Mittwoch, Mai 30, 2007

strafprozess ... zieht um

Nach knapp drei Jahren wird es Zeit, den Weblog etwas aufzupeppen. Ich habe ihn daher nach http://www.strafprozess.ch/ übertragen, wohin auch das Archiv umziehen wird.

Ich werde diese alte Seite noch eine Weile online lassen, die Besucher dann aber auf http://www.strafprozess.ch/ umleiten. Wer nicht Opfer eines heimtückischen. Hijackings werden will, dem empfehle ich bereits jetzt, die Bookmarks und Feeds anzupassen.

Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich für die vielen Kommentare und Anregungen und wünsche Ihnen den Mut, Ihre Anmerkungen im Weblog zu veröffentlichen, was weiterhin in anonymer Form möglich sein wird.

Herzlichen Dank
Konrad Jeker

Sonntag, Mai 27, 2007

Alles bestens beim DAP?

Nachdem die Presse den Bericht der GPDel dazu benützte, über den Hochstapler Covassi herzuziehen (s. meine Beiträge hier und hier), wendet sich die heutige Ausgabe der SonntagsZeitung dem eigentlichen Problem zu, dem DAP (Artikel kostenpflichtig). Nebst einer Aufzähung von DAP-Pannen wird an die Vorlage BWIS II erinnert, welche die Kompetenzen des DAP massiv ausbauen soll.

Aber Vorsicht: Die typische Reaktion der Politik liegt bekanntlich darin, versagende Behörden mit mehr Mitteln und Kompetenzen auszustatten. Sicher wird schon bald ein entsprechender Vorstoss lanciert, zumal im Herbst gewählt wird.

Samstag, Mai 26, 2007

Journalistin vor Bundesgericht

Die Welle der Ehrverletzungsprozesse gegen Personen, die von Berufs wegen sprechen wollen, sollen und müssen (Anwälte, Kolumnisten und Journalisten) ebbt nicht ab.

In 6S.83/2007 vom 17.05.2007 hat das Bundesgericht die Nichtigkeitsbeschwerde von Mirko Kovats in Fünferbesetzung abgewiesen und damit den Freispruch einer Wirtschaftsjournalistin des Tages-Anzeiger bestätigt. Aus dem Urteil:

Abgesehen von der besonderen Regelung von Art. 27bis StGB geniesst der Journalist bei Vorliegen einer Ehrverletzung durch die Presse keinerlei Privilegien (BGE 131 IV 160 E. 3.3.2; 105 IV 119 E. 2a). Das Gericht kann nur innerhalb des ihm vom Gesetz vorgegebenen Rahmens der speziellen Situation und der besonderen Aufgabe der Presse Rechnung tragen. Die eigentliche Auslegung der Straftatbestände gemäss Art. 173 ff. StGB ist demnach für jedermann dieselbe, ob er sich nun des Mittels der Presse bedient hat oder nicht (E. 4).
Das dürfte der gute Frank A. Meyer aber gerne hören (vgl. meinen früheren Beitrag). Aber weiter im Text:

Dem Beschwerdeführer wird mithin als Ziel seines Engagements bei der Y. ein spekulatives Gewinnstreben in eigener Sache unterstellt. Diese Unterstellung greift die strafrechtlich geschützte Ehre nicht an. Der Vorwurf ehrenrühriger oder strafbarer Handlungen lässt sich aus dem umstrittenen Zeitungsartikel mithin nicht herauslesen. Für sich alleine genommen - daraufwe ist auch die Vorinstanz hin - könnte die inkriminierte Äusserung zwar den Eindruck erwecken, man unterstelle dem Beschwerdeführer, dass er sich zum Nachteil der Y. bzw. deren Aktionäre bereichern wolle. Wird jedoch der Gesamtzusammenhang berücksichtigt, in dem die beanstandete Äusserung erfolgt, so erhellt ohne weiteres, dass dem Beschwerdeführer damit gerade kein strafbares oder auch bloss strafwürdiges Verhalten zur Last gelegt wird. Vielmehr geht es insgesamt nur um eine Kritik an seiner Geschäftstätigkeit. Eine derartige Kritik ist - wie dargelegt - nicht ehrenrührig. Der objektive Tatbestand von Art. 173 ff. StGB ist mithin nicht erfüllt (E. 5).
Da hat es aber aus Lausanne auch schon weniger grosszügig getönt. Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft weiterhin so stark auf den Gesamtzusammenhang abgestellt wird und nicht darauf, was eine an sich nicht tatbestandsmässige Kritik für tatbestandsmässige Rückschlüsse auf den Charakter des Kritisierten zulässt.

Polizisten etwa sollte man jedenfalls im Kanton Solothurn nur mit grösster Zurückhaltung kritisieren. Wer etwa behauptet, ein Polizist habe eine unzulässige Methode angewendet, der verletzt den Polizisten nach seiner Vorstellung automatisch auch in seinem strafrechtlich geschützten Ehrgefühl (so empfand es auch Kovats). Mit etwas Glück kommt es dann nach ein paar Jahren Prozessdauer zum Freispruch, aber der Prozess allein ist eine immer wieder unterschätzte Belastung.

Hochstapler C.

Die NZZ greift sich in der heutigen Samstagsausgabe die Methoden des Hochstaplers C. heraus:
Die hemmungslosen Methoden des Hochstaplers C. sind verrucht, verlogen, aber -
das gestehen wir zu - beinahe raffinierter als die der Nachrichtendienste.
Im Übrigen geht die Rechnung der GPDel voll auf: Vor lauter C. sieht man den DAP nicht mehr (s. meinen letzten Beitrag).

Freitag, Mai 25, 2007

Unverwertbare Beweismittel im Skyguide-Prozess

Im Skyguide-Prozess liefern die Plädoyers der Verteidiger Gesprächsstoff. Der Masterplan besteht offenbar darin, die Schuld allein dem ermordeten Fluglotsen zuzuweisen und die belastenden Beweismittel als unverwertbar darzustellen. Dies mag rein technisch gesehen richtig sein, berücksichtigt aber wahrscheinlich zu wenig das enorme öffentliche Interesse am Verfahren. Die Strategie wird in den Augen des Publikums mit grosser Sicherheit als schäbig aufgefasst, was mit ebenso grosser Sicherheit auch das Gericht beeinflussen wird. Man wird es sehen und analysieren.

Zur Verwertungsfrage zitiere ich hier kurz aus der NZZ. Behauptet wird einerseits die Verletzung des Konfronationsanspruchs (Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. d EMRK):
Der in der Unglücksnacht alleine diensthabende Fluglotse sei vor seinem Tod sechs Mal einvernommen worden und habe dabei die Angeklagten belastet, [...]. Keiner der Angeklagten sei jedoch je mit dem Lotsen konfrontiert worden und habe zu dessen Aussagen Stellung nehmen können oder müssen. Im Falle einer Verwertung dieser Aussagen würde deshalb das Fairness-Prinzip verletzt (NZZ).
Ob das Argument stichhaltig ist, kann aus der Ferne schlecht beurteilt werden. Ein unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts könnte weiterführen (1P.186/2004 vom 23.09.2004). In jenem Fall entschied das Bundesgericht im Sinne der Verteidigung. Die Belastungszeugen waren nicht mehr in der Schweiz und es wurde nichts unternommen, das Konfrontationsrecht zu gewährleisten, obwohl dies möglich gewesen wäre. Im Skyguide-Prozess ist die Konfrontation nicht mehr möglich, war es aber natürlich zu Beginn der Untersuchungen. Das Bezirksgericht hat damit also eine recht knifflige Frage zu beantworten und sollte sich dabei am Sinn und Zweck des Konfrontationsrechts orientieren. Ein Blick über den Atlantik kann hier nicht schaden:
Admitting statements deemed reliable by a judge is fundamentally at odds with the right of confrontation. To be sure, the Clause's ultimate goal is to ensure reliability of evidence, but it is a procedural rather than a substantive guarantee. It commands, not that evidence be reliable, but that reliability be assessed in a particular manner: by testing in the crucible of cross-examination. The Clause thus reflects a judgment, not only about the desirability of reliable evidence (a point on which there could be little dissent), but about how reliability can best be determined (USSC, 541 U.S. 36, Crawford v. Washington).
Auch das Gutachten wird von der Verteidigung als unverwertbar qualifiziert:
Dieses sei nicht für ein Strafverfahren, sondern für die deutsche Bundesstelle für Fluguntersuchung (BFU) erstellt worden. Daher sei der Sachverständige auch nicht richtig über die Rechtslage informiert worden. Vor Gericht nicht brauchbar sei das Gutachten zudem, weil sich der Sachverständige darin offensichtlich auch auf Informationen stütze, die er informell bei Drittpersonen eingeholt hatte.
Diesen Argumenten gebe ich wenig Chancen. Ich gehe davon aus, dass es der Verteidigung möglich war, dem Gutachter Ergänzungsfragen zu stellen, womit allfällige Mängel "geheilt" wurden.

Affäre Covassi - Geheimdienste entlastet?

Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 15. Mai 2007 zur Affäre um einen Informanten im Genfer Islam-Zentrum ist online (vgl. dazu auch die offizielle Medienmitteilung oder die umformulierten Texte derselben in Tages-Anzeiger und NZZ).

Der Bericht enthält teilweise verletzende Feststellungen zur Person von Claude Covassi, die mir als völlig unnötig erscheinen. Sie erwecken bei mir den Eindruck, dass hier ein sonst offenbar nicht ungern eingesetzter "Informant" öffentlich demontiert werden soll. Unten folgen ein paar Auszüge aus dem Bericht zu den sachlichen Feststellungen: Aus den Begriffsdefinitionen:
Ein «Informant» ist eine Privatperson, die der Polizei oder einem Nachrichtendienst aus eigenem Antrieb Informationen liefert, ohne ihnen anzugehören. Im Bereich der Polizei spricht man auch von «Hinweisgebern», «Polizeispitzeln» oder einfach von «Spitzeln». In der Sprache der Nachrichtendienste werden auch die Begriffe «ehrenwerter Korrespondent» und «inoffizieller Mitarbeiter» verwendet. Der Begriff des Informanten ist im Bundesrecht derzeit nicht definiert.
Zur Frage, ob Covassi für den DAP tätig war:

Ab Juli 2004 wurde Claude Covassi formell zum Informanten des DAP, da dieser der Meinung war, er könnte nützliche Informationen über das CIG beschaffen. [...]. Claude Covassis Aufgabe bestand darin, lnformationen über die mit dem Direktor des CIG verkehrenden Personen und über das Geschehen am Islam-Zentrum zu liefern (S. 37). [...].

Zur Zeit ist der Begriff des Informanten im Bundesrecht nicht definiert, und diese Art der Tätigkeit entbehrt jeglicher präzisen formellen gesetzlichen Grundlage. Der Grundsatz für den Einsatz von Informanten leitet sich aus Artikel 14 Absatz 2 BWIS ab, wonach Staatsschutzorgane Quellen auswerten und Auskünfte einholen dürfen. Die von einem Informanten beigebrachten Informationen können in einem Strafverfahren nicht verwendet werden (S. 37).

Die Tatsache, dass der Einsatz von Informanten durch den DAP nicht durch eine spezifische gesetzliche Grundlage geregelt ist, heisst nicht, dass der Einsatz von Informanten untersagt ist. Die Delegation erachtet es als durchaus zulässig, dass der DAP bei sich dazu freiwillig bereit erklärenden Personen Auskünfte einholt und diesen ein bestimmtes Mass an Schutz gewährt (S. 38).

Die Prüfung der Fakten zeigt, dass der Einsatz von Claude Covassi durch den DAP zweifelsohne dem Einsatz eines Informanten entsprach und dass Claude Covassi kein Ermittler im Sinne des Gesetzes über die verdeckte Ermittlung war (S. 39).

Ob Covassi nun Informant oder was auch immer war - seinen Einsatz auf Art. 14 BWIS abstützen zu wollen, erscheint gelinde gesagt als wenig überzeugend. Ich wiederhole hier seine Aufgabe gemäss Bericht:
lnformationen über die mit dem Direktor des CIG verkehrenden Personen und über das Geschehen am Islam-Zentrum zu liefern (S. 37).
Na egal, Hauptsache es haben alle alles richtig gemacht.

Unbedeutendes Bankgeheimnis - unzulässige Beschwerde

In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid (1C_93/2007 vom 10.05.2007) hat das Bundesgericht die Herausgabe von Bankunterlagen an die niederländischen Behörden in einem Rechtshilfeverfahren geschützt, indem es die Beschwerde als unzulässig qualifizierte (kein bedeutender Fall, Art. 84 BGG). Die Begründung dazu im Volltext:
Der angefochtene Entscheid stützt sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die zurückzukommen kein Anlass besteht. Auch sonstwie ist der Fall nicht von aussergewöhnlicher Tragweite.
Offenbar handelt es sich um den ersten Entscheid zu Art. 84 BGG. Was er uns in der amtlichen Sammlung aber sagen will, ist mir nicht klar. Vielleicht, dass das Bundesgericht keine Rechtshilfebeschwerden beurteilen will?

Haar statt Blut

In einem Administrativverfahren wurde einem Arzt der Führerausweis aufgrund einer Haaranalyse auf unbestimmte Zeit entzogen. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid gestützt auf kantonales Beweisrecht (das Bundesrecht siehr sie noch nicht vor) geschützt (Urteil 6A.8/2007 vom 01.05.2007). Hier ein paar Auszüge aus dem Urteil:
Auf eine fehlende Fahreignung darf geschlossen werden, wenn die Person nicht mehr in der Lage ist, Alkoholkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die nahe liegende Gefahr besteht, dass sie im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt. Somit können auch suchtgefährdete Personen, bei denen aber jedenfalls ein Alkoholmissbrauch vorliegt, vom Führen eines Motorfahrzeugs ferngehalten werden (BGE 129 II 82 E. 4.1). (E. 2.1).
Bisher wurde der Beweis über Blutanaylsen geführt, womit aber kein direkter Alkoholkonsum-Nachweis erbracht werden kann. Dagegen stellt die Haaranalyse auf Ethylglucuronid (ETG) eine direkte, beweiskräftige Analysemethode dar:
Weil ETG ein Abbauprodukt von Alkohol ist, belegt dessen Nachweis den Konsum von Alkohol. Aufgrund des Kopfhaar-Längenwachstums von ca. 1 cm pro Monat lassen sich Aussagen über den Alkoholkonsum während der entsprechenden Zeit vor der Haarentnahme machen. Nach dem Gutachter werden ETG-Resultate über 30 bzw. 51 pg/mg nur bei Patienten mit Alkoholproblemen beobachtet. Die Analyse kann somit auch zur Entlastung des Betroffenen führen (E. 2.3).
Prozessual zu beachten ist, dass im vorliegenden Fall kantonales Beweisrecht anwendbar ist. Dazu und zu seiner Kognition führte das Bundesgericht folgendes aus:
Eine Haarentnahme greift zwar in die körperliche Integrität und damit in das Grundrecht der persönlichen Freiheit ein. Sie ist aber lediglich als leichter Eingriff anzusehen (...). Bei einem leichten Grundrechtseingriff prüft das Bundesgericht das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Die Eingriffsermächtigung lässt sich angesichts der bundesrechtlichen Untersuchungspflicht und der Verweisung auf das kantonale Recht ohne Willkür auf Art. 12 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons St. Gallen vom 16. Mai 1965 (VRP/SG) stützen (E. 2.4).
Die kantonalgesetzliche Grundlage sieht die Haaranalyse selbstverständlich auch nicht vor, sondern beschränkt sich auf allgemeine Floskeln (Beweiserhebung von Amts wegen durch Beizug von Sachverständigen, der auch Hilfspersonen beiziehen kann), die dem Bundesgericht hier aufgrund der Willkürkognition aber reichten. Nebst einer gesetzlichen Grundlage sind auch die übrigen Eingiffsvoraussetzungen zu prüfen. Das Bundesgericht sagte dazu einzig und allein folgendes:
Weiter sind das öffentliche Interesse an der Abklärung sowie die Verhältnismässigkeit der Massnahme ohne weiteres zu bejahen.
Selbst wenn das zu bejahen ist, als Begründung kann man diese Äusserung jedenfalls nicht qualifizieren. Mit ähnlich überzeugenden Argumenten schmetterte das Bundesgericht auch die Einwände gegen die Haarentnahme und die Analyse durch ein luxemburgisches Labors ab:
Wie sich auch aus der Darstellung in der Beschwerde (S. 6) selber ergibt, erweist sich im Übrigen die Auffassung der Vorinstanz entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht als unzutreffend, wonach er in seinem Rekurs weder das Ergebnis der Haaranalyse als solches noch die fachliche Befähigung des mit der Analyse beauftragten luxemburgischen Labors und dessen Mitarbeiter bestritten habe. In jener dem Gutachter zur Stellungnahme zugestellten Eingabe vom 8. Juni 2006 (act. 19) wurde auf S. 3 bloss eine nicht korrekte Entnahme der Haarprobe geltend gemacht. Dieser Einwand wurde vom Gutachter zurückgewiesen. Für die Vorinstanz waren für entsprechende Zweifel auch keine Anhaltspunkte ersichtlich (E. 2.4).
Dass die Haaranalyse auch Vorteile für den Probanden hat, ist nicht zu bestreiten:
Beweiserhebungen sind nach den allgemeinen Grundsätzen nur soweit durchzuführen, als sie erforderlich sind. [...]. Eine Befragung des Arbeitgebers und der Tochter erschien für einen sicheren Befund nicht mehr erforderlich. Der Gutachter hat dieses Vorgehen in seiner verkehrsmedizinischen Stellungnahme ausführlich begründet. Er hat sich auf hinreichende Unterlagen gestützt (Akten, Befragung und Befunde der körperlichen Untersuchung, Selbstbeurteilungsfragebogen, Ergebnisse der Blut-, Urin- und Haaranalyse). Die Einwände des Beschwerdeführers sind unbegründet (E. 2.5).
Ergebnis:
Entsprechend ist von der vorinstanzlichen Feststellung auszugehen, dass beim Beschwerdeführer eine verkehrsrelevante Alkoholproblematik mit Abhängigkeitscharakter gemäss ICD-10 vorliegt (E. 2.6).
Der Entscheid mag im Ergebnis durchaus richtig sein. Immerhin lagen auch Blutanalysen vor, die zum selben Ergebnis führten. Was aber dringend zu fordern ist, ist ein Ausbau der Mitwirkungsrechte (etwa bei der Wahl des Gutachters) und eine lückenlose, nachvollziehbare Dokumentation von der Haarentnahme bis zur Auswertung. Selbst luxemburgische Labors sind von Irrtümern und Verwechslungen nicht gefeit.

P.S. Dies ist Blog-Eintrag Nr. 1,000.

Mittwoch, Mai 23, 2007

Dawn Raids gegen Raider

Die EBK hat in ihrer Untersuchung wegen möglicher Verletzung der Meldepflicht im Fall Sulzer Durchsuchungen bei drei Banken in Zürich durchgeführt:
Teams mit Buchprüfern und Anwälten tauchten bei den Finanzinstituten auf und verlangten im Auftrag Einsicht in Unterlagen und Dokumente, die im Fall Sulzer eine Rolle gespielt haben.
Bei diesen Teams handelt es sich natürlich nicht um EBK-Mitarbeiter:
Weil die EBK personell knapp dotiert ist, habe sie im Fall Sulzer zusätzlich externe Fachleute von renommierten Buchprüfergesellschaften und Anwaltskanzleien beigezogen.
Hauptsache renommiert? Besonders renommiert war sicher ein Anwalt:
Der Zürcher Anwalt Carl Stadelhofer sitzt bei der Neuen Zürcher Bank und bei Vekselbergs Schweizer Ableger Renova Management im Verwaltungsrat.
Hauptsache renommiert!

Geldwäscherei-Rezept

Der Tages-Anzeiger hat kürzlich auf ein seit langem bekanntes, aber wohl nur äusserst selten praktiziertes Geldwäscherei-Rezept veröffentlicht, auf das ich hier lediglich verweisen will.

Einfach damit es klar ist: Das Rezept beschreibt keine Strafbarkeitslücke. Seine Anwendung ist strafbar und das Risiko, erwischt zu werden, dürfte nicht unerheblich sein.

Engeler

Urs Paul Engeler wird erneut vor Gericht gezerrt, diesmal wegen angeblicher Rassendiskriminierung in einem Artikel der Weltwoche (Art. 261bis StGB). Strafanzeigerin ist gemäss NZZ die Vereinigung Surselva Romontscha.

In den Genuss des neuen Rechts (?) wird Engeler wahrscheinlich nicht mehr kommen und wohl auch nicht kommen müssen.

Dienstag, Mai 22, 2007

Update: Der Bund will vom Drogenhandel mitprofitieren

Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil A-1342/06 vom 05.05.2007 ins Netz gestellt. Der aufwändig begründete Entscheid setzt sich sehr eingehend mit der Rechtssprechung des EuGH auseinander, um sie dann schliesslich doch nur insoweit zu übernehmen, als sie für die Beschwerdeführer nachteilig ist:
Die vom EuGH vorgenommene Differenzierung, ob ein Vorgang lediglich verboten oder sogar "absolut verboten" ist, ergibt sich zusammengefasst für die Schweiz weder aus den anwendbaren Rechtsgrundlagen noch aus den für die schweizerische Mehrwertsteuer geltenden Grundprinzipien. Weswegen der Verkauf von Betäubungsmitteln eine prinzipiell andere Behandlung erfahren soll als Umsätze aus anderen strafbaren Tätigkeiten, ist nicht ersichtlich. Insgesamt ist somit festzustellen, dass Umsätze aus strafbarem Betäubungsmittelhandel der Mehrwertsteuer bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unterstehen (E. 5.6).
Zur Frage, dass der Erlös bereits vom Strafrichter eingezogen war sagt das Bundesverwaltungsgericht u.a. folgendes:

Was die Beschwerdeführer mit ihrem Vorbringen ansprechen, ist die Frage der Rechtmässigkeit dieser Einziehung, namentlich auch in Bezug auf deren Umfang (vgl. zur Anwendung des Bruttoprinzips bei strafrechtlichen Einziehungen BGE 124 I 6 ff.). Dies ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sollten die Beschwerdeführer der Ansicht sein, die Einziehung an sich bzw. deren Umfang sei nicht rechtens gewesen, hätten sie sich gegen den Entscheid des Strafgerichts ... wenden müssen (E. 7.2).Und was bitte hätten sie vor dem Strafrichter geltend machen sollen? Sie dürfen nicht einziehen, weil das Geld der Steuerverwaltung des Bundes gerhört? Indirekt beantwortet das Bundesverwaltungsgericht die Frage selbst, indem es ausführt, dass auch die Einziehung richtig war: Die Einziehung haben die Beschwerdeführer aufgrund ihres strafrechtlich relevanten Verhaltens selber zu verantworten. Die Einziehung durch die kantonalen Strafbehörden und die Mehrwertsteuerforderung der ESTV beruhen im Übrigen, wie auch die ESTV dartut, auf völlig verschiedenen Rechtsnormen und verfolgen verschiedene Zielrichtungen. Ein unzulässiger Eingriff in die Eigentumsgarantie liegt insgesamt klar nicht vor (E 7.4.2).
M.E. ist die Steuerforderung im Ergebnis eine unzulässige Strafsteuer. Der Grundsatz, dass sich das Delinquieren (nur!) nicht lohnen soll, ist vom Strafgericht eingehalten, vom Bundesverwaltungsgericht dann im Ergebnis aber wieder aufgehoben worden. Vom Strafrichter wurden die Beschwerdeführer bestraft und der Erlös wurde eingezogen. Damit wurde ihr Fehlverhalten hinreichend sanktioniert. Wenn nun die Steuerverwaltung noch einmal zuschlägt, liegt eine Doppelbestrafung vor. Zugegeben, das ist dogmatisch nicht durchdacht, aber der Gedanke könnte zumindest in eine interessante Richtung weisen. Zum richtigen Ergebnis würde man übrigens auch kommen, indem man die Rechtsprechung des EuGH übernehmen würde. Insofern wäre die Begründung für die Beschwerde ans Bundesgericht ziemlich einfach.

Anklageprinzip verletzt

Gemäss Tages-Anzeiger hat das Obergericht des Kantons Zürich vier Kassierinnen einer Coop-Filiale freigesprochen:
Weder standen die einzelnen Tatbeiträge der Angeklagten fest noch präzises Tatzeitpunkte noch eine genauere Deliktsumme. Zudem hätten die Taten auch vor Mitte Januar 2005 begangen worden sein können. Doch was vor diesem Datum liegt, ist verjährt.
Bestimmt hatte die Staatsanwaltschaft geltend gemacht, es sei halt präziser nicht gegangen. Bei Drogen- und Wirtschaftsdelikten kommt sie damit in der Regel auch durch.

Montag, Mai 21, 2007

Neues Ungemach für die Bundesanwaltschaft?

Gemäss einer neuen - extrem knappen - Medienmitteilung hat der Bundesrat eine ausserordentliche Staatsanwältin des Bundes (Art. 16 Abs. 3 BStP) eingesetzt:
Im Rahmen eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens des Bundes wurden verschiedene Vorwürfe erhoben. Da sich diese gegen Mitarbeitende der Bundeskriminalpolizei und der Bundesanwaltschaft richten, kann das Verfahren nicht von der Bundesanwaltschaft selber geführt werden. Deshalb hat der Bundesrat die Berner Untersuchungsrichterin Anastasia Falkner als ausserordentliche Staatsanwältin des Bundes eingesetzt.

Update: POLIS-Verordnung

Gemäss Tages-Anzeiger ist die staatsrechtliche Beschwerde gegen die POLIS-Verordnung des Kantons Zürich (vgl. meinen früheren Beitrag vom 18.07.2006) abgewiesen worden. Das Urteil des Bundesgerichts ist noch nicht online. Dem Tagi-Beitrag kann aber folgendes entnommen werden:
Zunächst sei nicht zu beanstanden, dass auch kommunale Polizeien Zugriff auf das Informationssystem hätten. Habe eine Gemeinde keine eigene Polizei, bestehe auch kein Zugriffsrecht auf die gespeicherten Daten. Erfolglos blieb auch der Einwand, dass widerrechtlich beschaffte, falsche oder nicht mehr benötigte Daten über die Verjährungsfrist hinaus im System bleiben würden. Gemäss Bundesgericht lässt sich die aufgestellte Ordnung durchaus verfassungskonform handhaben.

Der Bund will vom Drogenhandel mitprofitieren

Laut einem Beitrag der NZZ hat das Bundesverwaltungsgericht am 03.05.2007 (Urteil A-1342/2006, online nicht gefunden) entschieden,
  • dass der illegale Drogenhandel der Mehrwertsteuerpflicht unterliegt und
  • dass die Steuer auch dann (und damit doppelt) bezahlt werden muss, wenn der Staat den Drogenerlös bereits eingezogen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht liess gemäss NZZ nur offen,
ob der Strafrichter den als Mehrwertsteuer geschuldeten Betrag überhaupt einziehen durfte, doch hätte das im Strafverfahren geklärt werden müssen. Und schliesslich weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass der Drogenerlös an den Kanton ging, während die Mehrwertsteuer dem Bund zusteht.
Im Grunde geht es also nur darum, dass der Bund auch vom Drogenhandel profitieren möchte und dies nicht mehr den Kantonen überlassen will. Die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts erscheint nun aber als zu einfach. Sie lautet im Ergebnis: Ach was streiten wir uns überhaupt? Bitten wir doch den Drogenhändler einfach doppelt zur Kasse.

Der Entscheid ist gemäss NZZ noch nicht rechtskräftig und wird es hoffentlich nie werden.

Sonntag, Mai 20, 2007

Friedliche Zeiten

In den Beilagen der NZZ vom 18. Mai 2007 (Dossier Jugendgewalt, kostenpflichtig) wird diskutiert, wieso unsere Gesellschaft trotz rückläufiger Kriminalität (inkl. Jugendkriminalität) als immer brutaler wahrgenommen wird. Hier ein Zitat aus dem Einleitungstext von Markus Hofmann:
Dass selbst vergleichsweise geringe Gewalttaten mediale Aufmerksamkeit finden, lässt auf eines schliessen: Wir leben in einer im Grunde friedlichen Zeit. Nur in einer solchen können Taten, die bis vor nicht so langer Zeit als nicht der Rede wert galten, für Polizeieinsätze, Schlagzeilen und für staatlich geförderte Erziehungs- und Gewaltpräventions-Programme sorgen.
Aus einem Interview mit Wilfried Breyvogel zur Entwicklung der Gewalttaten von Jugendlichen:
Hier verzeichnen wir seit 2002 insgesamt eine leichte Zunahme sowohl bei der schweren und gefährlichen Körperverletzung wie auch beim Raub sowie bei der räuberischen Erpressung. [...] Das lässt sich mit dem Phänomen des sogenannten Abziehens erklären. Jugendliche kreisen dabei ihr Opfer ein, bedrohen es mit Gewalt oder wenden solche an, um Handys, Geld oder Kleider zu stehlen. Die Täter wissen oft nicht, dass sie damit den Straftatbestand des Raubes erfüllen und somit ein schweres Delikt begehen.
Ich wusste gar nicht, dass Abziehen wieder praktiziert wird. Als Kinder haben wir das doch in jeder Pause und auf jedem Schulweg selbst mitgemacht oder erlebt. Wir wussten natürlich, dass das nicht erlaubt war, aber als Schwerkriminelle kam sich dabei sicher keiner vor. Zu Unrecht: Wer sich die Strafandrohung von Art. 140 StGB vor Augen führt, muss zum Schluss kommen, dass das Abziehen eine der schwersten Straftaten überhaupt ist, zumal ja in der Regel bandenmässig vorgegangen wird:Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren.

Haben Sie sich auch eben dabei ertappt, über die absolute Verjährung nachzudenken?

Freitag, Mai 18, 2007

Bundesgericht: Abteilungspräsident korrigiert sich selbst

Mit Urteil vom 09.05.2007 (6F_4/2007) hat der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ein Revisionsgesuch gegen einen eigenen Entscheid (6B 35/2007 vom 21.03.2007) gutgeheissen und diesen aufgehoben. In der Folge hat er neu entscheiden, und zwar im Ergebnis genau gleich wie beim ersten Anlauf (Nichteintreten). Aus den Erwägungen:
Der Gesuchsteller rügt zu Recht, dass sich das Bundesgericht im Urteil vom 21. März 2007 nicht zu seinem damals gestellten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege geäussert hat (Gesuch S. 4). Insoweit liegt ein Revisionsgrund gemäss Art. 121 lit. c BGG vor. Das Revisionsgesuch erweist sich als begründet. Es ist gutzuheissen, und die unbehandelt gebliebene Frage ist materiell zu beurteilen.Gemäss Art. 64 BGG muss ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen werden, wenn das Rechtsbegehren aussichtslos erscheint. Ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde nicht legitimiert, erscheint die Beschwerde offensichtlich als aussichtslos. Das Gesuch muss somit abgewiesen werden.

Mittwoch, Mai 16, 2007

Vereinheitlichung Strafprozessrecht

Der Nationalrat wird gemäss Sessionsprogramm am 18. und 19. Juni 2007 die Vorlage 05.092 (Strafprozessrecht. Vereinheitlichung) behandeln. Berichterstatter sind die Damen und Herren Nationalräte Thanei Anita, Müller Thomas, Moret Isabelle und Pagan Jacques. Bei den beiden Damen handelt es sich um Mitglieder des Schweizerischen Anwaltsverbands, die hoffentlich dessen Standpunkte unterstützen werden, auch wenn sie sich gemäss Anwaltsverzeichnis (Thanei, Moret) nicht mit Straf- und Strafprozessrecht beschäftigen. Auch NR Pagan ist Anwalt (offenbar nicht SAV-Mitglied, dafür viele VR-Mandate), während Herr Müller Stadtpräsident mit juristischer Ausbildung ist.

Überwachung einer Anwaltskanzlei

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 30. April 2007 (2 BvR 2151/06) die Überwachung des Telefon- und Telefaxanschlusses einer Anwaltskanzlei sowie der beiden Mobilfunkgeräten des Anwalts von Khaled el Masri als verfassungswidrig qualifiziert. Verletzt waren das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Aus der Pressemitteilung:

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer von den Tätern kontaktiert werden würde, war von vornherein so gering, dass die Erfolgsaussichten der Maßnahme außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs standen. Die Umstände, die aus Sicht der Fachgerichte Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und dem Täterumfeld erwarten ließen, sind wenig konkretund tragen lediglich den Charakter von Vermutungen.

Aus dem Beschluss geht hervor, dass die Verhältnismässigkeit im engeren Sinn offensichtlich nicht gegeben war, so dass die übrigen Voraussetzungen für die Überwachung gar nicht mehr zu prüfen waren. Interessant für die schweizerische Rechtsprechung ist die Begründung, dass die Überwachung auch die Berufsausübungsfreiheit in unzulässiger Weise beschränkte:

Darüber hinaus verletzt die Maßnahme die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers. Die herausgehobene Bedeutung einer nicht-kontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und hätte die Fachgerichte zu einer Ablehnung der Anordnung veranlassen müssen.

Dienstag, Mai 15, 2007

Update 2: Kontrollstaat Solothurn

Der Kantonsrat hat den Kanton Solothurn heute sicherer gemacht, und zwar noch sicherer als es der Regierungsrat wollte (vgl. DRS 1 und meine früheren Beiträge hier und hier).

Ob das neue Vermummungsverbot dann auch im Pandemiefall gilt - das BAG empfiehlt ja heute den Kauf von "Hygienemasken" - wird sich zeigen:
Die Bevölkerung wird aufgefordert, für den Pandemiefall einen Vorrat an Hygienemasken anzulegen.

Mit Telefonüberwachung gegen SVG-Delikte

Am 11. Mai 2007 hat das Bundesgericht einen Entscheid (6A.113/2006 vom 30.04.2007) online gestellt, den ich verpasst hätte, wären da nicht fel und die NZZ.

Im Oktober 1999 ordneten die zuständigen Behörden eine Telefonüberwachung an, weil sich X. eines Drogendelikts verdächtig gemacht hatte. Am 8. November 1999 wurde ihm der Führerausweis wegen eines anderen Delikts entzogen. Kurz darauf ergab die Telefonüberwachung folgendes:
"Jetzt bin ich gerade in meinem neuen Range Rover drin ... und fahre selber ... ich musste ihn doch ausprobieren ... jetzt fahr ich wieder retour".
Daraufhin wurde ein neues Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das SVG eröffnet, dass dann aber wegen Verjährungseintritts eingestellt wurde. Im Administrativverfahren wurde X. der Führerausweis wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs für die Dauer von sechs Monaten entzogen. Dagegen wehrte er sich nun erfolgreich. Seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde vom Bundesgericht nach altem SVG beurteilt (gültig bis 24.12.2004). Die zu prüfende Frage definierte das Bundesgericht wie folgt:
Im vorliegenden Verfahren ist einzig zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Zufallsfund aus der im Rahmen eines Strafverfahrens angeordneten Telefonüberwachung in einem Administrativverfahren betreffend
Entzug des Führerausweises zu Warnzwecken verwertet werden darf (E. 6.1).
Diese Frage hat das Gericht in der Folge verneint. Es erinnerte zunächst daran, dass ein Warnungsentzug eine repressive Massnahme mit strafähnlichem Charakter darstelle. Damit seien die strafprozessualen Regeln auch im Entzugsverfahren analog anwendbar:
Der Zufallsfund darf mithin im Administrativverfahren verwendet werden, wenn er im Strafverfahren betreffend die Widerhandlung, die Anlass für das Administrativverfahren bildet, verwertet werden darf. Die prinzipiell ohnehin unsichere Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen, auf welche die Vorinstanz abstellt, ist insoweit ein untaugliches, nicht sachgerechtes und daher willkürliches Kriterium (E. 6.2.4).
Dieser etwas überraschenden Wertung folgt die Frage nach dem anwendbaren Recht. Das BÜPF war im massgeblichen Zeitpunkt noch nicht in Kraft, so dass die damals geltende kantonale Strafprozessordnung (Art. 192 aStPO/SH) anwendbar war (vgl. Art. 18 BÜPF).
Das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs war nach dem hier massgebenden alten, bis Ende 2004 geltenden Recht (Art. 95 Abs. 2 aSVG) angesichts der Strafdrohung von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse lediglich eine Übertretung. Wegen dieser Tat konnte gemäss Art. 192 aStPO/SH eine Telefonüberwachung nicht angeordnet werden. Daher durfte ein auf eine solche Tat hindeutender Zufallsfund gemäss Art. 196 aStPO/SH im Strafverfahren nicht verwertet werden. Demnach durfte die Aufzeichnung des abgehörten Telefongesprächs auch im Administrativverfahren betreffend Entzug des Führerausweises zu Warnzwecken nicht als Beweismittel verwendet werden (E. 6.4).
Damit war die Sache aber noch nicht gegessen, denn X. hatte in den polizeilichen Einvernahmen die Tat gestanden. Dazu machte es sich das Bundesgericht nun leider einfach, indem es die Frage der Verwertung der Protokolle und damit der Fernwirkung des Verwertungsverbots offen liess:
Mit der Frage, ob diese polizeilichen Einvernahmen auch verwertbar sind, wenn der Zufallsfund aus der Telefonüberwachung nicht verwertbar wäre, hat sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid nicht befasst, wozu sie auch keinen Anlass hatte. Das Bundesgericht hat daher keinen Grund, sich im vorliegenden Verfahren mit dieser Frage der sog. Fernwirkung des Verwertungsverbots auseinander zu setzen und zu prüfen, ob der Führerausweisentzug allein aufgrund des vom Beschwerdeführer nach Vorhalt des unverwertbaren Zufallsfundes abgegebenen Geständnisses angeordnet werden könnte 6.5).
Damit geht der Fall zurück an die Vorinstanz und wird dann möglicherweise zur Beantwortung der offenen gelassenen Frage der Fernwirkung nach Lausanne zurückkehren. Auch dann nicht beantworten wird das Bundesgericht allerdings die Rechtslage nach geltendem Recht.

Montag, Mai 14, 2007

Gesetzwidrige Jugendhaft

Der Tages-Anzeiger machthier auf eine Studie des Bundesamts für Justiz (ich habe sie online nicht gefunden) aufmerksam, die unhaltbare Zustände beim Vollzug von Jugendstrafen feststellt:
Gemäss dem BJ werden die Vorgaben des neuen Gesetzes über den Strafvollzug Jugendlicher im Allgemeinen nicht respektiert. Im Jahr 2005 seien von 1005 Minderjährigen 726 im Gefängnis gewesen, 273 in speziellen Einrichtungen und 6 in Spitälern.
So what? Im Jugendstrafrecht wird ja nicht die Strafe, sondern die Erziehung in den Vordergrund gestellt und die klappt dank besonders ausgebildeter Jugendstrafverfolgern (sie werden oft als "Jugendanwälte" bezeichnet) auch ohne die Einhaltung von Gesetzen, die der Erziehung ohnehin nicht förderlich sind. Da fällt mir ein Satz ein, den ich von Eltern immer wieder zu hören bekomme:
Mein Sohn fühlt sich vom Jugendanwalt einfach nicht wirksam vertreten.
Eben. Der Jugendanwalt vertritt nicht und er straft nicht, er erzieht!

Polizei-Razzien in Zürich

Gemäss Tages-Anzeiger wurden in der Nacht von Samstag auf Sonntag zwei Clubs polizeilich gestürmt. Die Razzien waren ein Grosserfolg. Gleich mehrere Personen, welche ihre Bussen nicht bezahlt hatten, konnten festgenommen werden. Mein Lieblingssatz des Tagi-Artikels:
Die Kontrolle erfolgte laut Mediensprecher Michael Wirz auf Grund «polizeilicher Erkenntnisse».
Gleichzeitig meldet das Blatt, dass die Verwaltungen von Stadt und Kanton Zürich innert vier Jahren um 3,000 Stellen gewachsen sind. Mein Lieblingssatz in diesem Artikel:
Die Parteien sind besorgt.

Samstag, Mai 12, 2007

Update 1: Kontrollstaat Solothurn

In der heutigen Ausgabe der Solothurner Lokalpresse findet sich jeweils ein Interview mit Herrn Regierungsrat Gomm zur Vorlage "Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" (s. meinen letzten Beitrag). Die kritischen Fragen stellt das Solothurner Tagblatt, das online zugänglich ist und aus dem ich hier zitiere:

Wir sind ganz klar der Auffassung, dass in einem freiheitlichen Staat auch Leute an öffentlichen Plätzen verkehren dürfen, die der Mehrheit vielleicht nicht genehm sind. Deshalb sind wir zweitens der Meinung, dass der Antrag der Justizkommission eindeutig über das Ziel hinausschiesst (Wegweisung einzelner Personen, schon nur wenn sich jemand belästigt fühlt, Anmerkung der Red.) und man von der Wegweisungskompetenz nur sehr zurückhaltend Gebrauch machen soll. Es ist wohl eher so: Der linke Polizeidirektor wurde von den liberalen Geistern in diesem Punkt im Stich gelassen.
Genau so ist es. Dass aber auch RR Gomm grundsätzlich hinter der Vorlage steht, zeigen die folgenden Zitate:

Nur als Beruhigungspille ist die Vorlage nicht gedacht, wenn sie das meinen sollten. Man muss tatsächlich davon ausgehen, dass heute mehr Gewalt im öffentlichen Raum stattfindet als vor 10 oder 15 Jahren [...]. Und es wird zum Beispiel bei der Videoüberwachung ein Bereich geregelt, der bis heute auf kantonaler Ebene zu wenig geregelt war. Da werden jetzt klare Grenzen gesetzt.
Dazu ist folgendes zu sagen:
  1. Es ist schlicht und ergreifend nicht wahr, dass heute mehr Gewalt im öffentlichen Raum stattfindet als früher. Wenn schon müsste man dies belegen und nicht einfach davon ausgehen, es sei so.
  2. Natürlich werden der Videoüberwachung auch Grenzen gesetzt. Entscheidend ist doch aber die Tatsache, dass die Vorlage die legale staatliche Videoüberwachung erst ermöglicht. Herr RR Gomm sagt es ja freundlicherweise im selben Interview gleich selbst:
Als ich in Olten noch Gemeinderat war, wurde einfach so die Videoüberwachung des Strassenstrichs beschlossen. Ich habe schon damals kritisiert, dass dafür eine gesetzliche Grundlage fehlte und es als Regierungsrat dann als vordringliche
Aufgabe angesehen, hier Klarheit zu schaffen.

Das Beispiel Videoüberwachung zeigt wunderschön, wie Demokratie funktioniert, wenn die Amateur-Legislative der Profi-Exekutive derart krass unterlegen ist wie in den meisten Kantonen. Das führt dann zur modernen Auffassung der Gewaltentrennung:

  • Schritt 1: Die Exekutive erfindet ein Problem und ergreift Massnahmen dagegen, und zwar völlig egal ob sie die entsprechenden Kompetenzen hat oder nicht. Sie kümmert sich nicht um ihre eigene Rechtsordnung, sondern konstruiert ein überwiegendes öffentliches (= mehrheitsfähiges) Interesse, das ihre Massnahmen rechtfertigt.
  • Schritt 2: Die Legislative - wenn sie es überhaupt merkt - reagiert empört und greift "korrigierend" ein, indem sie die gesetzliche Grundlage schafft und die Massnahmen der Exekutive nachträglich legalisiert.
  • Variante zu Schritt 2: Die Judikative - so sie denn angerufen wird - stellt fest, dass eine hinreichende gesetzliche Grundlage fehlt, worauf die Legislative bei Schritt 2 weitermacht. Die Judikative ist in diesem Prozess meistens nur überflüssiger Durchlauferhitzer, weil eine wirksame Verfassungsgerichtsbarkeit fehlt.
  • Ergebnis: Die Volksmehrheit ist glücklich und bringt dieses Glück bei den nächsten Wahlen zum Ausdruck. Die Minderheit - sie kann 49% stark sein - bleibt mit samt ihren Rechten auf der Strecke. Moderne Demokratie halt.

Kontrollstaat Solothurn

Der Kantonsrat wird am nächsten Dienstag eine Vorlage behandeln, deren Studium blankes Entsetzen auslösen müsste und sogar der Regierung zu weit geht (vgl. dazu das Solothurner Tagblatt). Der Titel der Vorlage ("Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung") liesse vermuten, dass entsprechende Massnahmen nötig wären. Nach stichhaltigen Gründen sucht man allerdings vergeblich. Der Regierungsrat nennt "gesellschaftliche Probleme". Die neuen Instrumente der Polizei seien geeignet, das Sicherheitsgefühl zu erhöhen sowie Straftaten und Gewalt, insbesondere an Grossanlässen (von denen es seit dem Eidg. Jodlerfest keine mehr gab), zu verhindern.

Die Regierung will also auf "gesellschaftliche Probleme" reagieren und ein "erhöhtes Sicherheitsgefühl" schaffen. Dass es gar keine ernstzunehmenden Gründe für die Vorlage gibt, hindert die vorberatende Justizkommission, in der die FdP in der Mehrheit ist, nicht daran, die regierungsrätliche Vorlage noch verschärfen zu wollen. Diese hat folgende Pfeiler (die Zitate stammen aus dem Vernehmlassungsentwurf):

1. Mehr Polizei mit mehr Kompetenzen:

Einsatz Polizeilicher Sicherheitsassistenten/innen, welche in einem beschränkten und eng umschriebenen Bereich einfache hoheitliche Aufgaben erfüllen. Dank der Erhöhung der polizeilichen Präsenz verbessert diese Strukturanpassung die öffentliche Sicherheit und erlaubt einen effizienten Einsatz der Korpsangehörigen.

Ziel ist es, dass die Angehörigen des Grenzwachtkorps in Zukunft auf gemischten Patrouillen mit Solothurner Polizeiangehörigen ermächtigt sind, dieselben Aufgaben zu erfüllen. Dabei sollen ihnen dieselben Rechte und Pflichten zur Verfügung stehen wie den Angehörigen der Polizei [...].

Ermächtigung der Polizei, Personen von öffentlichen Plätzen vorübergehend wegzuweisen oder fernzuhalten, wenn diese einer Ansammlung angehören, von welcher Störungen oder Belästigungen ausgehen, oder welche einschüchternd wirkt oder welche die Öffentlichkeit an der Nutzung eines für die Allgemeinheit bestimmten Ortes behindert.

2. Videoüberwachung für alle Dienststellen des Kantons und der Gemeinden:

Die Möglichkeit, mittels Videoanlagen bestimmte öffentliche und allgemein zugängliche Orte zu überwachen, steht nicht nur der Polizei, sondern auch anderen Dienststellen des Kantons Solothurn sowie den Gemeinden zu.

3. Vermummungsverbot:

Wer sich bei bewilligungspflichtigen Versammlungen, Demonstrationen und sonstigen Menschenansammlungen auf öffentlichem Grund unkenntlich macht, wird mit Busse bestraft. Ausgenommen sind Umzüge und Versammlungen, bei welchen das traditionelle Maskieren des Gesichtes den eigentlichen Zweck der Veranstaltung darstellt (Art. 21bis Abs. 1 des Entwurfs EG StGB).
Tröstlich ist einzig, dass ausserhalb Solothurns kaum einer weiss, was Solothurn überhaupt ist oder wo es liegt. Hilfe leistet Wikipedia, Verwunderung der Hinweis, dass Solothurn vor gar nicht allzu langer Zeit stolz auf eine sogar für schweizerische Verhältnisse liberale Tradition war.

Donnerstag, Mai 10, 2007

Vom Wert der Rechtsprechung des Bundesgerichts

Heute ist wieder einmal ein Urteil des Bundesgerichts ins Netz gestellt worden, das es seit Jahren nicht mehr geben dürfte (1B_55/2007 vom 02.05.2007). Aus den kurzen Erwägungen des Bundesgerichts:

1.1 Aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt sich der Anspruch der Verfahrenspartei, in alle für den Entscheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu äussern. Den Gerichten ist es nicht gestattet, einer Partei das Äusserungsrecht zu eingegangenen Stellungnahmen bzw. Vernehmlassungen der übrigen Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen abzuschneiden. Die Partei ist vom Gericht nicht nur über den Eingang dieser Eingaben zu orientieren; sie muss ausserdem die Möglichkeit zur Replik haben (zur Publikation vorgesehene Urteile des Bundesgerichts 1A.10/2006 vom 14. Dezember 2006, E. 2.1, und 1A.56/2006 vom 11. Januar 2007, E. 4).

1.2 Aus der angefochtenen Verfügung geht hervor, dass sich die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich zum Gesuch des Beschwerdeführers vernehmen liess. Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich liess diese Vernehmlassung vom 30. März 2007 dem Beschwerdeführer vor seinem Entscheid über das Gesuch um vorzeitigen Strafantritt nicht zur Kenntnisnahme zukommen. Damit nahm er dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, sich allenfalls zu dieser Vernehmlassung zu äussern, und verletzte dessen Anspruch auf rechtliches Gehör.

Obwohl diese Praxis längst bekannt ist bzw. bekannt sein müsste, wird sie immer wieder verletzt (vgl. einen früheren Beitrag). Wieso eigentlich? Nimmt man die Rechtsprechung aus Lausanne nicht zur Kenntnis oder hofft man einfach, der Betroffene kenne sie nicht?

Mittwoch, Mai 09, 2007

Frank A. Meyer zieht Notbremse

Gemäss NZZ hat Frank A. Meyer seine Ehrverletzungsklage gegen Christoph Mörgeli zurückgezogen (s. meine früheren Beiträge hier und hier). Der Rückzug erfolgte nicht etwa wegen der offensichtlichen Aussichtslosigkeit seiner Klage, sondern wegen der parlamentarischen Immunität Mörgelis. FAM lässt sich wie folgt zitieren:
Ich nehme zur Kenntnis, dass das Parlament eine Zweiteilung unter den journalistisch Tätigen herbeiführt: nämlich solchen, die straflos alles publizieren können, und den Berufsjournalisten, die dem Gesetz unterworfen bleiben.

Dienstag, Mai 08, 2007

Wieder Hunderte von Hausdurchsuchungen in der Schweiz

Das Bundesamt für Polizei (ich meine natürlich das "fedpol") orientiert in einer Medienmitteilung über neue Polizei-Aktionen gegen Kinderpornografie im Internet. Aus der Mitteilung:

Beteiligt sind die Polizeikräfte und Justizbehörden der Kantone AG, AI, BE, BL, BS, FR, GE, GR, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SO, TG, TI, UR, VD, VS, ZG, ZH, sowie der Städte Bern und Zürich. Insgesamt wurden in den vergangenen zwei Wochen über 200 Hausdurchsuchungen durchgeführt. [...].

Erste Meldungen von den oben genannten Behörden zeigen jedoch auf, dass positive Resultate und Bezüge zu Kinderpornografie vorliegen. [...].

Ich dachte eigentlich, die positiven Bezüge seien Voraussetzung für die Anordnung von Hausdurchsuchungen, was aber höchstens in der Theorie stimmt. Anders ist jedenfalls kaum erklärbar, dass allein in der Schweiz bereits ca. 4,000 Hausdurchsuchungen im "Kampf gegen Kinderpornografie" durchgeführt wurden. Ein Ende ist auch dann nicht abzusehen, wenn eines Tages jedes Haus in diesem Land durchsucht sein wird. Der Kampf war verloren, bevor er aufgenommen wurde. Das war und ist immer so, wenn sich die Strafverfolgung auf die Konsumenten konzentriert.

Freitag, Mai 04, 2007

Fleissige Internetpolizisten

Der Rechenschaftsbericht 2006 der "Internetpolizei" KOBIK und die entsprechende Medienmitteilung sind online. Daraus ein paar Ausschnitte:

627 Verdachtsdossiers wurden an Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland weitergeleitet. Das sind 168 Dossiers oder fast 37 Prozent mehr als 2005.

352 Dossiers gingen an Ermittlungsstellen in der Schweiz (2005: 293, +20 Prozent). Von diesen hatten 93 ihren Ursprung in Meldungen aus dem Publikum. Das sind 10 Meldungen oder 12 Prozent mehr als 2005, was die weiterhin steigende Qualität der Publikumsmeldungen belegt.

Durch eigene Recherche konnte Kobik 259 Verdachtsmeldungen wegen mutmasslichem Besitz bzw. der Verbreitung von Kinderpornografie generieren. Das sind 36 Meldungen oder 16 Prozent mehr als 2005.

Der Bericht zeigt auch neue Probleme bei der Identifikation der Tatverdächtigen.

Im Laufe des Berichtsjahres wurden die ersten Fälle verzeichnet, bei denen keine Teilnehmeridentifikation möglich war und somit zunächst nicht weiterverfolgt werden konnten. Der für die Teilnehmeridentifikation und die Koordination der Überwachungsmassnahmen von Post- und Fernmeldediensten zuständige Dienst für besondere Aufgaben im UVEK hat die Probleme rund um die mobilen Breitbandverbindungen (WAP, W-LAN, Hotspots, UMTS usw.) erkannt und gemeinsam mit den Strafverfolgungsbehörden Handlungsoptionen erarbeitet (Ziff. 10.4 des Berichts).

Daraus darf keineswegs geschlossen werden, die Ermittlungen von KOBIK hätten etwas mit bewilligungspflichtiger Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu tun. Wo kämen wir denn da hin?

Schliesslich zitiere ich noch Ziff. 10.3 des Berichts über Phishing und Geldwäscherei und frage mich, woher KOBIK diese Erkenntnisse haben will:

Speziell zu erwähnen ist die Zunahme an Phishing-Attacken. Das aufgrund solcher Attacken eingegangene Geld wird anschliessend mittels privater Geldkuriere, welche mit aufwändig inszenierten Inseraten im Internet rekrutiert werden, in gestückelten Beträgen über Geldtransfer Institute an die Urheber der Phishing-Attacken oder weitere Mittelspersonen weitergeleitet. Die privaten Geldkuriere (Finanzintermediäre) machen sich so der Geldwäscherei strafbar.

Vgl. dazu auch die Meldung der NZZ, die sich wie in der Schweiz üblich mit der Wiedergabe der amtlichen Meldungen begnügt.

Donnerstag, Mai 03, 2007

Privatsphäre c. Mitwirkungspflichten im Steuerveranlagungsverfahren

Heisst das Bundesgericht in Steuersachen (hier: Steuerbusse) eine Beschwerde gut, ist der Beschwerdeführer mit einiger Wahrscheinlichkeit der Staat. So auch in 2A.644/2006 vom 14.02.2007, aus dem ich Erwägung 4.3 übernehme:
Soweit die Vorinstanz eine Güterabwägung vornimmt und den Schutz der Privatsphäre des Steuerpflichtigen höher gewichtet als das Interesse des Staates an der umstrittenen "Kontrollmassnahme", übersieht sie, dass es sich hier nicht um eine "reine Kontrolle" handelt. Aber selbst wenn dem so wäre, würden Stichproben nach dem "Kontrollprinzip" auf einem hinreichenden öffentlichen Interesse beruhen, nämlich, um den gesetzmässigen Steuervollzug sicherzustellen (...). Aus diesem Grund müssen Kontrollmassnahmen auch zulässig sein, ohne dass berechtigte Zweifel an der richtigen oder vollständigen Sachverhaltsdarstellung vorliegen (vgl. BGE 120 Ib 417 E. 1a S. 421). Zudem ging es hier bei der Abklärung auch darum, allfällige ausserordentliche Einkünfte in den Lückenjahren 2001 und 2002 festzustellen. Sind die Voraussetzungen für ein Auskunftsbegehren erfüllt, so erübrigt sich in der Regel eine Güterabwägung und ist der behördlichen Aufforderung ohne Weiteres zu entsprechen. Der Steuerpflichtige hat nicht aus seiner naturgemäss einseitigen Optik heraus zu entscheiden, ob ihm eine behördliche Auflage passt oder nicht. Aus Art. 6 EMRK kann er nichts zu seinen Gunsten ableiten, denn diese Garantien, namentlich das Aussageverweigerungsrecht, beziehen sich nicht auf das ordentliche Steuerverfahren (BGE 132 I 140 E. 2S. 145 f.; Urteil 2A.480/2005 vom 23. Februar 2006, E. 2.2, in: StR 61, 372S. 373 f., je mit Hinweisen). Was schliesslich den Schutz der Privatsphäre anbelangt, wird dieser durch das strenge Steuergeheimnis hinreichend gewährleistet (vgl. Art. 120 StG/VS; Art. 39 Abs. 1 StHG; Art. 110 DBG).
Den letzten Satz verstehe ich nun gar nicht. Schützt die Privatsphäre nicht auch vor dem Staat?

Durchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl - Regel oder Ausnahme?

Zwei Polizeibeamte haben die Wohnung einer Frau ohne Durchsuchungsbefehl betreten und ihren Führerausweis sichergestellt. Auf den Strafantrag gegen die Beamten sind die Behörden des Kantons Appenzell Ausserrhoden nicht eingetreten, weil der Strafantrag angeblich verspätet eingereicht worden sei (Art. 29 aStGB). Das Bundesgericht (Urteil 6S.33/2007 vom 20.04.2007) heisst die Nichtigkeitsbeschwerde der Frau gut und zwingt damit die Strafverfolger, das offenbar missliebige Verfahren gegen die beiden Polizisten durchzuführen. Wie fantasiereich sich die Behörden gegen solche Verfahren sträuben, zeigt die Begründung der Vorinstanz, aus welcher das Bundesgericht zitiert:
Ob die beiden Polizeibeamten mit oder ohne Hausdurchsuchungsbefehl gehandelt hätten, sei insofern irrelevant, als der Beschwerdeführerin jedenfalls ein solcher Befehl nie vorgelegt worden sei. Sie habe deshalb mit guten Gründen davon ausgehen können, dass kein Hausdurchsuchungsbefehl vorgelegen habe und sie sich somit durch das Einreichen einer Strafklage wegen Hausfriedensbruchs nicht der Gefahr eines Strafverfahrens wegen falscher Anschuldigung oder Verleumdung ausgesetzt hätte (Hervorhebungen durch mich).
Ganz offensichtlich hat das Bundesgericht mehr Vertrauen in die Polizeiarbeit und dreht die Begründung der Vorinstanz um:
Erst die Gewissheit des Fehlens eines Durchsuchungsbefehls liess aus der Warte der Beschwerdeführerin folglich ein Vorgehen gegen die beiden Polizeibeamten als aussichtsreich erscheinen. Dies gilt umso mehr, als dass bei Beamten grundsätzlich davon ausgegangen werden darf, diese hielten sich an die Grenzen ihrer amtlichen Befugnisse und handelten gesetzeskonform, so dass insoweit erhöhte Bedenken bestehen, leichtfertig Strafanzeige zu erstatten und sich der Gefahr einer falschen Anschuldigung auszusetzen (E. 6.2, Hervorhebungen durch mich).
Zur Wahrung der Antragsfrist von drei Monaten führt das Bundesgericht folgende aus:
Die Frist für die Einreichung eines Strafantrags wegen Hausfriedensbruch beginnt somit erst, wenn die Trägerin des Haus- und damit des Strafantragsrechts zuverlässige Kenntnis davon hat, dass das Eindringen der Polizei in ihre Wohnung nicht im Rahmen der Amtspflicht geschah, mithin insbesondere nicht aufgrund eines Hausdurchsuchungsbefehls rechtmässig war. Nur unter dieser Voraussetzung kann ein Vorgehen gegen die beteiligten Beamten als aussichtsreich bewertet werden (E. 5.3).
Die entscheidende Frage, musste das Bundesgericht nicht beantworten:
Bei diesem Ergebnis kann die in der Doktrin umstrittene und vom Bundesgericht bislang nicht entschiedene Frage, ob die Kenntnis eines der Mittäter zur Auslösung der Strafantragsfrist genügt, offen gelassen werden (E. 6.2).
Schade!

Solothurner Staatsanwälte wollen mehr Lohn

Die Staatsanwälte des Kantons Solothurn sehen nicht ein, wieso sie gleich eingestuft werden wie die früheren Untersuchungsrichter. Sie begründen die entsprechenden Lohnforderungen gemäss Solothurner Zeitung (für Normalbürger nicht online) damit, dass sie nach dem neuen Strafverfolgungsmodell über höhere Strafkompetenzen im Strafverfügungsverfahren verfügen und die Anklage vor Gericht vertreten müssen, was freilich nur ausnahmsweise und in der Praxis selten zutrifft. Als Kunde der Staatsanwaltschaft möchte ich hier ein paar zusätzliche Lohnerhöhungsargumente ins Feld führen, die mindestens ebenso treffend sind:
  • Staatsanwälte dürfen nicht mehr Untersuchungshaft anordnen, sondern diese nur noch beantragen: Kompetenzverlustzulage.
  • Staatsanwälte werden öffentlich kritisiert: Frustzulage.
  • Staatsanwälte bzw. einzelne von ihnen sind trotz der Vereinfachungen im neuen Strafverfolgungsmodell überlastet, was niemand wirklich begreift: Stresszulage.
  • Staatsanwälte überhitzen im Zeitalter der Klimaerwärmung rascher: Hitzezulage.
  • Staatsanwälte werden von Verteidigern kritisiert: Qualitätszulage.
Abgesehen davon verlangen die Staatsanwälte neue Staatsanwälte, und zwar nicht nur, um ihrer Lohnklage noch mehr Gewicht zu verleihen. Offenbar können sie ihre Arbeitslast schlicht nicht bewältigen, obwohl mittlerweile Kanzleiangestellte und Gerichtsschreiber der Richterämter aushelfen (es lebe die Gewaltentrennung!). Im Januar 2007 hatte übrigens die Justizkommission noch verlauten lassen, es komme jetzt alles gut (s. meinen Beitrag).

Weiteres zum Thema: s. meine frühreren Beiträge hier, hier, hier und hier.

Mittwoch, Mai 02, 2007

Bundesgericht hält an alter Prozessfalle fest

Das Bundesgericht hält auch unter dem neuen BGG an seiner Praxis von BGE 121 I 267 zur guten alten staatsrechtlichen Beschwerde fest. Danach ist ein Beschwerdeführer zur Willkürrüge nur legitimiert,
wenn das Gesetzesrecht, dessen willkürliche Anwendung gerügt wird, dem Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch einräumt oder den Schutz seiner Interessen bezweckt (BGE 121 I 269 E. 2).
Diese Praxis führte das Bundesgericht auch nach Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung weiter. Die Regeste von BGE 126 I 81 hält fest:

Gemäss der Rechtsprechung zu Art. 88 OG und Art. 4 aBV begründet das allgemeine Willkürverbot für sich allein keine geschützte Rechtsstellung, welche zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde berechtigt (E. 3).

Das in Art. 9 BV statuierte Willkürverbot führt nicht zu einer Änderung dieser Rechtsprechung (E. 4 - 6).

Laut NZZ hat das Bundesgericht in einer Plenarversammlung aller Bundesrichter mit 20:19 Stimmen beschlossen, diese Praxis auch auf die neue subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) anzuwenden. Damit kann sich ein Beschwerdeführer zur Begründung einer Willkürrüge nach wie vor nicht unmittelbar auf Art. 9 BV stützen (s.a. die Medienmitteilung des Bundesgerichts).

Dienstag, Mai 01, 2007

Beschwerde ohne Rüge

Der Fall von BGE 133 I 33 (anonymisierter Zeuge; s. meinen früheren Beitrag) soll nach Strassburg gezogen werden. Zu diesem Zweck hat der Beschwerdeführer eine neuerliche Beschwerde gegen das neue Urteil des Kassationsgericht ohne neue Rüge ans Bundesgericht gezogen (Urteil 6B_77/2007 vom 19.04.2007). Das Bundesgericht konnte darauf nicht eintreten:
X. erhebt mit Eingabe vom 26. März 2007 gegen den Beschluss des Kassationsgerichts vom 12. Februar 2007 Beschwerde an das Bundesgericht. Das Kassationsgericht war bei seinem Beschluss vom 12. Februar 2007 an die rechtliche Begründung des Urteils des Bundesgerichts vom 2. November 2006 gebunden (BGE 123 IV 1 E. 1, mit Hinweisen). Da keine weiteren Rügen zubeurteilen waren, hatte es zwangsläufig die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer ist sich dessen bewusst und erhebt Beschwerde an das Bundesgericht nur darum, weil er an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelangen will und er befürchtet, dass dieser ihm vorhalten könnte, nicht sämtliche innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft zu haben (Art. 35 EMRK). Da der Beschwerdeführer indessen keine Rüge erhebt, die das Bundesgericht nicht schon beurteilt hätte und die noch zu beurteilen wäre, fehlt es an einer für die materielle Beurteilung des Rechtsmittels hinreichenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 1BGG). Es ist daher im vereinfachten Verfahren auf die Beschwerde nicht einzutreten, worüber der Präsident der Abteilung oder ein anderer mit der Sache betrauter Richter entscheiden kann (Art. 108 Abs. 1 und 2 BGG) [E. 2].

Was ich prozessual hier nicht verstehe ist, warum der Beschwerdeführer nicht einfach den publizierten Entscheid des Bundesgerichts nach Strassburg ziehen kann (oder sogar muss?). Ein pro-forma-Gang ans Bundesgericht kann ja kaum die richtige Lösung sein.

Beim ersten Urteil des Bundesgerichts handelt es sich wie gesagt um den "berühmt-berüchtigten" BGE 133 I 33, dessen Regeste wie folgt lautet:

Art. 249 BStP; freie Beweiswürdigung; anonymisierter Zeuge.

Die Annahme, die Aussage des gefährdeten Belastungszeugen sei unverwertbar, wenn neben dem Angeschuldigten auch sein Verteidiger nur unter audio-visueller Abschirmung Ergänzungsfragen stellen kann, schliesst die anonyme Zeugenbefragung als Beweismittel in allgemeiner Weise aus und verletzt den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (E. 2.5).

Art. 6 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK; anonymisierter Zeuge; Wahrung der Verteidigungsrechte.

Die Verwertung der Aussage eines anonymisierten Belastungszeugen verletzt die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK nicht, wenn sie als Mosaikstein ein anderweitig gewonnenes Beweisergebnis, welches allein für den Schuldspruch zwar nicht ausreicht, aber einen schwerwiegenden Tatverdacht begründet, ins Stadium des rechtsgenügenden Beweises zu überführen vermag (E. 3 und 4).

Neues Strafverfahren i.S. Guido A. Zäch?

Laut SonntagsZeitung (Zugang beschränkt) prüfen eifrige Strafverfolger die Eröffnung eines neuen Strafverfahrens, das sich diesmal gegen die Mitglieder des Stiftungsrats der Paraplegiker-Stiftung richten soll. Indem sie die veruntreuten Mittel (CHF 1.3 Mio.) bisher von ihrem Präsidenten nicht zurückgefordert haben, sollen sie ev. den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) erfüllt haben. Aus dem Artikel der SonntagsZeitung:
Das Amtsstatthalteramt Sursee prüft, ob gegen die Stiftungsräte ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt vorliegt, wie Untersuchungsrichter Othmar Kost bestätigt: «Bisher haben wir formell aber noch kein Strafverfahren eröffnet.»
Ist das Zitat richtig, muss man sich fragen, wieso ausserhalb eines Strafverfahrens ermittelt wird (doch nicht etwa um die lästigen Verteidigungsrechte nicht beachten zu müssen? oder weil es einfach bequemer ist, informell zu ermitteln?) und ob der Presse gegenüber solche Bestätigungen überhaupt abgegeben werden dürfen. Es kann kaum richtig sein, dass die Betroffenen aus der Presse erfahren, dass ihr Verhalten gerade auf die Erfüllung von Straftatbeständen informell untersucht wird.