Donnerstag, Dezember 29, 2005

Adamov wird nach Russland ausgeliefert

Update: der unten zitierte Entscheid 1A.288/2005 ist nun online.

Gemäss Pressemitteilung des Bundesgerichts wird der ehemalige russische Atomminister auf seine Beschwerde hin nach Russland und nicht in die USA ausgeliefert. Das Urteil 1A.288/2005 vom 22. Dezember 2005 ist online noch nicht verfügbar. Die wesentlichen zwei Erwägungen sind aber in der Pressemitteilung enthalten.
  1. Bestimmung des Schwerpunkts bei konkurrierenden Auslieferungsgesuchen: "Nach den anwendbaren völkerrechtlichen Bestimmungen ist bei konkurrierenden Auslieferungsersuchen der Schwerpunkt des Falles zu bestimmen. Dabei sind namentlich die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, der Begehungsort der untersuchten Straftaten und die Empfangsdaten der Auslieferungsersuchen mitzuberücksichtigen." Diese Kriterien sprachen gemäss Bundesgericht für Russland.
  2. Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit: "Die von den USA untersuchte ungetreue Amtsführung eines ausländischen Staatsfunktionärs zum Nachteil des ausländischen Fiskus ist nach schweizerischem StGB nicht selbstständig strafbar. Das Bundesgericht liess die Frage der beidseitigen Strafbarkeit (nach schweizerischem und amerikanischem Recht) jedoch offen, da dem bewilligten russischen Ersuchen ohnehin die Priorität zukommt."

Änderung Strafgesetzbuch

Per 1. Januar 2006 tritt Art. 386 StGB in Kraft. Es handelt sich um die einzige Bestimmung aus der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs, für welche der Bundsrat das "vorzeitige" Inkrafttreten verordnet hat. Das Inkrafttreten der restlichen Revisionsbestimmungen ist für 1. Januar 2007 vorgesehen.
Art. 386 - Präventionsmassnahmen
1 Der Bund kann Aufklärungs-, Erziehungs- und weitere Massnahmen ergreifen, die darauf hinzielen, Straftaten zu verhindern und der Kriminalität vorzubeugen.
2 Er kann Projekte unterstützen, die das unter Absatz 1 erwähnte Ziel haben.
3 Er kann sich an Organisationen beteiligen, welche Massnahmen im Sinne von Absatz 1 durchführen, oder derartige Organisationen schaffen und unterstützen.
4 Der Bundesrat regelt Inhalt, Ziele und Art der Präventionsmassnahmen.

Mittwoch, Dezember 28, 2005

Drohnen gegen Kiffer

Auf Anfrage ein (nicht wissenschaftlicher) Quellennachweis zu meinem gestrigen Beitrag: Die Sonntagszeitung vom 12.11.2005 berichtete unter dem Titel "Spionageflieger der Armee für die Euro 08" u.a. folgendes:
Im Frühling des letzten Jahres beobachtete eine Drohnenkamera verdächtige Vorgänge in einem Wald bei Altbüron im Luzerner Hinterland. Die Polizei wurde alarmiert, und zwei Männer wurden beim Cannabiskonsum ertappt und festgenommen.
Weitere Hinweise liefern Google und die Fragestunde im Nationalrat vom 07. Juni 2004 (AB 2004 N 915 f.).

Bundesstrafgericht - neue Entscheide

Ca. 30 neue Entscheide des Bundesstrafgerichts sind online, darunter mindestens zwei recht exotische:
  • In SK.2005.2 vom 19.10.2005 hat ein Gesuchsteller erfolglos um Feststellung der absoluten Nichtigkeit eines Urteils des bisherigen Bundesstrafgerichts ersucht.
  • In BH.2005.44 vom 30.11.2005 trat das Bundesstrafgericht nicht auf ein Erläuterungsgesuch der Bundesanwaltschaft ein. Diese hatte um Erläuterung Urteils BH.2005.30 vom 21.10.2005 ersucht, das ihr eine Parteientschädigung von CHF 1,500.00 zugunsten des obsiegenden Beschwerdeführers auferlegt hatte.

Dienstag, Dezember 27, 2005

Colin Powell zur U.S. Abhöraffäre

Der ehemalige Aussenminister der USA hat sich zur US-Überwachungsaffäre geäussert und die Vorgehensweise der Bush-Administration gerechtfertigt. Er bringt aber eine Frage auf den Punkt, die mich seit den ersten Meldungen über das sog. "Domestic Spy Program" beschäftigt:
My own judgment is that it didn't seem to me, anyway, that it would have been that hard to go get the warrants. And even in the case of an emergency, you go and do it. The law provides for that (New York Times).
Auch Powell scheint die Antwort nicht zu kennen, aber sein Hinweis, dass es wirklich nicht schwer gewesen wäre, die entsprechenden richterlichen Genehmigungen zu erhalten, macht die Sache für Bush ja nicht besser.

Die zweite Frage, die mich beschäftigt: Gibt es sowas in der Schweiz, im Land in dem Drohnen der Armee Kiffer an Waldrändern aufspüren? Ich bin ziemlich sicher, ja. Der eigentliche Unterschied ist doch, dass es hier kein Schwein interessiert. Hier heisst der Grundsatz:
Wer nichts zu verbergen hat, hat ja auch nichts zu befürchten
(s. dazu etwa meine früheren Beiträge hier, hier und hier).

... aus dem Kartellstrafrecht?

Na das das ging ja rasch. Die New York Times berichtet heute über Ermittlungen von Eliot Spitzer (New York State Attorney General) gegen die Musikindustrie wegen illegaler Preiabsprachen. Sehr informativ ist der heutige Beitrag der Print-NZZ, den ich online leider nicht gefunden habe.

Montag, Dezember 26, 2005

IFPI vs. ISP

IFPI Schweiz hat schon wieder ein neues Schlachtfeld gegen Raubkopierer eröffnet. Gemäss heise.de versucht IFPI nun die Zugangsprovider in die Verantwortung zu ziehen:
Die Schweizer Landesgruppe der Musikindustrie sieht die Zugangsanbieter zum Handeln verpflichtet, weil diese gleichzeitig über die Urheberrechtsverletzungen aufgeklärt und somit für die Handlungen von Kunden haften würden. "Wir fordern Sie daher auf, unverzüglich wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um diese rechtswidrigen Zustände zu beenden und die unautorisierte Vervielfältigung und Verbreitung zu stoppen", heißt es in dem heise online vorliegenden Schreiben. Ferner rät der Phonoverband "dringend" an, "zu Beweiszwecken sofort entsprechende Sicherungen" über den Datenverkehr vorzunehmen, der über ins Visier genommene IP-Adressen laufe.
Siehe dazu meine früheren IFPI-Beiträge hier und hier. Weitere werden sicher folgen, vielleicht bald einmal aus dem Kartellstrafrecht?

Verhörung von Guantanamo-Häftlingen

Die Sonntagszeitung (nur für Abonnenten) berichtet über einen Versuch der Bundesanwaltschaft, Häftlinge auf Gunatanamo zu 141 Fotos zu befragen, die Schweizer Beamte während des Terrorismusfinanzierungsverfahrens gegen den Tessiner Bankier Youssef Nada sichergestellt hatten. Das Ersuchen an das FBI soll vom Stv Bundesanwalt Claude Nicati stammen, den NR Josef Lang nun als
untragbar in einer Spitzenfunktion eines Rechtsstaats bezeichnet.
Wahrscheinlich hat Nicati einfach darauf vertraut, dass allfällige Ergebnisse der Befragungen auf Guantanamo in der Schweiz als Beweismittel zugelassen würden. Und ich befürchte, das durfte er auch.

Mit dem Jagdgesetz gegen Skifahrer

Unter der Schlagzeile "Härtere Strafen für Ski-Rowdys" berichtet die Sonntagszeitung über Massnahmen der (privaten) Pistenbetreiber:
Fehlbaren Personen wird nach einer Verwarnung das Ticket entzogen, bei groben Verstössen schalten die Bahnen die Polizei ein. Bereits bestrafte Leute werden auf einer schwarzen Liste registriert.
Der Kanton Bern hat das Jagdgesetz zur Verfolgung von Pistenrowdys entdeckt. Ein Jagdinspektor wird wie folgt zitiert:
In der letzten Saison haben wir aus der Region Adelboden-Silleren 30 Strafanzeigen an die Untersuchungsbehörden weitergeleitet. Sämtliche Personen wurden mit Bussen zwischen 200 und 400 Franken bestraft.
Anwendbar soll offenbar Art. 18 JSG sein. Das JSG kennt übrigens - sicher ist sicher - auch Zwangsmassnahmen (vgl. Art. 26 JSG).

Freitag, Dezember 23, 2005

Genfer Polizisten verwarnt

Die beiden Polizisten, die im November 2005 vor der laufenden Handy-Kamera eines Passanten eine Frau aus Kamerun zu Boden warfen und sie in Handschellen legten, sind laut Tribune de Genève disziplinarisch verwarnt worden wegen unverhältnismässiger Anwendung von Gewalt. Dabei sei das junge Alter der beiden Polizisten und die fehlende Ausbildung im Umgang mit psychisch angeschlagenenen Personen in Betracht gezogen worden. Strafrechtliche Folgen hat ihre brutale Vorgehensweise nicht.

Donnerstag, Dezember 22, 2005

Schweizerische Strafprozessordnung - Kritik aus dem Westen

Aus der Presseberichterstattung zum gestern verabschiedeten Entwurf einer Schweizerischen Strafprozessordnung:

NZZ
Mittelland Zeitung
St. Galler Tablatt
Tribune den Genève
Le Temps

Mittwoch, Dezember 21, 2005

Jahrhundertvorhaben online

Meinen letzten Beitrag kann ich bereits aktualisieren. Folgende pdf-Dokumente sind online:

Schweizerische Strafprozessordnung

Wie gestern angekündigt hat der Bundesrat heute gemäss Medienmitteilung des EJPD zwei Entwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) und einer Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (JStPO) verabschiedet. Die beiden Gesetzesentwürfe sind m.W. noch nicht online.

Dienstag, Dezember 20, 2005

Als "Jahrhundertvorhaben"

bezeichnet Bundesrat Blocher die einheitliche Strafprozessordnung, die anstelle von 26 verschiedenen Strafprozessordnungen tritt. Sie soll demnächst vom Bundesrat verabschiedet werden, dem Vernehmen nach morgen Mittwoch (vgl. dazu auch die Medienmitteilung des EJPD vom 19.12.2005).

Serono - Vergleich in den USA

Das U.S. Department of Justice teilt weitere Einzelheiten zum Serono-Vergleich mit (s. dazu meinen früheren Beitrag) . Nach der Pressemitteilung vom 15.12.2005 erkennt sich Serono schuldig und bezahlt als Busse USD 136,900,000.00:
The U.S. subsidiary, SERONO LABORATORIES, INC., of Swiss Corporation SERONO, S.A., pleaded guilty and was sentenced today in federal court on criminal charges in connection with several illegal schemes to promote, market and sell
its drug, Serostim, used to treat AIDs wasting, a condition involving profound involuntary weight loss in AIDS patients.

Montag, Dezember 19, 2005

Unique gebüsst

Laut Pressemitteilung vom 16.12.2005 hat die Wettbewerbskommission über die Flughafen Zürich AG (Unique) eine "Sanktion" von CHF 248,000.00 (Art. 50 KG) verhängt.

Unique war unter Sanktionsdrohung verpflichtet worden, zwei Parking-Dienstleistern weiterhin Flughafeneinrichtungen zu bisherigen oder vergleichbaren Konditionen zu vermieten und die Gewerbe-Bewilligungen zu erteilen. Damit sollten die beiden Unternehmen ihr bisheriges Valet-Parking weiter anbieten können. Die Angebote, welche Unique den beiden Dienstleistern machte, genügten den Anforderungen der Wettbewerbskommission nicht.

Damit kann die gegen Unique wegen allfälligen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eingeleitete Untersuchung nun weitergeführt werden.

Samstag, Dezember 17, 2005

Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963

Ein U.S.-Bundesgericht hatte ich mit der Frage zu befassen, ob eine Verletzung von Art. 36 Ziff. 1 lit. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 zur Aufhebung eines Strafurteils führen kann (vgl. dazu den Entscheid No. 04-14669 vom 15.12.2005 des U.S. Court of Appeals for the Eleventh Circuit). Der Appellant hatte sich erfolglos auf ein Urteil des ICJ vom 31.03.2004 (Mexico v. USA, Avena et al.) berufen.

Ich weise auf die Entscheide hin, weil die Schweiz auch Vertragsstaat ist und ich mich frage, ob man sich hierzulande bewusst ist, dass das Übereinkommen Rechte für Untersuchungshäftlinge beinhaltet und die Strafverfolgungsbehörden zur Information über diese Rechte verpflichtet.

Maulkorb für Rechtsanwälte?

Vielleicht ja, aber dann bitte in einem fairen Verfahren. Der EGMR hat mit Urteil vom 15.12.2005 (Requête no 53146/99) eine Beschwerde gegen die Schweiz gutgeheissen. Beschwerdeführer war ein Anwalt, der 1998 in einem Disziplinarverfahren ohne öffentliche Verhandlung zu einer Busse von CHF 500.00 verurteilt worden war. Das Bundesgericht hatte die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK noch verneint.

BWIS und die Hooligans

Weniger freiheitsliebend als der US Senat ist offenbar unser Parlament mit seinen unsäglichen Hooligan-Beschlüssen. Mehr dazu bei gebsn.

Partiot Act

Der Patriot Act wird voraussichtlich nicht verlängert. Der Senat gewichtete die Freiheitsrechte der Bürger höher als die zur Terrorbekämpfung befristet erlassenen Gesetze. Den Bericht in der NZZ finden sie hier. Mehr über die Vorlage ist hier aus erster Hand abrufbar.

Freitag, Dezember 16, 2005

(nulla) poena sine lege

In einer ganzen Reihe von Entscheidungen hatte sich das Bundesgericht mit LSVA-Widerhandlungen (Art. 20 SVAG) auseinanderzusetzen. Aus BGE 6.S.197/2005 vom 06.12.2005, der zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist:

Setzt ein Straftatbestand die Gefährdung eines bestimmten Rechtsgutes voraus, so ist damit häufig eine konkrete Gefährdung gemeint, d.h. die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit einer Verletzung des geschützten Rechtsgutes. Der Begriff der Gefährdung muss indessen nicht im gesamten Strafrecht einschliesslich des sog. Nebenstrafrechts im Allgemeinen und des Steuerstrafrechts im Besonderen einheitlich in diesem Sinne ausgelegt werden, und eine solche Auslegung ergibt sich auch nicht aus Art. 1 StGB. [...] Die Pflicht der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers, alle erforderlichen Angaben betreffend einen mitgeführten Anhänger am Erfassungsgerät zu deklarieren (Art. 17 Abs. 1 SVAV), ist in jedem Fall eine Mitwirkungspflicht, deren Missachtung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 SVAG die Abgabe bzw. die gesetzmässige Veranlagung gefährdet respektive die gesetzmässige Veranlagung im Sinne der romanischen Gesetzestexte ("compromettre", "compromettere") beeinträchtigt (E.2.2.2).

Strafbar ist mit anderen Worten alles, was die gesetzmässige Veranlagung gefährdet, und eben nicht nur, was der Gesetzgeber ausrücklich als strafbares Verhalten definiert. So ist gemäss Bundesgericht eine für unser Rechtssystem zentrale Norm wie Art. 1 StGB, die an Klarheit kaum zu überbieten ist, auszulegen.

Donnerstag, Dezember 15, 2005

Strafverfahren gegen 9-Jähriges Verkehrsopfer

Das Magazin "10 vor 10" berichtet heute über ein Strafverfahren gegen ein Mädchen, das auf einem Fussgängerstreifen von einem Auto erfasst und verletzt wurde. Das Verfahren gegen den Fahrzeuglenker wurde eingestellt. Das damals 7-jährige Mädchen wird sich wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln (Art 90 Ziff. 1 SVG) vor Jugendgericht verantworten müssen. Zum Verhängnis wurde dem Mädchen offenbar die von einem Polizisten durchgeführte Befragung als Opfer. Diese fand kurz nach dem Unfall im Spital statt. Das Video sehen sie hier (RealPlayer).

Kein Wunder, dass die Jugendstrafstatistiken nach oben schnellen. Zum Thema Jugendstrafrecht und "Jugendanwälte" fallen mir zwei Anrufe aus den letzten paar Tagen ein:
  1. Eine Mutter ruft an und erzählt, ihr Sohn sei in ein Jugendstrafverfahren verwickelt und sie gewinne langsam den Eindruck, dass der Jugendanwalt die Interessen des Sohnes gar nicht richtig vertrete.
  2. Ein Jugendanwalt ruft an und will den Verteidiger davon überzeugen, nicht an der Befragung seines 13-jährigen Klienten teilzunehmen, weil dies ein falsches erzieherisches Signal sei.

Absolutes Folterverbot

In ihren Opinions vom 08.12.2005 sprechen sich die Lords of Appeal einstimmig gegen die Verwertung von Erkenntnissen aus, die durch Folter erwirkt wurden.

Unlauterer Wettbewerb?

Bundesräte und Bundeskanzlerin können nach Art 162 Abs. 1 BV "für ihre Äusserungen in den Räten und in deren Organen rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden."

Gemäss NZZ Online hatten die eidg. Räte über ein Gesuch der bernischen Strafverfolgungsbehörden um Aufhebung der Immunität zu entscheiden:
Bei ihnen war ein Strafantrag eingegangen, mit dem der Verein «Rechtsauskunft Anwaltskollektiv» den Verantwortlichen des Extremismusberichts unlauteren Wettbewerb vorwirft. Nach Ansicht des Vereins erweckt eine Textpassage den Eindruck, «Rechtsauskunft Anwaltskollektiv» sei nur eine andere Bezeichnung für das Komitee gegen Isolationshaft (KGI) - eine Gruppierung, die im Bericht des Bundesrates im Zusammenhang mit den Akteuren des Linksextremismus erwähnt wird.
Allemal originell. Die Immunität bleibt nach dem Entscheid sowohl des Ständerats als auch des Nationalrats dennoch unangetastet.

Klägliche Musikindustrie

Die Musikindustrie eröffnet eine neue Urheberrechtsfront. Nun wird verklagt, wer Liedertexte ins Internet stellt (s. dazu den polemischen Beitrag von Prof. Ken Lammers auf crimlaw).

EU Parlament für Vorratsspeicherung

Gemäss Financial Times Deutschland hat das EU Parlament einen Vorschlag der Justizminister gebilligt, der die Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten im eMail- und Telefonverkehr für sechs Monate bis zwei Jahre vorsieht. Die Kosten sollen die Provider bezahlen, welche sie natürlich auf die Kunden überwälzen werden.

Die Pressemitteilung des Parlaments finden sie hier. Wer es genauer wissen will, kann sich den von der Kommission vorgelegten
Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG
zu Gemüte führen. Natürlich steht alles unter Richtervorbehalt, aber wer mir den Richter nennt, der (in Europa oder gar in der Schweiz) jemals einen Überwachungsantrag abgewiesen hat, der möge sich bitte melden.

Mittwoch, Dezember 14, 2005

7 Monatslöhne für fristlos entlassene Untersuchungsrichterin

Im Fall der entlassenen Untersuchungsrichterin (s. dazu meinen früheren Beitrag) teilt das Bundesstrafgericht heute mit:
Das Bundesstrafgericht als Wahlbehörde für die Eidgenössischen Untersuchungsrichter hat beschlossen, das für die Amtsdauer 2003 bis Ende 2008 bestehende Anstellungsverhältnis mit der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin, Frau Monique Saudan, mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Der Hauptgrund für diese Massnahme bildete die unhaltbare Situation in Bezug auf die von ihr bearbeiteten Verfahren bzw. die ausstehenden Abschlüsse, insbesondere bei Haftfällen, sowie die sich daraus entwickelnde betriebliche Situation bezüglich Zusammenarbeit im Untersuchungsrichteramt. Mit von Bedeutung war auch, dass sie bereits in der vorangehenden Wahlperiode wegen schleppender Führung der Voruntersuchungen von der Anklagekammer des Bundesgerichts mehrfach schriftlich abgemahnt werden musste. Mit Rücksicht auf die laufende Amtsdauer wurde ihr eine Entschädigung in der Höhe von sieben Monatslöhnen ausgerichtet.
Gemäss NZZ wird die Untersuchungsrichterin den Entscheid anfechten.

Gutachten aufgrund unvollständiger Akten

Ein Patient stellte gegen einen Chirurgen Strafantrag wegen einfacher Körperverletzung. Der Chirurg hatte dem Patienten entgegen dessen Weisungen ein Implantat ohne vorsorglichen Einsatz von Antibiotika entfernt, was zu einer Wundinfektion und drei weiteren Operationen führte. Das Verfahren wurde vom Bezirksamt Frauenfeld zunächst eingestellt, musste dann aber auf Beschwerde des Patienten hin wieder aufgenommen werden. Nachdem ein Gutachten erstellt wurde, erfolgte ein neuerlicher Einstellungsentscheid, den der Patient wiederum anfocht, diesmal aber vorerst ohne Erfolg. Der Kassationshof hiess eine dagegen gerichtete Willkürbeschwerde mit BGE 6S.143/2005 vom 27.10.2005 gut, weil das Gutachten auf zweifelhaften Grundlagen beruhte:

Vielmehr ergibt sich aus dem Gutachten, dass lediglich einzelne Aktenstücke aus der gesamten Krankengeschichte zur Verfügung standen und dass ungewiss ist, ob diese "repräsentativ" sind. Auch eine repräsentative Auswahl von Akten würde keine genügende Grundlage für eine Begutachtung abgeben. [...].

Somit beruht das Gutachten auf einer unklaren und damit zweifelhaften Aktengrundlage. [...]. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass für die Begutachtung alle massgeblichen Unterlagen zur Verfügung standen (E. 3.2).

Sonntag, Dezember 11, 2005

Einsatz von Drohnen

Die heutige Sonntagspresse nennt gleich zwei neue Einsatzgebiete für die Drohnen der Schweizer Armee, welche sie offenbar selbst nicht mehr benötigt.

Gemäss Sonntagszeitung sollen Drohnen für die Euro 08 eingesetzt werden. Laut dem "Chef Sicherheit Euro 08" ist die Bodenüberwachung aus der Luft ein zentrales Anliegen der Sicherheitsverantwortlichen. Drohnen haben gegenüber Helikoptern den Vorteil, dass sie kaum Lärm verursachen und Personal sparen. Zusammenrottungen von Hooligans oder Ausschreitungen liessen sich sofort erkennen, entsprechend schnell könnte die Polizei reagieren.

Die NZZ am Sonntag berichtet dagegen über den geplanten Einsatz von Drohnen zur Unterstützung des Grenzwachtkorps. Gesetzliche Grundlage soll angeblich das Zollgesetz sein, wahrscheinlich Art. 27 ZG.

Update: Hier der Bericht in der NZZ am Wochentag.

Maulkorb für Rechtsanwälte?

Labeo stellt die Frage aus Anlass zweier aktueller Entscheide des Bundesgerichts (BGE 2A.368/2005 vom 12.10.2005 und BGE 2A.168/2005 vom 06.09.2005), die er im Ergebnis zu begrüssen scheint und in seinem Beitrag zu folgendem Schluss kommt:
Hintergrund dieser auf den ersten Blick streng erscheinenden Rechtsprechung ist wohl der Gedanke, dass Polemik oder ehrverletzende Äusserungen eines Rechtsvertreters seinem Mandanten wohl mehr schaden als nützen. So gesehen geht es um den Schutz einer qualitativ genügenden Rechtsvertretung und damit um den Schutz des Mandanten.
Es mag sein, dass Polemik von Rechtsanwälten den Interessen der Mandanten schaden kann, was ja aber eigentlich nicht sein dürfte und damit auch nicht der Hintergrund dieser Rechtsprechung sein kann. Die Beörden haben wenigstens nach meinem Verständnis nicht das Verhalten der Vertreter zu beurteilen, sondern die Rechtsbegehren der Vertretenen.

Fragwürdig an der Rechtsprechung (darf ich das sagen?) erscheint mir, dass es im Ergebnis wohl nicht darauf ankommt, was man sagt, sondern wie man es sagt: "Sag was Du willst, aber sag es gefälligst politisch korrekt."

Freitag, Dezember 09, 2005

DAP unter Beschuss

Die Medien schiessen sich heute erneut auf die Nachrichtendienste, insbesondere auf den im fedpol angesiedelten DAP ein (s. Tagesanzeiger). Anlass ist der Bericht der GPDel zum Fall Mohamed Achraf, der leider nur in einer Zusammenfassung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Für alle, die schon immer wissen wollten, wie messerscharf die GPDel analysiert und wie knallhart sie den Bundesrat in die Pflicht nimmt, habe ich deren Empfehlungen zusammengetragen:
Empfehlung 1
Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert den Bundesrat auf, Massnahmen zu treffen, die einen schnellen und umfassenden Informationsaustausch zwischen der Bundeskriminalpolizei und dem Dienst für Analyse und Prävention im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten gewährleisten.

Empfehlung 2
Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert den Bundesrat auf, Vorkehrungen zu treffen, damit in Zukunft Meldungen ausländischer Partnerdienste mit einer politischen Dimension für die Schweiz systematisch eine grössere Bedeutung beigemessen wird und sie rascher behandelt werden. Unter solchen Meldungen sind – wie bei den Meldungen im Fall Mohamed Achraf – inbesondere Meldungen zu verstehen, die einen Bezug zur Schweiz und Hinweise auf terroristische Handlungen
aufweisen. Die Zuverlässigkeit des ausländischen Partnerdienstes ist bei der Bewertung seiner Meldungen mit einzubeziehen.

Empfehlung 3
Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert den Bundesrat auf, organisatorische Vorkehrungen im Dienst für Analyse und Prävention (DAP) zu treffen, damit der
Leiter DAP und allenfalls der Direktor des Bundesamtes für Polizei über Meldungen im Sinne der Empfehlung 2 rechtzeitig informiert werden.

Empfehlung 4
Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert den Bundesrat auf, Lösungen zu erarbeiten, welche den schweizerischen Sicherheitsdiensten ermöglichen würden, eine allfällige Inhaftierung einer Person in der Schweiz schnell und systematisch abzuklären.

Leukerbad-Urteile online

Die Urteile des Bundesgerichts zu je einer staatsrechtlichen Beschwerde und je einer Nichtigkeitsbeschwerde des ehemaligen Gemeindepräsidenten von Leukerbad und den ehemaligen Direktot der L.L.B. sind online (BGE 6S.404/2004 und 6S.400/2004 vom 11.10.2005).

Die staatsrechtlichen Beschwerden wurden abgewiesen. Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden sind die beiden Beschuldigten je in einem Punkt durchgedrungen. Juristisch interessant erscheint höchstens folgende Feststellung des Bundesgerichts im Entscheid gegen den Gemeindepräsidenten (E. 13.5):
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie einen Vermögensschaden allein durch die Aufnahme von Krediten bejaht und den Beschwerdeführer deshalb der vollendeten ungetreuen Geschäftsführung bzw. -besorgung schuldig gesprochen hat.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

Update 4: "Annahme verweigert"

Markus Schneider legt in einem leider etwas schwer auffindbaren Kommentar Wert auf eine Klarstellung, die Sie hier finden.

Luzernischer Amtstatthalter als Haftrichter?

In einem heute auf dem Internet publizierten Entscheid 1P.695/2005 vom 25.11.2005 weist das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde ab. Der Beschwerdeführer machte erfolglos geltend, der die Strafuntersuchung führende Amtsstatthalter sei kein "erkennender Richter" und damit nicht befugt, Untersuchungshaft anzuordnen. Unter Verweis auf BGE 131 I 36 und BGE 131 I 66 wiederholt das Bundsgericht:
Der Sinn und Zweck von Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art. 31 Abs. 3 BV besteht darin, zu vermeiden, dass eine objektiv befangen erscheinende Justizperson strafprozessuale Haft anordnet. Ein solcher Anschein ist nach der dargelegten Praxis gegeben, wenn ein haftanordnender Untersuchungsrichter Weisungen von Seiten der Anklagebehörde zu befolgen hätte oder wenn er in der Folge in der gleichen Sache Anklagefunktionen ausüben könnte.
Art 31 Abs. 3 BV lautet wie folgt:
Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird [...].
Der über die Haft entscheidene Richter kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts also ausgerechnet derjenige sein, der die Haft angeordnet hat. Einen abhängigeren Richter kann ich mir ja gar nicht vorstellen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist diese Rechtsprechung schlicht und einfach falsch.

Dienstag, Dezember 06, 2005

Private Sicherheitsfirmen

Gemäss einer Medienmitteilung vom 05.12.2005 sieht der Bundesrat im Zusammenhang mit privaten Sicherheitsfirmen Handlungsbedarf. "Er lädt deshalb die Kantone ein, ihre Vorschriften stärker zu harmonisieren." So einfach können politische Lösungen sein.

VoIP im rechtsfreien Raum?

In einem heutigen NZZ-Beitrag über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Internet-Telefonie äussert sich der stellvertretende Direktor des BAKOM wie folgt zur Frage, ob die Untersuchungsbehörden im Strafverfolgungsfall Voip-Kommunikationen abhören lassen können:
Diese Pflicht besteht auch für die Voip-Anbieter. Ändern wird sich jedoch die technische Ausgestaltung. Die Anbieter müssen die Umsetzung dieser Pflicht mit dem «Dienst für besondere Aufgaben» im UVEK absprechen. Leider bestehen noch keine standardisierten internationalen Normen für die Abhörung von Voip, so dass heute eine Abhörung nötigenfalls noch je im Einzelfall einzurichten wäre.

Fristenlauf bei falscher Rechtsmittelbelehrung

Wer auf komplizierte Sachverhalte steht, dem kann BGE 1P.374/2005 vom 22.11.2005 nur wärmstens empfohlen werden. Im Ergebnis qualifizierte das Bundesgericht einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich als willkürlich. Dieses hatte einem Fristwiederherstellungsgesuch der Staatsanwaltschaft statt gegeben, welche geltend gemacht hatte, die Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung nicht erkannt zu haben. Aus dem Entscheid (E.2.8):
Demnach wäre die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung im Einzelrichterentscheid vom 10. Juli 2002 angesichts der Gesamtheit der Umstände für die Staatsanwaltschaft mit dem Entscheid des Obergerichts vom 18. März 2004 erkennbar gewesen. Da mit der Erkennbarkeit der Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung das Hindernis nach § 199 Abs. 3 GVG dahinfällt, ist es entgegen dem angefochtenen Beschluss vom 20. September 2004 unhaltbar, die Eröffnung des Obergerichtsentscheides vom 18. März 2004 unberücksichtigt zu lassen. Damit hält die Fristwiederherstellung, welche für den Wegfall des Hindernisses nach § 199 Abs. 3 GVG allein die Kenntnisnahme des Fristwiederherstellungsgesuches der Beschwerdeführerin am 29. April 2004 berücksichtigt, vor Art. 9 BV nicht stand. Insoweit erweist sich die vorliegende Beschwerde als begründet und ist der Beschluss vom 20. September 2004 aufzuheben.
Das Verfahren geht übrigens auf ein Strafmandat aus dem Jahr 1992 zurück.

Montag, Dezember 05, 2005

Bundesrecht gleich mehrfach verletzt

Mit Urteilen vom 16. November hat der Kassationshof des Bundesgericht zwei Urteile des Obergerichts des Kantons Aargau aufgehoben. Im ersten Fall stellte der Kassationshof gleich mehrere Verletzungen von Bundesrecht fest (BGE 6P.78/2005). Im zweiten Fall (BGE 6P.79/2995) verweigerte das Obergericht dem Verurteilten zu Unrecht den bedingten Strafvollzug:
Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, räumt die Vorinstanz dem Umstand, dass er während des laufenden Strafverfahrens erneut straffällig geworden ist, in unzulässiger Weise eine vorrangige Bedeutung bei. Zu seinen Gunsten sprechende Gesichtspunkte vernachlässigt sie oder lässt sie gänzlich ausser Acht. So fehlen namentlich Erwägungen über die familiären Verhältnisse und die soziale Integration des Beschwerdeführers, welche Rückschlüsse auf sein künftiges Wohlverhalten zuliessen. Die blosse Wiedergabe des Führungsberichts der Strafanstalt genügt in dieser Hinsicht jedenfalls nicht. Unter diesen Umständen kann nicht überprüft werden, ob die Vorinstanz Bundesrecht richtig angewendet hat. Das angefochtene Urteil ist daher nach Art. 277 BStP aufzuheben.

Sonntag, Dezember 04, 2005

Unmittelbarkeitsprinzip

Christian Weber, Leitender Staatsanwalt StA III des Kantons Zürich, Wirtschaftsdelikte, äussert sich in einem Interview in der Sonntagszeitung über die (übermässige) Dauer von Wirtschafts-Strafverfahren in der Schweiz. Interessant ist sein Lösungsansatz:
Wir müssen noch mehr zu Teamarbeit übergehen. Wir sind aber vor allem wegen des Prozessrechts eingeschränkt. Wir sollten über einen Wechsel zum Unmittelbarkeitsverfahren diskutieren.
Das Prozessrecht stellt die formelle Gerechtigkeit sicher und kann an sich der materiellen Gerechtigkeit nicht hinderlich sein. Dass es aber bisweilen die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht eben beschleunigt, und damit eines seiner wichtigsten Prinzipien behindert, ist aber tatsächlich paradox. Wenn die Lösung im Unmittelbarkeitsprinzip liegen kann - und vieles spricht dafür - dann frage ich mich, warum es in der Praxis nicht bereits heute stärker betont wird. Das geltende Recht steht dem m.E. nicht im Weg. Im Begleitbericht zum Vorentwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung (S. 27) lässt sich dazu folgendes entnehmen:
Weil dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vor der ersten Instanz vermehrt Rechnung getragen wird, darf bei Rechtsmitteln häufiger das schriftliche Verfahren, so namentlich bei der Berufung, angewendet (Art. 458, 472-473 VE, Ziff. 273.3) und im Rechtsmittelverfahren die Abnahme neuer bzw. die erneute Abnahme von bereits vorinstanzlich erhobener Beweise beschränkt werden (Art. 457 VE, nachfolgend Ziff. 271.2).

Samstag, Dezember 03, 2005

Labeo

Mit Labeo, der hier zu meiner Freude gepostet hat, erhebt sich eine neue und offensichtlich gewichtige Stimme aus der Blogospäre, die sich mit der aktuellen Rechtspraxis auseinandersetzt.

Ich wünsche Labeo, dass er seine Anonymität möglichst lange wahren und damit Dinge sagen kann, die ich nicht sagen kann (oder vielleicht nicht sagen sollte). Wer mit der Anonymität Mühe hat, kann seine Neugier hier oder hier befriedigen.

Neue Kritik an der Staatsanwaltschaft

Gleich in mehreren Beiträgen und einem Kommentar wird die Staatsanwaltschaft für ihr Vorgehen im Fall Michael John / PPal AG) in der Solothurner Zeitung kritisiert (vgl. dazu auch finanznachrichten.de). Der Staatsanwaltschaft wird vorgeworfen, ohne gesetzliche Grundlage Aktionäre als mögliche Geschädigte über Verfahrensdetails informiert zu haben, und zwar noch bevor die Verteidigung Akteneinsicht erhalten habe. Dabei habe sie darauf abgezielt, neue Strafanzeigen zu provozieren. Wer Details aus einer laufenden Untersuchung weitergebe, mache sich in der Regel strafbar. Das ist nun möglicherweise auch der Staatsanwaltschaft aufgefallen, denn sie äussert sich zu den Vorwürfen nicht:
Zu einem konkreten, laufenden Strafverfahren äussern wir uns in der Regel jedoch aus ermittlungstaktischen Gründen nicht.
Die Berichterstattung der Solothurner Zeitung ist übrigens auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Dass die Verteidigung noch keine Akteneinsicht gehabt haben soll, als die Staatsanwaltschaft die Aktionäre am 3. Oktober 2005 orientiert hat, kann ich mir nicht erklären. Die Orientierung der Aktionäre fand nach dem Haftgerichtsverfahren statt, das bereits Ende August stattgefunden haben muss. In die Haftakten - und das sind immerhin diejenigen, auf welche die Staatsanwaltschaft ihr Haftgesuch stützt - hat die Verteidigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Obergerichts des Kantons Solothurn volle Akteneinsicht.

Freitag, Dezember 02, 2005

Entschädigung bei Einstellung des Verfahrens

Wie hier berichtet hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen die früheren Al-Taqwa-Manager Youssef Nada und Ali Himmat einstellen müssen. Nun hat das Bundesstrafgericht über die geltend gemachten Entschädigungen nach Art. 122 BStP zu entscheiden (BK.2005.14 und BK.2005.16, beide vom 30.11.2005). Die beiden Entscheide äussern sich umfassend zur Anspruchsgrundlage und zur Höhe der Stundenansätze für die Anwaltskoten:
In Berücksichtigung der Bedeutung des Falles (Verdacht auf Finanzierung eines Terrornetzwerks und damit auf Beteilung an und/oder Unterstützung einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter StGB), der verhältnismässig hohen Komplexität und der Mehrsprachigkeit erscheint ein Ansatz von Fr. 250.-- als angemessen.
Etwas peinlich mutet die Art an, wie der Verteidiger von Himmat seinen Honoraranspruch begründete:
Es fällt auf, dass sich die angeblich zur Verteidigung aufgewendeten 225 Stunden („Totale ore impiegate: 225“) offensichtlich aus der Division des vorerwähnten, Auslagen und Mehrwertsteuer enthaltenden Betrages von Fr. 67'500.-- durch den beantragten Stundenansatz von Fr. 300.-- ergeben. Das allein lässt bereits an der Richtigkeit und Widerspruchsfreiheit der eingereichten Rechnungen zweifeln. Untermauert wird dieser Schluss durch die Tatsache, dass – ausgehend vom angebehrten Ansatz von Fr. 300.-- pro Stunde – verschiedene in den Einzelrechnungen geltend gemachte Honorarsummen nicht mit den Angaben im nachträglich der Beschwerdekammer eingereichten Leistungsjournal (act. 6.1) übereinstimmen.

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Geldwäscherei - Rechtshilfe bei unbekannter Vortat?

Das Bundesgericht hat sich in einem Urteil vom 15. November 2005 (BGE 1A.164/2005) erneut zur Frage der Zulässigkeit der Rechtshilfe bei ausländischen Geldwäschereiverfahren geäussert, bei denen die Vortat nicht bekannt ist:
3.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Rechtshilfe wegen des Verdachts der Geldwäscherei grundsätzlich auch dann zulässig, wenn das Rechtshilfeersuchen lediglich verdächtige Finanztransaktionen darlegt, ohne zu erwähnen, worin die Vortat besteht (BGE 129 II 97 E. 3.2 und 3.3 S. 99 f.). Voraussetzung ist jedoch, dass die geschilderten Finanztransaktionen von Art und Umfang oder von den Begleitumständen her den Verdacht der Geldwäscherei begründen können (vgl. dazu Bundesgerichtsentscheid 1A.188/2005 vom 24. Oktober 2005). Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Vorbehalt der Schweiz zu Art. 2 lit. a des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EUeR, SR 0.351.1) - wonach die Schweiz keine Rechtshilfe leistet bei Straftaten, die bloss auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben (Steuerhinterziehung) gerichtet sind - unter dem Vorwand der Rechtshilfe wegen Geldwäscherei umgangen wird.