An der Berufungsverhandlung wies der Vorsitzende den Vertreter des Beschwerdeführers vor dessen Plädoyer darauf hin, dass sich das Gericht entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft vorbehalten müsse, die heutige Strafe mit bedingtem Vollzug auszusprechen und den Widerruf des bedingten Vollzugs der Vorstrafe anzuordnen, und dass der Vertreter des Beschwerdeführers eventualiter noch dazu Stellung nehmen könne (Protokoll der Berufungsverhandlung, Akten des Obergerichts act. 44 S. 12). Der Vertreter des Beschwerdeführers erhob nicht den Einwand, dass er zu dieser Frage nicht kurzfristig angemessen Stellung nehmen könne. Vielmehr verlas er sein Plädoyer mit einigen Ergänzungen, unter anderem mit dem Hinweis, dass die Bewährungsaussichten des sozial gut integrierten Beschwerdeführers günstig seien, weshalb bei einer angemessen erscheinenden neuen Strafe von vier Monaten Gefängnis auf den Widerruf des bedingten Vollzugs zu verzichten sei (siehe act. 44 S. 14 Ziff. 11). Unter diesen Umständen kann von einer Verletzung der in der Beschwerde angerufenen verfassungsmässigen Rechte keine Rede sein.Mich würde interessieren, wie das Urteil gelautet hätte, wenn der Anwalt des Beschwerdeführers (natürlich erfolglos) die Aussetzung der Verhandlung verlangt hätte, um sich auf die neu aufgetauchte Widerrufsfrage angemessen vorbereiten zu können. Sicher hätte man ihm dann entgegengehalten, er habe sich ja sehr fundiert zu genau dieser Frage geäussert.
Dienstag, Februar 21, 2006
Unerwarteter Widerruf
In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen Entscheid (BGE 6P.98/2005 vom 03.02.2006) hat der Kassationshof in Dreierbesetzung eine "Einheitsbeschwerde" abgewiesen. Der Beschwerdeführer machte u.a. geltend, er habe in Anbetracht des Antrags der Staatsanwaltschaft in der schriftlichen Berufungsbegründung nicht damit rechnen müssen, dass sich an der Berufungsverhandlung die Frage des Widerrufs des bedingten Vollzugs der Vorstrafe stellen könnte. Daher habe er keinen Anlass gehabt, sich vorgängig mit dieser Frage zu befassen. Da er erst an der Berufungsverhandlung und somit völlig überraschend mit dieser Frage konfrontiert worden sei, habe er sich vor dem Obergericht dazu nicht angemessen äussern und verteidigen können. Dadurch seien seine Ansprüche auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), seine Verteidigungsrechte im Strafverfahren Art. 32 BV) und sein Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) verletzt worden. Dazu das Bundesgericht:
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen