs zwischen 170 und 180 km/h variiert. Auf den letzten drei Kilometern habe sie konstant 180 km/h betragen. Vor der Ausfahrt Reiden habe sich die Polizei durch Matrix und Blaulicht zu erkennen gegeben, den Beschwerdeführer bei der Ausfahrt Reiden abgeleitet und beim Mühlehofweg eine Kontrolle vorgenommen. Neben dem Beschwerdeführer, der den Wagen gelenkt habe, hätten sich noch zwei weitere Männer im Fahrzeug befunden. Der Beschwerdeführer habe ausgesagt, er sei nur 120 km/h gefahren. Der Tachometer des Patrouillenfahrzeuges sei noch am selben Tag geeicht worden (Kontrollmessung).
Gerügt war folgendes:
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung. Es sei schwer, Distanzen nachts aufgrund der Schlusslichter zu schätzen. Zudem seien die Technischen Weisungen des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation über Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr vom 10. August 1998 missachtet worden. Abweichungen von den Technischen Weisungen müssten qualifiziert begründet werden, da sie die Beweistauglichkeit der Geschwindigkeitsschätzung beeinträchtigten.
Frage: Wie hoch war die Gerichtsgebühr?

HILFE - Offizialverteidigungshonorar

In Urteil 1P.161/2006 vom 25.09.2006 hatte sich das Bundesgericht einmal mehr mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Kürzung des Honorars einer Offizialverteidigerin zu befassen. Die Vorinstanz hatte das Honroar von rund CHF 24,000.00 auf rund CHF 19,000.00 gekürzt, was dem Bundesgericht nicht als willkürlich erschien. Angesichts der strengen Voraussetzungen, die das Bundesgericht anwendet, ist dies nicht verwunderlich:
Für die Annahme einer Verletzung von Art. 9 BV genügt es nicht, wenn die kantonale Behörde, welche die Entschädigung festzusetzen hat, einen in Rechnung gestellten Posten irrtümlich würdigt oder sich auf ein unhaltbares Argument stützt. Der angefochtene Entscheid ist erst dann aufzuheben, wenn der dem amtlichen Anwalt zugesprochene gesamthafte Betrag willkürlich erscheint. Der angefochtene Entscheid ist im Ergebnis nur dann unhaltbar, wenn die Tätigkeit des amtlichen Anwalts eine Entschädigung verdient, welche die Differenz zwischen den Auslagen - die vollständig entschädigt werden müssen - und dem zugesprochenen Gesamtbetrag übersteigt (E. 3.2)
Wer den letzten Satz versteht, der möge ihn mir bitte mal erklären. Hier also noch einmal:
Der angefochtene Entscheid ist im Ergebnis nur dann unhaltbar, wenn die Tätigkeit des amtlichen Anwalts eine Entschädigung verdient, welche die Differenz zwischen den Auslagen - die vollständig entschädigt werden müssen - und dem zugesprochenen Gesamtbetrag übersteigt
HILFE!

"Sorry, A., das isch än Überfall".

Der Kassationshof kassiert ein Urteil des Zürcher Obergerichts, dem es vorwirft, objektive Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht abklärt zu haben (Urteil 6S.77/2006 vom 17.08.2006). Darüber hätte es - wie von der prominenten Verteidigung beantragt - ein Gutachten einholen müssen.

Das Bundesgericht zählt etliche Punkte auf, die Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers hätten wecken müssen. Hier ein kleines Müsterchen:
Sonderbar erscheint, dass der Beschwerdeführer die Utensilien für den Raubüberfall und den Tatplan zu Papier brachte, um später nochmals nachsehen zu können, wie der Ablauf wäre (...). Geradezu perplex lässt einen die Formulierung der Ziffer 3: "Auftrag beenden...", als müsste der Beschwerdeführer einen militärischen Befehl ausführen. Völlig widersprüchlich ist auch die Aussage: "Sorry, A.________, das isch än Überfall" (E. 2.2).

Sonntag, Oktober 08, 2006

Von Schnüffelfantasien und kühnen Gesetzesauslegungen

Die SonntagsZeitung (zum kostenpflichtigen Artikel geht es hier) und heise online berichten heute über die Entwicklung von Spionage-Software durch eine Gesellschaft in Pfäffikon SZ, ERA IT SOLUTION AG.

Die Software soll als Trojaner vom Benutzer unbemerkt auf dessen Rechner ferninstalliert werden und in der Lage sein, das im Computer des Benutzers eingebaute Mikrofon einzuschalten. Damit sollen dann etwa die über Internet geführten Telefongespräche, die bisher als ziemlich abhörsicher galten, aufgezeichnet werden. Natürlich kann so auch alles andere in der Reichweite des Mikrofons aufgezeichnet werden. Die Aufzeichnungen werden sodann an einen Rechner übermittelt und dort gespeichert.

Nun, so revolutionär ist das ja alles nicht. Hacker und Internetkriminelle bedienen sich solcher Praktiken nicht erst, seit es diese merkwürdige Gesellschaft gibt, welche übrigens mit dem findigen Slogan „we secure you“ wirbt. Auch nicht neu ist, dass sich die Strafverfolger für die Software interessieren (vgl. NZZ am Sonntag vom 7.9.2003, kostenpflichtig). Gemäss dem Bericht der SonntagsZeitung hat die Arbeitsgruppe Organisierte Kriminalität der KSBS zu einer Vorstellung des Trojaners bei der Bundesanwaltschaft in Bern eingeladen haben, an der mehrere Bundesanwälte sowie Staatsanwälte, Untersuchungsrichter und Kantonspolizisten als mehr als einem Dutzend Kantonen teilgenommen haben.

Rechtlich ist klar, dass jedenfalls die Bundesstrafverfolger über keine rechtliche Grundlage zum Einsatz solcher Trojaner verfügen. Legal sind solche Methoden somit nicht möglich, jedenfalls dann nicht, wenn man das Legalitätsprinzip nicht wieder so auslegt, dass Staatsanwälte alles dürfen, was nicht ausdrücklich verboten ist (so können ja selbst „Vertrauenspersonen“ wie Ramos formell korrekt eingesetzt werden; vgl. meinen früheren Beitrag). Zu beachten ist hingegen, dass es in den kantonalen Strafprozessordnungen Vorschriften über die technische Überwachung gibt. Die Strafverfolger sind gemäss SonntagsZeitung der Meinung, über diese kantonalen Gesetzesgrundlagen könne VoIP legal überwacht werden.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass hier der Gesetzgeber einmal mehr für blöd verkauft werden soll, aber der ist ja noch flexibler als unsere Justiz. Bestimmt wird bei nächster Gelegenheit eine wasserdichte gesetzliche - für die Gerichte verbindliche - Grundlage geschaffen.

Freitag, Oktober 06, 2006

Behring: Neue Zwischenentscheide aus Bellinzona

Das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) hat zwei neue Urteile im Fall Behring online gestellt (BB.2006.33 und BB.2006.41, beide vom 04.10.2006). Ich verweise einstweilen auf einen ersten Bericht der NZZ

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Dement oder bloss als dement diagnostiziert?

In einem heute online gestellten Entscheid (6S.191/2006 vom 26.09.2006) bestätigt das Bundesgericht ein Urteil der Strafkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn. Die Erwägungen des Kassationshofs sind knapp wie selten und verzichten sogar auf eine Darstellung des Sachverhalts. Dies dürfte daran liegen, dass die beiden Beschwerden aus Sicht des Bundesgerichts als absolut aussichtslos erschienen und dass eine Rüge gar als trölerisch qualifiziert wurde. Das nachfolgende Zitat aus dem Urteil ist wohl nicht massgeblich für den Ausgang der Verfahren, zeigt aber wie schwer es ist, das Bundesgericht zu überzeugen:
Das Obergericht hat den Geschädigten nirgends als "dement" bezeichnet. Es hält lediglich fest, dass bei ihm bereits 1998 eine Demenzerkrankung diagnostiziert worden sei und dass sich aus den medizinischen Befunden und seinen eigenen Aussagen das Bild eines hilflosen und anlehnungsbedürftigen Menschen ergebe (E. 2.1).

Mittwoch, Oktober 04, 2006

Aeschlimann Präsident des neuen Bundesgerichts

Gemäss NZZ ist Bundesrichter Arthur Aeschlimann von der Vereinigten Bundesversammlung zum Präsidenten des Bundesgerichts gewählt worden. Vizepräsidentin ist die bisherige Präsidentin des Eidg. Versicherungsgerichts, Susanne Leuzinger-Naef.

Dienstag, Oktober 03, 2006

Update 3: Berichte über die Bundesanwaltschaft

Gemäss NZZ wird der Bundesanwalt nun auch vom Bundesrat entlastet, was einer Antwort zu einer weiteren Interpellation von NR Baumann entnommen werden kann: Klagen auf Grund des Verantwortlichkeitsgesetzes, die in der bisherigen Amtszeit Roschachers erhoben worden seien, hätten bis heute zu keinem Erfolg geführt.

Montag, Oktober 02, 2006

Die Bundesanwaltschaft als Justizbehörde?

In einem heute im Jusletter (kostenpflichtig) erschienen Beitrag untersucht der Vize-Präsident des Bundesstrafgerichts die Dauerfrage nach der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft. Dabei versucht er zunächst zu klären, welcher Gewalt die Bundesanwaltschaft im neuen Strafverfolgungsmodell angehört und kommt dabei zu einem erstaunlichen Schluss. Noch erstaunlicher ist seine Begründung:

Die Durchführung von Strafverfahren ist eine eigentliche Kernaufgabe der Justiz. Im Staatsanwaltschaftsmodell II erbringt die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren einen bedeutenden und unabdingbaren, vom Aufwand her der eigentlichen richterlichen Behörde ebenbürtigen Beitrag an dieses Verfahren der Justiz. In einzelnen Kantonen werden weit über 90 Prozent aller Fälle durch die Staatsanwaltschaft selbst abgeschlossen. Wer aber als staatliches Organ einen unabdingbaren und derart bedeutenden Beitrag an ein Verfahren der Justiz leistet, dies in einem justizförmigen Verfahren tut und in der überwiegenden Zahl der Fälle selbst und faktisch abschliessend richterähnlich entscheidet, kann nur dieser staatlichen Gewalt zugeordnet werden.
Bei der Aufsicht über die angebliche Justizbehörde Staatsanwaltschaft legt sich der Autor nicht fest. Er prüft eine Mischaufsicht (Exekutive mit administrativer, Judikative mit fachlicher Aufsicht), eine einheitliche Aufsicht durch eine Exekutivbehörde, durch die Judikative und schliesslich durch eine Behörde sui generis (bestehend aus Vertretern der Legislative, der Exekutive und der Judikative).

Schade bloss, dass sich der Autor mit den anderen Meinungen nicht auseinandersetzt. Hinweise auf diese findet man sogar auf meinem Blog (vgl. etwa oder hier).

Sonntag, Oktober 01, 2006

Bemerkungen zum "Bericht Uster"

Gegenüber dem Bericht "Lüthi" (vgl. dazu meinen letzten Beitrag) erscheint der Bericht "Uster" wesentlich gehaltvoller. Dass er aber gleich als "Wende im Fall Roschacher" dargestellt wird und seine Kritiker in Verlegenheit bringen soll (NZZ am Sonntag), ist nicht nachvollziehbar. Richtig ist allerdings, dass der Zwischenbericht der Beschwerdekammer, der offenbar sehr kritisch ist, nicht eben gut wegkommt:
Die Untersuchungen beziehen sich ausschliesslich auf die Zeitspanne zwischen der Beendigung der Voruntersuchung und der Anklageerhebung. Sie berücksichtigen den Prozessablauf (und die darin begründeten Verzögerungen) nicht. In nur zwei Fällen sind die kritisierten Punkte materieller Art, in allen übrigen handelt es sich um reine Termin- oder „Buchhaltungsfragen“ und um das Nichtzutreffen von Prognosen, wann mit Anklagen zu rechnen sei.
Der Bericht stammt übrigens von den externen Mitgliedern des Projektausschusses, dem neben Regierungsrat Uster selbst ausschliesslich Strafverfolger angehörten.

Es gibt nun vier Berichte (plus einen von Labeo - durchaus mit Fakten und daher ausser Konkurrenz), zwei davon öffentlich, einer mehr oder weniger öffentlich und einer immer noch unter Verschluss. Es sind unzählige Befragungen und Analysen durchgeführt und Akten analysiert worden. Soweit ersichtlich hat aber keine einzige Befragung eines "Kunden" der BA oder eines Verteidigers stattgefunden. Auch Ramos, der inzwischen mit Klagen droht (SonntagsZeitung), wurde nicht befragt. Vielleicht ist er nicht glaubwürdig?